Achtundzwanzig

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„Kannst du mich ein Stück höher heben?" Aleas Stimme klang fest, es war keine Spur eines Zögerns darin zu erkennen. Nicht mehr.
Er antwortete nicht, drückte sie stattdessen etwas mehr in die Luft.
Sie suchte einen festen Halt knapp über der Regenrinne und stemmte sich mit aller Kraft, die sie nach den letzten Stunden aufbringen konnte, nach oben. Stück um Stück zog sie sich auf das Vordach, bis sie schließlich darauf kniete.

Taylor fluchte leise.

„Verdammt, was hast du vor?" Er klang verärgert.
„Den Weg in dieses beschissene Haus suchen." Sie sah sich auf dem Vordach um. Es schien stabil zu sein. Noch.

„Du willst doch nicht etwa einbrechen?" Der Verärgerung wich Überraschung. Was hatte er vor? Wieder stundenlang warten? Einen Kuchen backen und sich als Nachbarn vorstellen?

„Doch, genau das habe ich vor. Wir haben keine Zeit für Höflichkeiten."

Ihm schien ihr Plan nicht zu gefallen, aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen.
„Sei bitte vorsichtig. Wenn du was siehst, dann komm runter, du machst hier keine Alleingänge, klar?", hörte sie ihn zischen.

Alea wandte sich den dunkeln Fenstern zu, die nun noch größer und gefährlicher wirkten als je zu vor, obwohl sie nichts dahinter erkennen konnte. Sie kroch langsam über die noch vom Morgentau rutschigen Ziegel des Vordaches, hochkonzentriert, nicht abzurutschen. Immer wieder sah sie kurz auf und stellte fest, dass sie kaum merklich vorangekommen war, es war wie in einem Albtraum, in dem man sich ewig am Platz bewegte. Reiß dich zusammen!

Ihre Finger waren mittlerweile eiskalt und schmerzten, ihre Hose sog die Feuchtigkeit der Ziegel auf wie ein Schwamm. Je weiter sie voran kam, desto kälter schien es zu werden. Die Luft brannte in ihrem Gesicht. Es war eine tote Kälte, die vom Haus ausging.

„Hey, ist alles okay bei dir?"
Taylors Stimme drang zu ihr vor, er war einige Meter zurückgetreten und ließ sie nicht aus den Augen, doch sie nahm nichts weiter wahr als die düsteren Höhlen direkt vor sich. Schließlich erreichte sie eines der Fenster und klammerte sich an dessen Rahmen fest. Sie hatte es geschafft.

„Alles gut....ich bin oben", keuchte sie und rang nach Luft. Ihre Lungen brannten. Während der ganzen Zeit hatte sie nicht gemerkt, wie anstrengend die Aktion gewesen war.

Obwohl ihre Finger vor Kälte und Feuchtigkeit schmerzten, klammerte sie sich am modrigen Rahmen fest, als hinge ihr Leben davon ab. Was es auf so viele Art und Weise auch tat.

Nachdem sie tief Luft geholt hatte, wandte sie sich dem Fenster zu, innerlich auf alles gefasst. Und gottverdammmich, da war er. Sie hatte es gewusst. Dort stand er. Sie spürte, wie ihr Herz einen Sprung machte und der Schrei, den sie ausstoßen wollte, in ihrer Kehle steckenblieb. Nein. Es war nur ein Hemd, das an einem Bügel unweit des Fensters hing. Heilige Scheiße. Es war nur ein Hemd. Unmerklich stieg Erleichterung in ihr auf, einen Moment hatte sie befürchtet, Jacob würde mit einer Pistole bewaffnet am Fenster auf sie warten. Vorsichtig beugte sie sich in Richtung des Fensters, um hineinzusehen. Dahinter lag ein Schlafzimmer. Sie konnte ein Bett erkennen, das benutzt worden war, jetzt war es verlassen. Das Zimmer vor ihr war leer, aber es bestand kein Zweifel, dass jemand hier gewesen war. Er war hier gewesen. Sie erkannte einen Schrank, eine Kommode und ein Schreibtisch. Der Boden bestand, soweit Alea es erkennen konnte, aus dunklem Holz, die Wände waren in einem warmen Beige gehalten und mit unterschiedlichen Fotografien behängt. Das Zimmer wirkte unpersönlich. Kahl. Das perfekte Versteck.



Entsetzt starrte Louisa Jacob an, der sich vollständig zur Tür gedreht hatte, die von außen aufgeschlossen wurde. Holy shit.

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