Fünfzehn

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Während sie an der Hauptstraße entlanglief, dachte sie über die Formulierung ihrer Anzeige nach. Einige Stunden Fußweg hatte es gedauert, aber jetzt wusste sie ungefähr, wie sie lauten würde. Damit würde Jacob sicher nicht davonkommen. Auch, wenn sie sich nicht sicher war, was er da getan hatte, es musste strafbar gewesen sein.

Noch nie hatte sie jemand am Straßenrand stehen lassen. In einer fremden Stadt. Alleine. Dass es kurz darauf auch noch zu gewittern begonnen hatte, war des Schicksals nächster Streich gewesen. Wie konnte sie überhaupt nur in sein Auto steigen. Steig niemals zu einem Fremden ins Auto. Weit länger als 15 Jahre wusste sie das schon. Außerdem war es das Auto, das sie nur vor wenigen Tagen beinahe angefahren hätte. Möglicherweise war sie damals zwar achtlos auf die Straße gelaufen. Aber offensichtlich stand die Begegnung zwischen Jacob und ihr von Beginn an unter keinem guten Stern. Eher unter dunklen Gewitterwolken. Es heftiges Grollen breitete sich über ihrem Kopf aus, gefolgt von stechenden Lichtblitzen. Sowas von unter dunklen Gewitterwolken. Nicht einmal ihre Tasche hatte sie noch aus dem Fußraum holen können. Sie lag in seinem Wagen, im Trockenen, an der Heizung. Egal. Lieber würde sie alle Karten sperren lassen als sie sich bei ihm abzuholen. Höchstens von der Anklagebank durfte er sie ihr noch reichen.

Im ersten Moment hatte sie daran gedacht, die Polizei zu rufen. Aber abgesehen davon, dass sie nicht einmal ein Handy bei sich trug, war sie jetzt auch noch ohne Ausweis unterwegs. Und was hätte sie überhaupt sagen sollen? Sie kannte nicht einmal seinen vollständigen Namen. Sie-wissen-schon-wer hat mich am Straßenrand ausgesetzt. Sie-wissen-schon-wer ist einfach mit meiner Tasche weggefahren. Es war so bitter. Wütend schnaubte sie und strich sich dann das nasse Haar aus dem Gesicht. Auch, wenn die Parallelen zwischen Jacob und dem dunklen Lord ihr immer offensichtlicher erschienen, war es ihre eigene Schuld. Von Anfang an war es ihre eigene Schuld gewesen. Dummes Mädchen. Dummes, dummes Mädchen. Jeder Laden, in dem sie sich nach dem Weg erkundigt hatte, jeder Schritt in durchnässter Kleidung, jeder verdammte Regentropfen hatte sie wütender gemacht. Möglicherweise auf sich. Aber um das tausendfache mehr auf Jacob. Was war nur verkehrt mit ihm?

Was um alles in der Welt war sein Problem gewesen? Sie? Victor? Möglicherweise war der Kinnhaken im Nachtclub im Nachhinein betrachtet ja doch angemessen gewesen. Wie konnte es sein, dass er zuvor so unglaublich ausgelassen war und sie ihn zu solchen Aggressionen brachte? Sie? Louisa dachte zurück an die verbliebenen Erinnerungen im Club. War er nicht eigentlich außerordentlich charmant? Beinahe charismatisch? Wer bist du, Jacob? Und was macht dich so sauer? Sie spürte, wie sie zu zittern begann. Sicherlich trug die Wut ihren Teil dazu bei, aber hauptsächlich war ihr kalt. Seit Stunden lief sie in nasser Kleidung durch die Straßen und mit jedem Schritt wurde das Quietschen ihrer nassen Schuhe lauter. Immerhin erkannte sie mittlerweile, wo sie war. Es war nicht mehr weit zum Hostel. Hoffentlich war Alea bereits von ihrem Termin zurück. Louisa musste Stunden unterwegs gewesen sein. Ob Alea bereits von Avas Tod gehört hatte? Von ihrer Ermordung? Flüchtig rieb Louisa sich über die eiskalten, nassen Arme. Als ob das etwas helfen würde. Avas Tod machte sie immer noch fassungslos. Es war, als hätte sich das Foto auf ihrer Vermisstenanzeige in Louisas Kopf gebrannt.

Arme Ava. Sie musste an Avas Familie denken, an ihre Mum. An ihre Freundinnen, möglicherweise an ihren Freund. Als sie schlucken wollte, spürte sie einen dicken Kloß im Hals. Wer machte so etwas? Nachdenklich bog sie in die Straße zum Hostel ein. Der Tag war eindeutig verkorkst. Für einen Moment fragte sie sich, was wohl passieren konnte, das ihn noch schlimmer machte. Dann wusste sie es. Das darf nicht wahr sein.

Zügig lief sie auf den schwarzen BMW zu, der direkt vor dem Hostel parkte. Ihre nassen Füße in den Schuhen brannten, offensichtlich hatte sie sie sich wund gelaufen. Na warte. Erst jetzt spürte Louisa, wie ungemein wütend sie war. Herrlich. Es war die Wut, die einen so unfassbar stark spüren ließ, wie lebendig man war. Arme Ava. Kurz, bevor sie seinen Wagen erreicht hatte, stieg er aus. Es schüttete immer noch. Pass besser auf dein gestyltes Haar auf, Arschloch! Und besser gleich auch noch auf dein Gesicht.

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