Siebenunddreißig

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„Er muss hier gewesen sein, das Bett wurde benutzt. Und das Haus wirkt bewohnt. Wir waren seit mindestens zwei Jahren nicht mehr hier, also kann es keiner von uns gewesen sein", sagte Taylor und ließ den Blick nachdenklich durch das Zimmer schweifen. Verdammt. Es war ganz schön gruselig hier.

„Kannst du dir vorstellen, dass er hier...wohnt?", fragte Alea leise und sah von dem Bett in Taylors Gesicht. Noch während sie gesprochen hatte, war er bereits auf einen alten Kleiderschrank zugelaufen. Die Tür quietschte etwas, als er sie öffnete.

„Sieht ganz so aus." Alea schluckte und betrachtete die sortierte Kleidung im Schrank. Es waren hauptsächlich Hemden, Jeans und Jacketts aufgehängt. Daneben lagen einige zusammengelegte Pullover und Shirts.

„Meinst du, er ist noch hier?", presste sie hervor und sah zur Zimmertür, die wohl auf den Flur führen musste. Sie hatte eine Gänsehaut. Dunkel lag der Raum vor ihr. Nur der Flur wirkte noch dunkler.
„Ich denke nicht, deine kleine Actioneinlage hätte ihn längst aufmerksam werden lassen. Aber ich guck nach." Taylor wandte sich schließlich vom Schrank ab und lief ebenfalls auf die Zimmertür zu. Sie stand weit offen, als würde sie beide einladen, sich im Haus umzuschauen.

Taylor wirkte selbstbewusst, als er die Tür vollständig aufzog. Kein Wunder. Schließlich war das sowas wie sein Zuhause. Stopp. Würde er sie etwa alleine im Zimmer stehen lassen? Mit geweiteten Pupillen folgte sie ihm mit dem Blick.

„Keine Alleingänge mehr. Ich komme mit." Sie sah ihn an woraufhin Taylor sich erneut zu ihr drehte und die Augenbrauen hochzog.

„Aber du bleibst hinter mir, okay? Wir sollten besser zusammen bleiben." Sie wehrte sich gegen den Gedanken, sich alleine im Haus zu bewegen. Er war hier. Oder zumindest umgab sie irgendeine seltsame Aura. Als würde sie jemand beobachten. Oder etwas.

„Damit kann ich leben", erwiderte sie dann und folgte ihm in Richtung Tür. Taylor hielt einen Moment inne. Vom Flur drang kein Geräusch zu ihnen vor, das Haus war von einer unheimlichen Stille erfüllt. Alea hielt die Luft an, während sie auf Taylors breites Kreuz schaute. Wie konnte jemand hier alleine leben? In einem verlassenen, großen Haus mitten im Wald? Erneut rieb sie sich über die kalten Arme. Sie fühlte sich wie in einem ihrer heißgeliebten Krimis. Der einzige Unterschied war, dass sie diesmal nicht die letzte Seite zuerst lesen konnte.

„Willst du in jedem Zimmer nachsehen?", fragte sie so leise sie konnte und sah zu Taylor hoch. Er nickte nur angespannt, während er auf den Flur trat und sich nach rechts wandte. Alea folgte ihm leise und erhaschte nun zum ersten Mal einen Blick auf den dunklen Flur. Leer. Kein Jacob, keine Louisa, kein Verbrechen. Der Boden war ebenfalls mit dunklem Holz ausgelegt, die Wände waren hier in einem erdigen Ton gehalten und mit einigen Bildern behängt. Es waren Familienbilder aus glücklichen Zeiten. Sie spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief.

„Bleib hier stehen." Taylor hatte sie nicht angesehen, während er einige Schritte weiter lief und die nächste Tür öffnete. Er warf nur einen kurzen Blick hinein und lief dann zur nächsten Tür. Und dann zur letzten.

„Alles unauffällig. Bis auf das Zimmer mit dem Bett und der Kleidung sind alle unbenutzt", sagte er leise, während Alea ihre eiskalten Hände in ihre Hosentaschen schob. Sie fror. Es war eiskalt hier. Tot.

„Also nutzt er nur das eine Zimmer?" Es war selbsterklärend, sie fragte nur noch einmal der Bestätigung halber. Taylors Gesicht war starr, sie erkannte seine Anspannung und gleichzeitig beruhigte es sie, dass er da war. Etwas zumindest.

„Macht Sinn, er braucht ja nur ein Zimmer. In dem hat er früher auch geschlafen, wenn wir hier waren. Lass uns nach unten gehen."

Alea nickte nur und folgte ihm dann leise in Richtung Treppe, die sich am Ende des Flures befand.

„Die Stufen knarren ein bisschen, also nicht erschrecken."

Er legte eine Hand an das Geländer und begann langsam den Abstieg nach unten. Äußerlich wirkte er ruhig, doch seine Anspannung war beinahe spürbar. Und Alea ging es nicht anders. Welches Geheimnis hütete dieses Haus? Tausend Möglichkeiten vom Folterkeller bis zur einfachen Wohnküche geisterten in ihrem Kopf umher, und sie war sie nicht sicher, welche ihr am liebsten war. Eigentlich wirkte das Haus so harmlos, man hatte erkennen können, dass jemand sich Mühe gegeben hatte, es gemütlich einzurichten. Aber jetzt war es verlassen, ein wenig heruntergekommen und Schauplatz etwas Mysteriösem. Hier herrschte etwas Unheimliches, Unheilvolles, ein Gefühl, als stünde eine Katastrophe direkt bevor. Und Alea wurde das Gefühl nicht los, das es so war.

Unten angekommen befanden sie sich wieder in einem Flur, der sich nicht besonders von dem des oberen Stockwerkes unterschied. Auffällig war nur, dass beinahe alle Türen offen standen, bis auf eine einzige. Sie fing Aleas Blick. Augenblicklich spürte sie, wie ihr Herz schneller schlug. Lou? Bist du da drin? Während Taylor zielstrebig in die Küche gelaufen war, blieb Alea vor der verschlossenen Tür stehen. Alleine die Tatsache, dass sie verschlossen war, hatte etwas Anziehendes. Einen Moment lauschte sie nach Geräuschen, aber nach wie vor schien die Umgebung tot. Sie hatte bereits ihre Hand auf die Klinke gelegt, zögerte jedoch. Was, wenn sie dahinter ein Verbrechen vorfand? Was, wenn das Verbrechen geschehen würde, sobald sie den Raum betrat? Wer oder was würde sie dort erwarten? Reiß dich zusammen jetzt! Es war lediglich ihre Fantasie, die ihr einen Streich spielte. Sie hatte zu viele Krimis gelesen. Das Unwohlsein, das sie in ihrem Magen verspürte, rührte sicher daher, dass sie sich wie ein Eindringling fühlte. Sie schnüffelte in einem fremden Haus, in einem fremden Leben. Scharf fuhr sie zusammen, als sie ein schrilles Geräusch hörte. Taylor. Er war in der Küche und hatte Geschirr klirren lassen.

Nervös sah sie wieder auf die Tür vor sich. Es war eine Ausnahmesituation. Also Schluss mit der Schisserei. Louisa brauchte sie. Und vielleicht hatte Alea sie bald gefunden. Hoffentlich. Nur hoffentlich nicht hier. Sie holte noch einmal tief Luft und ignorierte ihr Gefühl, das ihr sagte, dass hier etwas nicht stimmte. Dann drückte sie die Klinke herunter.

Sie hatte Recht behalten. Der abgedunkelte Raum vor ihr war anders als jeder einzelne, den sie bisher betreten hatte. Ursprünglich war dieses Zimmer wohl ein großes Esszimmer gewesen, jetzt jedoch glich es einer Kommandozentrale in einem Kriegsfilm. Auf dem Esstisch in der Mitte des Raumes lagen unzählige Papiere und Aktenmappen, Alea konnte sie im ersten Moment nicht einordnen, es herrschte Chaos auf dem Tisch, als seien die Unterlagen nach etwas Bestimmtem durchsucht worden. Hastig huschten ihre Augen durch den gesamten Raum. Leer. Keine Louisa. Kein Verbrechen. Die Wände des dunklen, nur spärlich von Tageslicht beleuchteten Raumes waren über und über mit Papieren behängt, darunter auch einige Fotos. Soweit Alea sie überflog, handelte es sich zum Großteil um Mädchen. Was zum...das durfte nicht wahr sein. Das hier musste des Rätsels Lösung sein. Sie hatte den Dreh- und Wendepunkt entdeckt. Noch während sie mitten im Raum stand und an eine der beklebten Wände starrte, schluckte sie einen schweren Kloß herunter. Hier würde sie vermutlich alle Antworten finden. Antworten auf Fragen, die sie seit Tagen beschäftigten, auf Fragen, die sie sich nicht zu stellen gewagt hatte und Antworten, die sie möglicherweise nicht wissen wollte.

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