Einundfünfzig

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Sie schluckte, während sie seinem Blick standhielt. Er hatte die Waffe nicht mehr gehoben, aber er war unberechenbar. Sie konnte auf nichts zählen, was er sagte.

„Was Jacob da getan hat, ist Hochverrat. Ich sehe nicht den geringsten Grund, ihn gehen zu lassen", sagte er dann und strich ihr mit dem Lauf seiner Waffe eine Strähne aus der Stirn. Sie rührte sich nicht. Sie war starr vor Angst. Es schien aussichtslos. Die Würfel waren gefallen.
„Ich gehe mit Ihnen, wenn Sie uns danach alle in Ruhe lassen. Widerstandslos. Ich tue, was Sie von mir verlangen. Die Alternative ist, dass die Polizei jeden Moment hier eintrifft. Sie haben gehört, was er vorhin gesagt hat." Mit einem Kopfnicken deutete sie in Richtung des Mannes neben Alea. Ihre Stimme zitterte. Es war ein erbärmlicher Bluff, mehr nicht. Sie war noch nie gut darin gewesen. Ihr Gegenüber lachte nur. Natürlich hatte er sie durchschaut.

„Okay, was ist hier los? Was willst du tun, Lou? Was bedeutet das alles? Was hat Jacob mit dir angestellt? Sag es!" Es war Alea, die sich einmischte. Ihre Stimme war laut, verzweifelt. Es brach aus ihr heraus. Unmöglich konnte sie den Gesprächen folgen, viel zu wenig hatte sie mitbekommen. Louisa schloss kurz die Augen.

„Wie wäre es, wenn du einmal die Hosen runterlässt, Jacob? Erzähl es ihnen! Erzähl ihnen allen, weshalb du sie in diese missliche Lage gebracht hast!" Es war purer Triumph, der aus der lauten Stimme des Bosses hervorging, Schadenfreude und Siegessicherheit. Er genoss es sichtlich, Jacob zu demütigen. Mit nur einer kräftigen Bewegung hatte er Louisa barsch an sich gezogen. Unsanft presste er sie an seinen Oberkörper, seine wurstigen Finger fest an ihren Bauch gedrückt. Sie wagte keine Bewegung, während er seine Waffe wieder auf Jacob richtete. Mit dem Rücken an den massigen Oberkörper des Mannes hinter sich gepresst, stand sie ihnen allen nun gegenüber. Nur wenige Schritte entfernt, die doch so endlos erschienen. Entsetzt drehte sich auch Alea zu Jacob.

„Was soll das heißen? Was hast du getan? Was ist Hochverrat?", schrie sie ihn an. Diesmal klang es mehr wütend als verzweifelt. Sie hatte ihm von Beginn an misstraut. Er sah sie nicht an. Er reagierte überhaupt nicht.

„JACOB!", schrie sie aufgebracht und riss sich los, als ihr Begleiter sie am Arm festhalten wollte. Er reagierte immer noch nicht.
„Ich wusste es, die ganze Zeit wusste ich es. Ich hab dir keine Sekunde vertraut, du bist erbärmlich, Jacob, ein Feigling. Ein Nichts hinter der ganzen Fassade." Nein. Erschrocken beobachtete Louisa ihre aufgelöste Freundin. Sie konnte nicht wissen, dass Jacob jedes ihrer Worte glauben würde, dass sie ihn noch mehr zerreißen würden, vielleicht würden sie ihn sogar zurück ins Eiswasser stoßen. Sie wollte etwas erwidern, ihn in Schutz nehmen und ihre Freundin beruhigen, aber der Druck, den die Hand auf ihrem Bauch ausübte, nahm ihr die Luft. Erneut hatte Aleas Begleiter sie am Arm genommen und diesmal wehrte sie sich nicht. Er zog sie ein Stück beiseite und trat dafür selbst einen Schritt auf Jacob zu. Immer noch stand dieser starr an seinem Platz, regungslos, und starrte ins Leere. Schau her, Jake. Bleib ruhig. Er reagierte nicht.

„Sag uns, was passiert ist, Jake. Wir sind hier um zu helfen. Wir wissen von Frank Lanza. Und von der Hütte. Was ist hier los?" Der Fremde klang deutlich ruhiger, als er mit Jacob sprach. Sie mussten sich gut kennen. Er musste Jacob gut kennen. Erneut spürte Louisa einen unangenehmen Druck, der direkt auf ihren Magen ausgeübt wurde. Hütte? Und woher kannten sie den Namen auf der Hotelrechnung?

„Hast du sie angefasst, Jacob? Falls ja, dann...-" Alea brach den Satz ab und es wurde unerträglich still. Lediglich das schwere, beinahe befriedigte Atmen des Bosses hinter sich hörte Louisa an ihrem Ohr. Er musste höchst amüsiert sein. Es war ein einziges Puppentheater, bei dem er die Fäden zog.

„Ich wollte Lou verkaufen. So wie sie alle zuvor. Ich habe Mitschuld an Ava Carters Tod. Und wahrscheinlich an dem vieler anderer Mädchen auch. Ich habe Geld dafür bekommen, dass ich junge Mädchen um den Finger wickele und dann der Prostitution ausliefere. Sie war perfekt dafür. Nicht einmal aus der Stadt, ahnungslos, aufgeschmissen, nicht erreichbar für niemanden. Und auch noch frisch getrennt. Betrogen und verraten. Und ich wusste, dass ich eine anziehende Wirkung auf sie habe." Jacob starrte noch immer regungslos vor sich. Louisa musste schwer schlucken. Ihr Hals war vollkommen ausgetrocknet. Es schmerzte enorm. Sie sah, wie Alea die Hand vor den Mund geschlagen hatte. Ziemlich sicher schluchzte sie, auch wenn sie versuchte, es zu unterdrücken. Auch der Mann neben ihr schluckte.

„Ich habe die Finger von den Mädchen zu lassen, weil sie für ihn alleine bestimmt sind. Nur für ihn und seine perversen Fantasien. Aber es kam irgendwie anders. Wir kamen uns näher. Ich habe mit ihr geschlafen. Und es war grandios." Jetzt sah er Louisa direkt an. Unverkennbar sah sie etwas in seinen Augen aufblitzen, das sie beinahe lächeln ließ. Er schämte sich keineswegs dafür. Es klang beinahe stolz. Und er hatte Recht. Es war kein Fehler gewesen, sondern grandios.

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