Dreiunddreißig

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„Was passiert dann?" Auch ihre Stimme zitterte. Es war zu viel. Alles war zu viel.

„Ich weiß es nicht. Es geht um den Boss, er braucht sie für irgendetwas. Ich kann mir vorstellen, dass... es um Sex geht und Zwangsprostitution, Menschenhandel, aber ich schwöre dir, ich weiß es nicht sicher. Ich hab mich von den Mädchen fernzuhalten. Ich soll charmant sein, sie um den Finger wickeln. Aber ich habe mich fernzuhalten und die Distanz zu wahren. Das hab ich nicht. Nicht bei dir." Jetzt erkannte sie die Verzweiflung aus seinen Augen auch in seiner Stimme. Sie starrte ihn an. Nicht ohnmächtig werden. Sie war sich sicher, dass mittlerweile die gesamte Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war. Noch nie war ihr so unendlich kalt gewesen, wie jetzt.

Sicherlich würde sie nie wieder aufwärmen. Möglicherweise hätte sie nicht einmal die Möglichkeit dazu. Es war eine andere Form der Kälte, die sich in ihre Knochen geschlichen hatte. Die sie einnahm. Nicht einmal Jacobs Körperwärme konnte sie noch spüren. Alles um sie herum schien eingefroren.

Er musste Mädchen ausfindig machen und sie ausliefern. Er erhielt Geld dafür, dass er Mädchen der Prostitution auslieferte. Er verkaufte sie wie andere Kleidung verkauften, Lebensmittel oder andere Gegenstände. Objekte. Sein Wagen, sein Auftreten, alles fügte sich nun zusammen. Sein einziges Ziel war es, Mädchen kennenzulernen. Sie zu verkaufen.

„Was weißt du über mich?", fragte sie tonlos und presste sich an die Containerwand. Der Schmerz an ihrem Rücken würde verhindern, dass sie das Bewusstsein verlor. „Alles." Er sah sie an. Sie wollte schlucken, aber die Angst verwehrte es ihr. Alles. Wie ein Echo schallte seine Stimme in ihrem Kopf. Nicht ohnmächtig werden.

„Ich weiß, dass du in Roseville aufgewachsen bist. Dass deine Eltern dort an einer Schule arbeiten, dein Dad ist Direktor. Momentan sind sie mit deinem Bruder Colin in Los Angeles um Urlaub zu machen, ihr steht ausnahmsweise nicht in regelmäßigem Kontakt. Ich weiß, wann und wo du geboren bist, dass du in Sacramento im Abschlussjahr studierst und dort eine eigene Wohnung hast. Bis vor Kurzem hast du sie mit deinem Ex Freund geteilt, aber er... hat dich verlassen. Dich und die Wohnung." Jacob hielt inne und Louisa spürte, wie ihr eine heiße Träne über die Wange rollte. Sie war ihm vollkommen ausgeliefert. Nicht einmal ihre Eltern würden bemerken, dass etwas nicht stimmte, viel zu weit weg waren sie und konnten Louisa nicht erreichen. Alea würde sich über ihre Abwesenheit wundern und reagieren, aber bis die Polizei etwas unternahm, wäre sie sicherlich nicht mehr in diesem Container. Vielleicht wäre sie überhaupt nicht mehr. Sie spürte, dass Jacob ihre zitternden Hände in seine nahm, sie war zu schwach, sich dagegen zu wehren. Was war das, ein Zeichen des Trosts? Tröstete er sich oder sie? Er hatte sie ausspioniert und ihre Nachteile zu seinen Vorteilen genutzt. Ihr Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit, ihre Schwäche nach der Trennung und das mangelnde Selbstvertrauen. Ihren guten Willen und ihre Hilfsbereitschaft. Er wurde bezahlt für das Vertrauen, das sie ihm geschenkt hatte.

„Woher...-", fing sie an, brach dann allerdings den Satz ab. Eigentlich wollte sie die Antwort gar nicht wissen.

„Du hast mir dabei geholfen, Lou. Du hast mir so viel verraten. Weißt du eigentlich, wie viel ich alleine über Facebook erfahren habe? Deine Fotos, Freunde, Familie, alles. Ich kannte dich doch kaum und doch wusste ich alles von dir. Wie kannst du es jemandem so leicht machen? Du gibst dein gesamtes Leben preis." Er drückte ihre Hände fester und sie sah ebenfalls darauf.

„Wieso ich?", fragte sie und sah dann wieder in sein Gesicht. Wieso hatte er in dieser Stadt ausgerechnet sie gewählt? Sie wimmelte sicherlich von hübschen Blondinen, die er viel leichter hätte überreden können. Er lächelte wehmütig.

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