Zweiunddreißig

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„Ich fühle Schmerz und Hilflosigkeit. Angst", sprach er dann weiter. Jetzt sah sie doch wieder auf. Er stand regungslos vor ihr. Als sich ihre Blicke trafen, sah er zur Seite. Er wirkte kleiner als sonst. Möglicherweise, weil er weiter entfernt stand. Auch sein Gesicht erschien ihr anders, seine Züge waren weicher, als hätte er aufgehört, sich wegen irgendetwas zu beherrschen. Angst?

Jetzt sah auch er wieder in ihr Gesicht, sein Blick war unsicher. Himmel, er wirkte beinahe gedemütigt. Etwa, weil sie ihn geschlagen hatte? Offenbar wartete er darauf, dass sie ihm erneut eine Frage stellte. Irgendetwas hinderte ihn daran, von selbst zu sprechen.

„Warum?", fragte sie nur, ohne die Augen von ihm zu nehmen. Er schluckte.
„Ich weiß nicht, was passieren wird. Ich hab einen Fehler gemacht und ich vermute, dass er Konsequenzen haben wird. Für uns beide." Schon wieder sprach er von diesem Fehler. Jeder sprach nur noch von Fehlern.
„Welcher Fehler?" Sie stellte sich auf, als sie bemerkte, dass er wieder auf sie zukam. Nicht ein einziges Mal sah er jetzt mehr aus ihrem Gesicht. Schließlich blieb er vor ihr stehen und sah zu ihr herunter. Er war näher an sie herangetreten als sonst. Erneut spürte sie die Wärme seines Körpers.

Du bist mein Fehler", sagte er dann und legte vorsichtig seine warme Hand an ihre Wange. Was? Sie starrte ihn perplex an, ohne etwas zu erwidern. Machte er sie etwa verantwortlich für diese Situation? Erneut erkannte sie die Verzweiflung in seinen Augen, die sie schon so oft gesehen hatte. In der Nacht, in der sie gemeinsam im Club waren und Victor ihn geschlagen hatte. Vor dem Hostel im Regen, als er sie um Verzeihung gebeten hatte und das erste Mal von seiner Mum gesprochen hatte. Im Hotel, kurz bevor sie sich aufeinander eingelassen hatten. Und zuletzt in der Agentur, als sie ihn zufällig wiedertraf. Was zerriss ihn nur so? Sie musste schwer schlucken und sah weiter in sein Gesicht. Es war so offensichtlich. Und gleichzeitig war es so unerträglich grausam.

„Es gibt keine Modelagentur, hab ich Recht?", fragte sie dann monoton. Sein Ausdruck blieb unverändert, als hätte er mit ihrer Schlussfolgerung bereits gerechnet. Ohne den Blick von ihren Augen zu nehmen, schüttelte er dann den Kopf.
„Es gibt keine Modelagentur." Louisa spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Deshalb also die Emotionslosigkeit. Deshalb war kein Betrieb im Foyer der Agentur gewesen. Nicht einmal der Taxifahrer hatte gewusst, wovon sie sprach. Sie spürte, wie ihre Beine immer schwerer wurden. Immer noch lag Jacobs Hand an ihrer Wange. Allmählich bekam sie Angst. Was tat sie hier?

„Was machst du wirklich?", fragte sie und stellte erschrocken fest, dass ihre Stimme nicht mehr als ein Flüstern war. Zweifelsfrei erkannte sie, wie er mit sich rang. Es kostete ihn Überwindung, aber das war egal. Die hatte es sie auch gekostet. So viele Male.

„Ich verkaufe Mädchen", sagte er dann. Offenbar hatte er es selbst das erste Mal ausgesprochen. Ich verkaufe Mädchen. Sie hörte, wie seine Worte in ihrem Kopf schallten. Jetzt schien der Schwindel Überhand zu nehmen. Mittlerweile spürte sie ihre Beine überhaupt nicht mehr. Hinsetzen. Bevor sie unfreiwillig auf dem Boden lag. Sie stützte sich an der Containerwand ab und ging langsam in die Hocke. Er verkaufte Mädchen. Für was? An wen? Für ihn? Er hatte sie verkaufen wollen. Hatte er? Vielleicht hatte er es getan. Der Kopfschmerz hinderte sie daran, den Gedanken zu Ende zu denken. Noch nie hatte sie einen derartigen Schmerz verspürt. Vor ihren Augen flimmerte es bereits schwarz. Zusammenreißen. Verzweifelt presste sie die Augen zusammen, dann ballte sie die Hände zu Fäusten und drückte zu. Blut pumpen. Sie durfte auf keinen Fall das Bewusstsein verlieren. Bloß nicht. Wer weiß, wo sie zunächst wieder zu sich käme. Ob sie überhaupt wieder zu sich käme. Erschrocken war Jacob ebenfalls in die Knie gegangen.

„Lou, du brauchst dringend Ruhe, du hast eine Gehirnerschütterung, damit ist nicht zu spaßen." Nur dumpf hörte sie seine Stimme, als wäre er kilometerweit entfernt. Was bedeutete schon eine Gehirnerschütterung, wenn sie nicht einmal wusste, was jetzt mit ihr geschah. Was sie mit ihr anstellen würden?
„Was passiert mit mir?", stieß sie hervor und sah ihn für den Bruchteil einer Sekunde an. Er litt. Irgendetwas bereitete auch ihm unglaubliche Schmerzen. War er verletzt? Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er verwundet war.

„Es wird nichts passieren, das verspreche ich. Nicht mit dir. Ich tue dir nichts, ich... tu es nicht." Sie nahm seine Worte nur noch auf einem Ohr wahr. Stattdessen wurde ihr Körper von Angstgefühlen durchflutet. Panik. Das musste das Adrenalin sein. Für einen Moment spürte sie keine Schmerzen mehr. Wie herrlich befreiend. Sie öffnete die Augen und sah ihn an. Klar und deutlich erkannte sie ihn nun wieder direkt vor sich.

„Du brauchst dringend ärztliche Hilfe, ich hab einige Semester Medizin studiert, ich weiß, wovon ich spreche." Medizin? Studium? Nein. Sie hatte kein Vertrauen mehr in das, was er sagte.
„Lass mich hier raus, Jacob." Sie wollte sich an der Wand hochziehen, aber er drückte sie wieder zurück.
„Ich kann nicht. Ich würde es sofort tun, wenn ich könnte, ich... kann nicht. Ich weiß nicht, was passieren wird." Oh Gott.
„Welcher Fehler? Was meinst du damit, dass ich dein Fehler bin?" Sie saß mittlerweile auf dem Boden und presste sich mit dem Rücken an die Containerwand, als könnte sie so weiter von ihm zurückweichen. Möglicherweise würde die Wand nachgeben, bei der Kraft, die sie plötzlich verspürte.
„Ich...-" Er brach ab. Sag es.
„Was genau ist deine Aufgabe?", versuchte sie es.
„Ich bin vor etwa einem halben Jahr reingerutscht. Sie haben mir angeboten-"
„Wer sind sie?", unterbrach sie ihn. 

„Mein Vorgesetzter und sein Boss. Ich kenne ihn nicht. Ich weiß nichts, ich habe ihn noch nie gesehen. Ich wurde angesprochen, ob ich Interesse an schnellem Geld habe. Irgendwer wusste, dass ich es brauche, dass ich dringend Geld für die Behandlung meiner Mutter brauche. Keine Kosten wurden übernommen, sie hatte gerade versucht, sich das Leben zu nehmen. All meine Nebenjobs reichten bei Weitem nicht aus." Er hielt kurz inne und presste die Lippen aufeinander. Gott, was litt er für Schmerzen?

„Ich habe eingewilligt. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich einlassen würde, aber sobald ich drin war, war ich ausgeliefert. Ich bin Teil einer Untergrundorganisation in San Francisco. Organisiertes Verbrechen." Was zur- Nein. Bitte nicht. Sie spürte, wie sich ein unsichtbares Band um ihren Hals legte und ihr langsam die Luft abschnürte.

„Sie haben mir gesagt, dass meine einzige Aufgabe sei, hin und wieder einen speziellen Typ Mädchen aufzutreiben. Ich müsste sonst nichts tun, nichts mit Drogen, keine Gewalt. Nur die Mädchen. Sie entsprechen alle einem gewissen Muster. Sie sind blond, jung, sie sehen... unschuldig aus, sie ähneln sich alle. Ich weiß nicht, weshalb, ich schwöre es. Ich muss... mich informieren über die Hintergründe der Mädchen. Sie dürfen nicht hier aus der Stadt sein, zumindest nicht alle. Ich soll ihr Vertrauen gewinnen, sie dann in die Agentur locken unter dem Vorwand, dass dort ein Probeshooting auf sie wartet. Lou, du glaubst ja gar nicht, wie viele darauf anspringen. Ich bringe sie zu einem vereinbarten Termin dorthin, ab dann bin ich raus aus der Sache." Er sah sie an und schien um seine Beherrschung zu kämpfen. Seine Stimme war immer schneller geworden und hatte zu beben begonnen. Louisa zitterte mittlerweile. Blond. Jung. Probeshooting. Es passte alles. Du siehst so unschuldig aus. Es waren seine Worte gewesen. Sie war auf ihn hereingefallen. Von Anfang an.


Hallo Du,

seit Tagen, Wochen, Monaten,
kann ich hier schon beobachten,

wie treu du bist und immer hier
dies große Freud' bereitest mir.

Mit vielen Votes und lieben Worten,
begleitest mich zu all den Orten,

die meiner Fantasie entspringen,
das alles kann nur dank dir gelingen.

Bedanken möcht ich mich bei dir,
für alle Unterstützung hier,
wär alles anders ohne dich,
drum bist du echt ein Schatz für mich.

Danke!

BrokenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt