Zwölf

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Nach einem erfolglosen Versuch wieder einzuschlafen war Alea früh aufgestanden, um sich auf ihren Gesprächstermin bei der Polizei vorzubereiten. Die Auseinandersetzung mit Jacob hing ihr immer noch nach und sie konnte das unangenehme Gefühl, das er bei ihr verursachte nicht ignorieren. Sie wollte es nicht ignorieren. Es stimmte etwas nicht mit ihm. Er hatte sich keinen Moment in die Karten schauen lassen, er hatte sie abgeblockt, ihr gedroht. Halt dich da raus, okay? Er war ein Idiot.

Nach einer ausgiebigen Dusche kehrte sie schließlich zurück in ihr Zimmer, wo Louisa immer noch in ihrem Bett lag und schlief. So schnell würde sie bestimmt auch nicht aufwachen, schließlich hatte Jacob sie vor einigen Stunden erst zurückgebracht. Sie musste sternhagelvoll gewesen sein. Grandios. Was hatte sich zwischen beiden im Club nur zugetragen? Hatte sich überhaupt etwas zugetragen? Das getrocknete Blut unter seiner Nase schoss ihr in den Kopf. Er musste in eine Schlägerei oder einen Unfall verwickelt gewesen sein, schon wieder. Was konnte er eigentlich? Bereits in der Nacht hatte sie Louisas Körper flüchtig mit den Augen nach Wunden abgesucht, bevor Jacob sie ins Bett gelegt hatte und wie ein Wachhund dort sitzen geblieben war, bis sie wieder schlief. Halt dich da raus, okay? Aber auch jetzt, wo es hell war, schien sie unversehrt. Sie hätte ihn umgebracht, wenn er sie in Schwierigkeiten gebracht hätte.

Seufzend holte sie einen Blazer aus ihrem Schrank. Für ihr Gespräch mit dem Captain der örtlichen Polizeistation wollte sie sich ein bisschen besser anziehen, es hatte sie Schweiß und Nerven gekostet überhaupt an dieses Gespräch zu kommen. Und man musste ja nicht unbedingt auf den ersten Blick das Klischee der verlotterten Studentin erfüllen. Der zweite Blick reichte vollkommen.

Sie würde mit Louisa reden müssen, sobald sie zurückkehrte, so viel stand fest. Entschlossen riss Alea einen Zettel aus ihrem Block und notierte ihr eine Nachricht.

Hey, heute ist mein Gespräch mit dem Captain, ich hoffe, du bist mir nicht sauer, dass ich einfach gegangen bin. Ich lass dir mein Handy da, falls du in die Stadt willst, ich bin mittags bestimmt wieder da. Wir müssen reden. Dringend.

A.

Einen Moment hielt sie inne, bis sie den Zettel schließlich neben Louisa auf das Bett legte. Ob sie wirklich einfach gehen konnte? Wer konnte schon wissen, was sich in der Nacht zugetragen hatte. Möglicherweise ging es ihr miserabel, wenn sie aufwachte. Und möglicherweise war dafür auch nicht nur ein Kater verantwortlich. Sondern er. Sie schluckte, als sie an den Termin mit dem Captain dachte. Unmöglich konnte sie ihn so kurzfristig absagen. Sie würde sich beeilen, schnell wieder zurück zu sein. So leise wie es nur ging verließ sie schließlich das Zimmer.

Eine halbe Stunde später hatte sie die Central Station des San Francisco Police Departments erreicht. Die Station war im Nordosten der Stadt lokalisiert und wirkte von außen eher unspektakulär. Sie sah an dem hohen, einfarbigen Gebäude hoch. Lediglich die wenigen Polizeistreifenwagen, die davor parkten, ließen überhaupt darauf schließen, dass man sich vor einem Gebäude der Polizei befand. Die amerikanische Flagge am Mast vor dem Eingang hing schlaff herunter. Es war ein grauer Tag. Kurz sah sie auf ihren Block, in der Vorbereitung auf den Termin hatte sie sich ausreichend über alles informiert. Stichwort Drogenproblem. Sie musste mehr darüber erfahren, bevor sie in nur wenigen Tagen die Stadt wieder verlassen müsste. Am Empfang schickte man Alea in den fünften Stock des Gebäudes, dort würde Captain Brookstone sie in seinem Büro erwarten. Brookstone. Das klang schon sehr nach Boss. Als sie aus dem Fahrstuhl trat, der sich unverschämt viel Zeit ließ, in den fünften Stock zu gelangen, schlug ihr bereits der Geruch von frischem Kaffee entgegen.

Vor ihr erstreckte sich ein weitläufiger Raum mit dunklem, abgetretenen Parkett, das wahrlich schon bessere Tage gesehen hatte. Die Wände waren in Backsteinoptik gehalten und verströmten etwas Raues und ...Männliches. Typisch. Schließlich galt die Polizei als Männerdomäne schlechthin. Und das hier war ihre Männerhöhle.

BrokenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt