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Die Kämpfe meiner Gedanken wurden größer. Stöhnend raufte ich mir die Haare.
"Hey. Ist alles in Ordnung?", hörte ich eine tiefe Stimme neben mir.
"Bis auf, dass mir das Leben seit dem Tod meiner Schwester fehlt, alles bestens", schrie ich schon fast.
Wut kam in mir auf. Ich hielt jedoch die Tränen zurück. Mein Freund wollte mich in den Arm nehmen, Doch ich blockte ihn ab. Seit ich mich als schwul geoutet hatte, war alles noch schwieriger geworden. Viele hatten es akzeptiert, aber andere hatten mich durch meine schon vorhandene Trauer zerstört. Trotzdem war keiner von ihnen ein Feind von mir. Der Gedanke brachte mich nun doch zum weinen. Ich hatte ihnen nie etwas getan. Das Glück schien mich endgültig verlassen zu haben.
"Geh jetzt", zischte ich leise.
"Bitte", fügte ich noch unter meinem Schluchtzen hinzu.
Er stand auf und ließ mich alleine. Die plötzliche Stille umgab mich wie Nebel.
Ich kam mir verloren vor. Ich schaute in den Sternenhimmel. Es war beruhigend. Die Trauer schwand langsam. Dann sah ich wieder vor mich in den dunklen Wald. Viele würden behaupten er wirkte bedrohlich, doch mir gab er Geborgenheit.
Ich hatte diesen Platz entdeckt, als ich vor Wut fast jeden hätte schlagen können. Nach dieser Selbstfindung war ich ruhiger geworden. Ich hatte mir zwar noch nicht den Lebenssinn überlegt, aber ich hatte eine andere Einstellung bekommen.
Leise erklang eine Melodie in meinen Ohren. Ich sah mich um, aber ich entdeckte nichts. Diese Musik klang heimisch und gab mir das Gefühl sicher zu sein.
"Soll ich dich etwa finden?", flüsterte ich verzaubert.
Meine Füße trugen mich ohne, dass ich mich fragte, wohin ich musste.
"Komm mich suchen", hörte ich eine glasklare Stimme.
Vernebelt ging ich weiter.
Ich kam in einem Kreis aus alten Bäumen an.
Angst ergriff mich, jedoch weckte es auch Freude in mir, als ich einen großen Jungen entdeckt. Mein Herz setzte kurz aus und schlug dann schneller. Das Gefühl Hilfe zu holen, verschwand augenblicklich.
"Wer bist du?", stotterte ich von Neugier geweckt.
"Wo bin ich?", fragte mich der Junge.
"Bei mir. Wir sind im Wald", sagte ich beruhigend.
Er warf ein Messer.
"Was-", schrie ich, doch er nahm meine Hand und zog mich hinter sich her.
"Was soll das?", wollte ich wissen.
"Du willst doch auch am leben bleiben", sagte er.
Ich wusste nicht, was er meinte.
Doch Angst bahnte sich einen Weg in mein Herz. Als ich einmal kurz zurück blickte, sah ich das Problem. Wir wurden verfolgt. Ich stolperte und fiel. Er zog mich hoch und pfiff leise. Ich erkannte in einen dunklen Schatten, der auf uns zu kam. Ein pechschwarzes Pferd kam auf uns zu. Es war stolz und kräftig gebaut. Er hiefte mich auf den Hengst und sprang selbst hinter mich. Dann ritten wir durch den Wald.
Dann sprang das Pferd ab. Ich bekam Panik.

Mein Wecker klingelte. Es war morgens. Ich war im Internat. Ich stand auf und machte mich fertig, während ich über meinen Traum nachdachte. Nach ein paar Minuten war ich fertig. Ich nahm meine Tasche und ging zur Klasse. Auf dem Weg hatte ich den Kopf gesenkt, damit mich kaum wer erkannte.
"Da ist ja der Spasti", sagte er, der mich mit seiner Clique zu dem gemacht hatte was ich nun war.
Sie hatten mich geschlagen und getreten. Sie hatten mich dazu gebracht mich zu ritzen. Ich hatte schon lange damit aufhören wollen, aber es hat nie geklappt. Ich wollte ihm das zurück geben, was er mir angetan hatte. Nur noch schlimmer. Obwohl ich ihn liebte. Ja. Ich hatte mich schon vor Jahren in das größte Arsch der Schule verliebt und ja, ich wollte ihn so leiden sehen, wie er mich zugerichtet hatte, nur, dass ich ihm helfen würde es zu vergessen. Ich schüttelte mich kurz um den Gedanken loszuwerden.
Dann nahm ich meinen Mut zusammen und sah direkt in seine Augen.
"Nur weil dein Herz noch nicht zerbrochen ist, wie ein Spiegel, den man ständig schlägt und tritt, nur weil deine Schwester nicht gestorben ist und alle dich dadurch nicht runterziehen und nur weil dich jeder sofort beschützen würde, musst du mich nicht weiter mobben. Und ich sage dir: irgendwann wirst du ein schlechtes Gewissen wegen dem haben, was du mir angetan hast. Irgendwann wird es dir Leid tun und dich von innen heraus zerfressen", zischte ich.
Dann zog ich den Ärmel von meinem Hoodie hoch, nahm die Klinge, mit der ich mich schon unzählige Male geritzt hatte, aus meiner Hosentasche heraus, da ich sie immer dabei hatte, und zog einmal fest durch. Nicht mal eine Wimper zuckte, als sich der Schmerz langsam, aber sicher bemerkbar machte. Dann deutete ich auf die Narben.
"Das hab ich mir nicht einfach so angetan. Nein. Ich habe es mir wegen dir angetan. Und jetzt zuckt nichtmal mehr mein Auge vor Angst, dass es schmerzen könnte, denn dieser Schmerz geht vorbei. Er ist erträglich. Aber der Schmerz in meinem Herzen wird niemals weniger, wenn ihr so weiter macht. Ich weiß nicht, wie viel noch bis zur Brücke fehlt, aber ich weiß schon, wo ich eine finde."
Meine Stimme bebte, als ich dies sagte. Doch ich musste ihm und seiner gesamten Clique mal die Augen öffnen. Ich erkannte wie geschockt sie waren. Nun waren es wirklich die, die nun wegen ihres Gewissens leiden würden.
"Du... du.. hast dich geritzt?", kam plötzlich eine Frage von einem, der sich immer etwas zurück gehalten hatte.
Ich nickte.
"Nicht nur einmal", fauchte ich.
Dann ging ich in die Klasse und ließ mich sofort auf meinen Stuhl sacken. Meine Beine zitterten und meine Hände waren verschwitzt. Ich sah nun wie die Clique gefolgt von unserer Lehrerin ins Klassenzimmer kamen. Sie sahen alle betroffen aus.
Jemand wedelte mit einer Hand vor meinem Gesicht. Ich sah auf. Ich guckte direkt in sein Gesicht. Unsere Lehrerin war bereits weg, was ich gar nicht gemerkt hatte. Ich hing öfters meinen Gedanken nach, musste aber nicht lernen, da ich angeblich hoch intelligent war. Ich verstand alles sehr schnell und brauchte deshalb für eine Aufgabe eine statt zehn Minuten.
"Um Mitternacht am See?", wiederholte er mit genervtem Tonfall seine Frage.
Er hatte sie wohl nicht zum ersten Mal gestellt. Mein Herz blieb gefühlte Stunden stehen, da ich erst langsam realisierte, was er gerade gesagt hatte. Etwas zögerlich und misstrauisch nickte ich. Er lächelte.
Aber er lächelte nicht einfach so, sondern er lächelte mich an.
Die restlichen Schulstunden überstand ich mit Mühe. Als es nach der letzten Stunde klingelte, blieb ich sitzen bis alle weg waren. Ich hatte keine Lust mir ihre blöden Sprüche anhören zu müssen.
Dann verließ ich den Raum. Zumindestens wollte ich es. Aber ich wurde daran gehindert, indem ich unsanft an eine Wand gedrückt wurde.
Ich spürte die Faust schon förmlich, jedoch kam plötzlich eine Wucht. Eine Schülerin hatte uns nicht gesehen. Hektisch entschuldigte sie sich. Ich ergriff sofort die Chance und machte mich mit schnellen Schritten auf den Weg in mein Zimmer. Zum Glück hatte ich eins allein.

Es war kurz vor Mitternacht, als ich mich auf den Weg zum See machte. Als ich ankam sah ich niemanden. Ich setzte mich in das kühle Gras und lehnte mich dabei an die große alte Eiche, die dort stand. Der Himmel war von Wolken überzogen. Ich hatte eine Jogginhose und einen Hoodie an. Es war kühl, jedoch nicht kalt. Ich blickte in den schwarz wirkenden See.
"Hast du das wirklich nur wegen mir getan?", hörte ich plötzlich eine vertraute und doch beängstigende Stimme hinter mir.
"Ja", flüsterte ich in den Wind.
Ich drehte meinen Kopf leicht, sodass ich sehen konnte, dass er ein paar Meter von mir entfernt stand. Aber ich beobachtete ihn nur aus den Augenwinkeln.
"Es gab mal eine Zeit in meinem Leben, die farblos war. Momentan sieht mein Leben genau so aus, wie diese Nacht. Dunkel und kalt. Weißt du, es ist nicht leicht von der Person fertig gemacht zu werden, von der man sich Täglich ein Stück Aufmerksamkeit wünscht. Von der man sich täglich einen Kuss wünscht."
Die letzten Worte hauchte ich nur, aber das ungute Gefühl er hätte es gehört, verließ mich nicht. Er kam die letzten Schritte zu mir und ließ sich neben mir im Gras nieder.
Ich richtete meinen Blick wieder nach vorne. Ich spürte, wie sich langsam die Tränen einen Weg über mein Gesicht bahnten. Wortlos nahm er mich in den Arm.
"Warum..... warum hast du damit angefangen?", fragte ich schließlich schluchzend.
"Weißt du, manchmal erkennt man erst nach ein paar Jahren seine Fehler", hauchte er.
Ein kleines Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.
Plötzlich beugte er sich zu mir und seine Lippen trafen meine. Völlig perplex reagierte ich erst gar nicht. Ich konnte nicht realisieren, was er tat.
Dann löste er sich. Dieses Gefühl von Freiheit, Geborgenheit und Sicherheit verließ mich und ich kam mir verlassener denn je vor.
"Ich verstehe schon", murmelte er und stand auf.
Ich hielt ihn am Handgelenk fest.
"Ich liebe dich", flüsterte ich.
"Nach allem, was ich getan habe?", fragte er zaghaft.
Ich nickte.
Er setzte sich wieder und drückte seine Lippen wieder auf meine.

Also erstmal danke für mehr als 1k. Dann hab ich hier mal alle eure Wörter benutzt. Ihr dürft auch gerne neue in die Kommentare schreiben.
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