Kapitel 16

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Ich versuchte die Bemerkungen meiner Mutter so schnell wie möglich zu vergessen, aber das war leichter gesagt, als getan.
Als wir am nächsten Morgen am Frühstückstisch saßen, schossen mir gefühlte tausend Gegenargumente durch den Kopf, die ich ihr am liebsten entgegen geschrien hätte, aber ich biss mir krampfhaft auf die Zunge, um nichts zu sagen. Ich wollte nicht schon wieder streiten und ich konnte mir weiteren Stress in der Familie momentan eigentlich echt nicht leisten, auch wenn das vielleicht feige und Celal gegenüber unfair war.
Ich fragte mich, ob er schon mal mit so etwas wie Fremdenhass in Berührung gekommen war. Ob ihm solche Dinge, die meine Mutter gestern gesagt hatte, auch schon mal ins Gesicht gesagt worden waren. Ob er deswegen damals in der Bibliothek so reagiert hatte und wissen wollte, ob ich ein Problem mit ihm hatte? Auf jeden Fall hätte das seinen kleinen Ausraster um einiges verständlicher gemacht. Ich wäre wahrscheinlich auch vorsichtig geworden, wenn irgendwelche Leute ein Problem mit mir hatten, nur weil ich eine andere Religion hatte und genetisch eben nicht "rein Deutsch" war. Wie dumm das schon klang. Es gab überhaupt keine reinen Deutschen mehr, so ein Bullshit. Wir lebten doch echt nicht mehr in der Nazizeit. Nur Arier sind tolle Menschen, alles andere ist Abschaum, oder was? Sowas machte mich einfach unheimlich wütend.

Trotzdem bemühte ich mich, mir nichts anmerken zu lassen und so fuhren Mila und ich um kurz vor 8 zur Schule. Anschließend ging es sofort weiter ins Einkaufszentrum, wo wir eine Kleinigkeit aßen, bevor wir unseren Shoppingtrip beginnen konnten. Es war echt schön, mal wieder was mit meiner Schwester zu unternehmen und ich musste feststellen, dass sie nicht nur nerven konnte. Man konnte sich tatsächlich gut mit ihr unterhalten, sie hatte Humor und war erwachsener, als ich manchmal dachte. Außerdem war ihr Klamottengeschmack gar nicht mal so schlecht. Sie haute wahrscheinlich ihr gesamtes Geburtstagsgeld raus, aber warum auch nicht?
Ich beschränkte mich auf ein paar Oberteile, eine Jeans und einen neuen Bikini, den ich bei Lisas Party sofort ausführen wollte. So wie ich das verstanden hatte, würde es eine Art Poolparty mit Grillen und allem drum und dran werden, somit gab es keine bessere Gelegenheit, um sich mit neuer Bademode auszustatten. Als uns irgendwann die Füße weh taten und unsere Geldbeutel so gut wie leer waren, gönnten wir uns zum Abschluss ein Eis, ehe wir uns in den Bus setzten und nach Hause fuhren.

Wieder zu Hause verschlug es mich direkt in mein Zimmer, wo ich es inzwischen auch wieder viel besser aushalten konnte. Es war eben doch was anderes, wenn man wusste, dass man diesen Raum jederzeit verlassen konnte, ohne böse angeguckt zu werden. Ich hing meine neuen Klamotten auf und schnappte mir anschließend meinen Laptop, um ein wenig Musik zu hören und im Internet zu surfen. Kaum hatte ich es mir damit auf meinem Bett gemütlich gemacht, klingelte mein Handy. Ich griff blind zum Nachttisch, auf dem das Smartphone lag und warf einen Blick auf das Display.
<Was is jetzt mit morgen?>, die Nachricht stammte natürlich von Celal und ich fragte mich langsam, warum es ihm so wichtig war, dass ich zu dieser Party kam.
<Sieh mal an wer meine Nummer wieder kennt :P>, das konnte ich mir nicht verkneifen, denn ja, der Stachel saß noch tief. Welches Mädchen mochte es schon, ignoriert zu werden? Und dann auch noch vollkommen grundlos? Naja okay, wenn man daran dachte, was meine Mutter gestern so gesagt hatte, hatte er vielleicht doch Recht gehabt. Wirklich sympathisch fand meine Mom ihn anscheinend nicht, aber das interessierte mich jetzt nicht unbedingt.
<Aber davon abgesehen... ja, sehr wahrscheinlich werde ich morgen kommen. Muss ja meinen neuen Bikini ausführen>

Ich kam gar nicht dazu, das Handy aus der Hand zu legen, denn ich hatte ein paar Sekunden später schon wieder eine Antwort von ihm.
<Neuer Bikini? Willst du mir den nicht erstmal zeigen? Dann kann ich dir sagen, ob das gut aussieht oder nicht!>, typisch. Ich schüttelte grinsend den Kopf, begann aber sofort zu tippen.
<Ich kann dir gerne ein Foto von dem Bikini schicken>
<Ne ne! Also ich meinte angezogen>
Klar meinte er das. Hatte ich mir auch gedacht, ich hatte ihn lediglich ein wenig ärgern wollen und mich extra dumm gestellt. <Träum weiter. Da musst du wohl bis morgen warten ;P>

Flirteten wir hier gerade? So genau konnte ich das nicht definieren, denn um ehrlich zu sein hatte ich noch nicht so viel Erfahrung mit Typen. Klar, ich war mit Marco aufgewachsen, aber wir hatten nie auch nur im Ansatz geflirtet. Es war immer klar gewesen, dass wir eben beste Freunde waren. Nichts weiter. Tja und ansonsten hatte ich irgendwie keinen großartigen Kontakt zu Jungs gehabt. Sicher, hier und da war man mal mit einem ins Gespräch gekommen, aber da hatte ich mich immer ein wenig hilflos gefühlt und nie so recht gewusst, was ich sagen sollte, wenn ich angequatscht worden war. Bei Celal ging das irgendwie automatisch. Bei ihm war es mir auch nicht unangenehm, wenn er sowas schrieb... Oh man, ich war gerade nicht echt dabei, mich in ihn zu verknallen? Oder war ich das schon längst und hatte es die ganze Zeit erfolgreich verdrängt?
Das war echt das Letzte, was ich jetzt brauchte.
Ich schmiss mein Handy beiseite und vergrub mein Gesicht in einem der vielen Kissen auf meinem Bett. Ich musste irgendwie herausfinden, ob ich mit meiner Befürchtung richtig lag, oder ob ich mir da irgendwas einbildete... einredete. Wie genau ich das jetzt testen sollte, wusste ich auch noch nicht, aber ich war mir sicher, dass Marco, Em oder Sophie eine Idee hatten.
Hey, vielleicht würde ich ja in Milas Zimmer eine Bravo mit einem Psychotest alá "Bist du in ihn verknallt?" finden. Nein, das zog ich natürlich nicht ernsthaft in Betracht, aus dem Alter war ich dann doch raus.
Vielleicht bot sich mir aber morgen schon die perfekte Gelegenheit, um herauszufinden was ich fühlte... oder eben nicht fühlte. Fragte sich nur, welche Antwort ich auf diese Frage bekommen wollte.

Alles türkisch, oder was?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt