Einundvierzig

652 157 11
                                    

Sie selbst verharrte noch einen Moment und rutschte dann von ihrem Hocker.

So schnell es nach den letzten Stunden ging, lief sie zu Taylors Auto, das mittlerweile von etlichen Polizeiautos eingeparkt war. Jede freie Stelle der Wiese war zugeparkt, jetzt war die friedliche Stimmung endgültig verloren. Sie befand sich an einem Tatort.

Erleichtert stellte sie fest, dass Taylors Auto nicht abgeschlossen war und sie ohne Probleme an ihre Tasche kam.

Kurze Zeit später hatte sie ihren Geldbeutel mit dem Foto gefunden. Es war erst vor knapp einem Monat aufgenommen worden, es zeigte Louisa in der ersten Frühlingssonne Kaliforniens. Es war kurz vor ihrer Trennung gewesen, sie hatten sich lange über Dominic und sein Verhalten unterhalten. Trotz ihres Kummers strahlte Louisa auf dem Foto. Irgendetwas an ihr strahlte immer. Damals hatten sie noch keine Ahnung gehabt, was in Kürze passieren würde.

Alea seufzte und steckte ihren Geldbeutel zurück in ihre Tasche, die sie schließlich wieder in den Fußraum des Autos warf. Sie wollte gerade zum Haus zurück laufen, als sie Taylor etwas abseits des Hauses auf einem Stein sitzend bemerkte. Er wirkte niedergeschlagen, was bestimmt an dem Gespräch mit seinem Vater lag. Und möglicherweise an der Erkenntnis, dass sein bester Freund unter Mordverdacht stand. Nachdenklich sah er in den Wald und rieb sich abwesend die Hände. Er schien sie nicht zu bemerken.

Eine Zeit lang überlegte sie, ob sie nach ihm sehen sollte, aber ihr fiel beim besten Willen nicht ein, was sie ihm sagen konnte, damit er sich besser fühlte. Wird schon? Kopf hoch? Vielleicht sollte sie es besser lassen, in der Regel sagte sie das Falsche. Ein Grund mehr, dass Louisa zurück kommen musste, ohne sie wäre sie aufgeschmissen. Was soll's. Sie waren gemeinsam in Schwierigkeiten geraten. Wenn sie Taylor irgendwie helfen konnte, so wollte sie es zumindest anbieten.

Sie holte einmal tief Luft und lief dann auf ihn zu. Der matschige Boden unter ihren Schuhen machte leise Geräusche, doch Taylor sah nicht auf. Alea war sich nicht sicher, ob er einfach nur mit seinen Gedanken woanders war oder ob er sie ignorierte. Abrupt blieb sie vor ihm stehen. Er sah noch immer geradeaus.
„Willst du nicht mit reinkommen? Hier draußen ist es nicht so gemütlich." Stille. Er ließ sich Zeit, zu antworten.

„Ich bleib besser hier, mein Dad ist ziemlich sauer und da geh ich ihm besser aus dem Weg. Außerdem musste ich mal den Kopf frei bekommen." In seinen Augen war noch immer keine Regung zu erkennen. Sie trat von einem Bein aufs andere und sah flüchtig auf Louisas Foto in ihrer Hand.

„Es tut mir leid, wenn du Ärger bekommen hast. Das wollte ich wirklich nicht."
Er sah überrascht auf.
„Mach dir mal keine Gedanken, wir hängen da beide mit drin, du hast mich ja nicht gezwungen. Der alte Herr kriegt sich auch wieder ein." Er bemerkte ebenfalls das Foto in ihrer Hand und sah dann wieder in den Wald.

„Das hoff ich wirklich. Ich..also dein Vater meinte, wir fahren gleich zurück in die Stadt."

Alea sah zum Haus, wo es nur so nur so von Polizisten wimmelte. Es schienen immer mehr zu werden, bald würde dort kein Platz mehr sein.
„Ja, auch wenn ich glaube, dass wir ihm helfen könnten. Aber er will uns da raus halten, um jeden Preis."

„Wieso das?", fragte Alea verwundert.

„Weil wir eine persönliche Verbindung zu diesem Fall haben. Besonders du, deine beste Freundin ist immerhin verschwunden."
Taylor vermied es sie anzusehen, in der Ferne fixierte er etwas.
„Dein bester Freund auch. Wir sitzen im selben Boot."
„Mag sein, aber Jake ist schon länger verschwunden. Und außerdem hat er selbst entschieden, zu gehen. Macht mir nichts aus."

Taylor zuckte mit den Achseln. Es war ihm ganz bestimmt nicht egal, das konnte sie erkennen.

„Das glaub ich nicht. Egal wie lange jemand verschwunden ist, es ändert nichts daran, dass Familie und Freunde ihn vermissen. Da spielt Zeit keine Rolle. Es macht dir etwas aus und du willst es nicht zeigen, das verstehe ich. Aber wenn du drüber reden willst, dann werd ich dir zuhören."
Sie sah ihn aufmerksam an und wartete auf eine Reaktion, doch Taylor lächelte nur vage und schwieg.

„Ich hätte nie gedacht, dass Jake so etwas tun könnte. Niemals. Er wollte immer das Richtige tun, das passt einfach nicht", sagte er schließlich und runzelte die Stirn. Sie verstand ihn. Sie hatte mit einem Mal das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen.

„Ich habe auch nie gedacht, dass Lou sich auf jemand Wildfremden einlässt, aber wir wurden wohl beide eines Besseren belehrt. Und wer weiß: vielleicht tauchen sie ja gleich gemeinsam hier auf? Jacob scheint hier ja des Öfteren zu sein. Eigentlich müssten wir nur warten."

„Er wird vorne direkt abgefangen, sollte er zurück kommen. Nicht einmal das hat Dad uns überlassen. Vermutlich würde Jake sofort türmen, wenn er mich oder mein Auto sieht." Taylor seufzte und fuhr sich durchs Haar. Mist, er hatte Recht. Ihnen blieb wirklich nicht viel.

„Wir dürfen nicht aufgeben. Es gibt noch Hoffnung, Taylor." Sie sah ihn an.
„Das mag sein, auch wenn..." Taylor brach ab und schüttelte den Kopf, als wollte er einen Gedanken loswerden.
„Auch wenn was? Sag schon", forderte sie ihn auf. Er sah sich kurz um und lehnte sich dann etwas in ihre Richtung. Sie stand noch immer vor ihm.
„Ich glaube, es steckt mehr dahinter. Viel mehr. Darüber hatten wir schon letzte Nacht geredet, aber jetzt gehen die Beweise mehr und mehr in diese Richtung."
„Du meinst, dass Jacob nur Befehle für jemand anderen ausführt?" Sie runzelte die Stirn.
Taylor nickte und stand von seinem Stein auf.

„Überleg mal. Das Geld, die Waffe, die Pässe. Sowas kriegt man nicht einfach im Supermarkt um die Ecke. Er ist im Besitz einer Baretta. Das ist gefährlich. Jake ist ein Gegner der kalifornischen Waffenfreiheit, die Seriennummer war außerdem weggefeilt. Die Waffe ist also nicht legal zugelassen, sonst hätte ich das mitbekommen. Das Geld, wie soll er an so viel Geld kommen? Und dann ist da noch die Sache mit diesen Mädchen. Das ist zu viel für ihn alleine. Dazu braucht man noch mehr Leute. Ich hab mitbekommen, wie Dad die Namen der anderen hat überprüfen lassen. Bisher ist noch nichts heraus gekommen, aber alleine schon, dass Ava Carter dabei ist, lässt erahnen, in welche Richtung es geht." Er hatte sie nicht aus den Augen gelassen, während er seine Totschlagargumente aufgeführt hatte. Scheißdreck. Erneut diese Übelkeit. Alea schluckte und nickte dann schließlich.

„Ich hab auch schon daran gedacht. Dass er Lou für irgendetwas braucht, ist mir jetzt klar, aber er hätte sie einfach entführen können, er hatte so viele Möglichkeiten. Stattdessen spielt er die Karte mit der Modelagentur." Sie sprachen beide leiser, als könnten sie belauscht werden. Taylor rieb sich nachdenklich über die Stirn. Sie konnte beinahe hören, wie er versuchte, alles in eine logische Reihenfolge zu ordnen.

BrokenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt