Siebzehn

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Stunden des Wartens waren vergangen, in denen Alea immer wieder zwischen Fenster, Zimmertür und Taylor hin- und hergeschaut hatte. Es war zeitweise still um beide gewesen, niemand wusste, was er sagen sollte, beide hingen sie Ewigkeiten ihren Gedanken nach. Unruhig sah sie sich erneut im Zimmer um. Dem Schatten nach zu urteilen, den die Vorhänge auf dem Boden hinterließen, wurde es bereits Abend. Stundenlang hatte sie nicht mehr auf die Uhr gesehen, das hätte ohnehin nur zur Folge, dass sie sich noch mehr sorgen würde. Das Gespräch, das sie am Morgen noch auf der Polizeistation geführt hatte, schien in schier unendlicher Vergangenheit zu liegen. Jedes Mal, wenn Schritte auf dem Gang zu hören waren, wanderte ihr Blick instinktiv zur Tür, doch Louisa kam nicht.

Taylors Anwesenheit machte die Sache nicht leichter, er hielt sich zwar zurück und hatte aufgehört, sie mit Fragen zu löchern, doch Alea wusste, dass er sie beobachtete, wenn er nicht gerade Krisentelefonate mit seinem Vater führte oder Gegenstände auf dem Tisch hin- und herschob. Er nahm beinahe den gesamten Raum ein durch seine große und breite Erscheinung. Sie hatten in den vergangenen Stunden so wenig gesprochen, dass sie unmöglich einschätzen konnte, was in seinem Kopf vor sich ging. Er schien ebenso angespannt wie sie und trotzdem saßen sie beide nur da, unsicher darüber, was sie unternehmen sollten. Was erwartete er? Dass sie einen Plan hatte? Dass sie wusste, was zu tun war? Denn das wusste sie nicht. Sie war ohnmächtig. Sie hatte keine Ahnung, wo Louisa war. Wo sie sich mit wem aufhielt. Ob sie tatsächlich zu dem Shooting gefahren war. Hatte sie das nicht noch so vehement abgelehnt? Was war mit ihrer Wut auf Jacob geschehen? Was hatte er ihr erzählt? Alea spürte ihr schlechtes Gewissen in ihrem Magen hämmern. Der Zweifel, den sie am Morgen gehegt hatte, nur kurz bevor sie zu Captain Brookstone aufbrach, war berechtigt gewesen. Sie hätte besser aufpassen müssen, bleiben müssen, das hatte sie bisher immer getan.

„Deine Freundin lässt sich ziemlich viel Zeit, wir haben schon Abend", sagte Taylor in die Stille und sah auf seine Armbanduhr.
„Ich weiß auch nicht, wo sie steckt", erwiderte Alea und spielte nervös an ihrer eigenen Armbanduhr herum, bedacht darauf, sie immer noch nicht zu beachten. Noch nie hatte sie eine Uhrzeit so gefürchtet. Taylor stand auf und lief erneut im Zimmer auf und ab. In den vergangenen Stunden musste er Kilometer hinter sich gelegt haben. Es machte Alea noch unruhiger als sie es ohnehin schon war.

„Sollten wir nicht langsam mal die Polizei einschalten?" Sie hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, jetzt hatte sie ihn ausgesprochen. Taylor lief weiter, als könne sein Pilgern allem ein Ende setzen.

„Das bringt doch nichts, es steht ja noch nicht einmal fest, ob deine Freundin wirklich verschwunden ist. Sie ist mit Jake unterwegs und das ist kein hinreichendes Verdachtsmoment um die Polizei einzuschalten. Ist ja nicht einmal gesagt, dass Jake irgendwas im Schilde führt." Er glaubte immer noch an ein harmloses Ende. Offenbar weigerte er sich, Zweifel zuzulassen. Waren sie so abwegig?
„Das weißt du doch gar nicht. Seit Monaten hattest du keinen Kontakt zu Jacob, das hast du selbst zugegeben." Und Monate konnten Menschen ändern. Monate konnten alles ändern.
Taylor fuhr sich durchs Haar.

„Ich weiß, in sechs Monaten kann eine Menge passieren. Aber Jake ist mein bester Freund, wir sind zusammen aufgewachsen. Ich kenne ihn, er hat das Herz am richtigen Fleck. Ich vertraue ihm." Er sah Alea eindringlich an, die kurz den Kopf schüttelte und wieder zum Fenster sah. Damit war er alleine.

„Ich würde dir so gerne glauben, Taylor. Aber Jacob verhält sich komisch, er sagt dir nicht einmal, wenn er in der Stadt ist. Dass er überhaupt in der Stadt ist, er bricht grundlos den Kontakt ab, er-" schleicht um Louisa wie ein verdammtes Raubtier.
„Das sind keine hinreichenden Fakten. Ja, Jake verhält sich sehr komisch und ich find's nicht okay, dass er spurlos verschwindet. Aber er wird seine Gründe haben, es macht ihn nicht gleich kriminell und solange es keine Beweise für das Gegenteil gibt, ist er unschuldig. Weshalb soll ich ihn beschuldigen, Verbrechen zu begehen, nur aus Stolz und Kränkung über seine Entscheidung, mir aus dem Weg zu gehen?" Taylor war stehengeblieben und sah sich in dem kleinen Zimmer um. Für ihn musste es klein sein. Zweifellos versuchte er, sich selbst zu überzeugen. Er erinnerte ein bisschen an einen Tiger, gefangen in einem Käfig.

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