Fünfundzwanzig

773 176 21
                                    

„Vielen Dank." Sie zahlte den Taxifahrer und sah währenddessen schon auf das Gebäude vor sich. Schnieke. Jacob hatte recht behalten, es lag deutlich außerhalb der Innenstadt. Unsicher lief sie auf die weiße Fassade zu und schob die Hände in ihre Jeanstaschen. Es gab wenige Orte, an denen sie sich fehlplatzierter fühlte als in einer Modelagentur. Auf dem Spielfeld des  Superbowls vielleicht. Einfach nicht nachdenken. Sie tat Jacob einen Gefallen damit.

Entschlossen und bevor sie es sich anders überlegen konnte, zog sie die Tür auf und betrat das Foyer. Innen war es so still, dass sie ihren eigenen Herzschlag hören konnte. Er war beinahe krankhaft schnell. Nervös sah sie durch das karge Foyer. Viel los war hier nicht. Ihr Blick blieb schließlich an einem Schreibtisch inmitten des Raumes hängen, hinter dem eine hübsche Blondine saß. Natürlich war sie hübsch. Ihr Haar hatte sie elegant zurückgesteckt, die Lippen waren tiefrot geschminkt. Ein wenig erinnerte sie an Sarah aus dem Club. Angespannt lief Louisa auf den Schreibtisch zu, bis die Frau schließlich aufsah. Nanu?  Sie hatte nicht einmal einen PC vor sich, sondern blätterte in der Cosmopolitan. Himmel, wo war sie hier nur gelandet? Kurz räusperte sie sich. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

„Guten Tag, mein Name ist Louisa Breston, ich ... komme wegen... eines Probeshootings", sagte sie dann. Die Frau ihr gegenüber sah mit ihren eisblauen Augen unmittelbar in Louisas. Gott. Sie schluckte.
„Tut mir Leid, der Geschäftsführer ist nicht im Haus. Kommen Sie doch bitte ein andermal wieder", sagte sie dann höflich. Welcher Geschäftsführer? War Jacob etwa...?
„Ich hab keinen Termin mit dem Geschäftsführer. Eigentlich habe ich gar keinen Termin. Ich ... wurde von Jacob auf die Agentur aufmerksam gemacht." Vielleicht funktionierte es ja auf diesem Wege. Ihr perfektes Gegenüber hatte keine Miene verzogen. Wahrscheinlich auch eins seiner Models. Klasse.


„Davon weiß ich nichts. Wenn Sie einen Augenblick warten würden." Jetzt stand sie auf und wandte sich von Louisa ab. Sie trug ein weißes, kurzes Minikleid und schwarze Pumps. Louisa folgte ihr mit dem Blick, bis sie durch eine Tür verschwunden war. Dann sah sie sich noch einmal um. Sie war alleine im Eingangsbereich. Auch sonst konnte sie keinen Betrieb erkennen. Arbeitete heute vielleicht niemand hier? Aus sämtlichen Castingshows kannte sie Modelagenturen immer belebt und chaotisch, beinahe unübersichtlich. Hier wirkte alles leblos und geordnet. Steril. Unweit von ihr gab es einige Sitzmöglichkeiten, daneben einen Tisch mit Frauenmagazinen. Das gesamte Foyer war in Weiß gehalten, selbst die Blumen auf dem Empfangstresen. Weiße Lilien. Bestattungsblumen.  Sie rieb sich über die Gänsehaut an den Oberarmen. Seit wann war es so kühl hier? Alles, was jemals mit dieser Agentur in Verbindung gestanden hatte, war kalt. Die Menschen, die Stimmung, das Gebäude. Jetzt wäre sie vermutlich doch lieber auf dem Spielfeld des Superbowls. Sie schmunzelte ein wenig. Locker machen. Das hier war ganz bestimmt nicht der Palast der Eiskönigin.

„Miss, wenn Sie mir bitte folgen würden." Die Lady in White war zurückgekehrt und auf halbem Wege zwischen der Tür und dem Empfangstisch stehengeblieben. Noch bevor Louisa reagieren konnte, hatte sie sich bereits wieder umgedreht und steuerte mit elegantem Hüftschwung erneut auf die Tür zu, durch die sie gekommen war. Next Level. Eilig folgte Louisa ihr. Sicherlich wurde sie jetzt in das schnieke Büro von Victor geführt. In sein Reich. Ob er überhaupt Zeit für sie hatte? Ein unangenehmes Schweregefühl breitete sich in ihrem Magen aus.

„Hier gleich rechts bitte." Huch? Die White Lady war stehengeblieben, noch bevor Louisa sich in dem Bereich, der aus dem Foyer nicht einzusehen war, überhaupt umsehen konnte. Großer Gott. Was war denn hier los? Die Eleganz aus dem Foyer war nahezu vollkommen verschwunden. Der Gang, der vor ihr lag, war trist, Schmutz lag auf dem Boden und die Tapete hing teilweise von den Wänden. Unsanft schob sie Louisa in das erste Zimmer zu ihrer Rechten, als diese nicht sofort reagierte. Geht's noch? Sie stolperte unbeholfen in den Raum und drehte sich perplex zu der weißen Dame, die die Tür unmittelbar hinter ihr schloss.

BrokenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt