„Genau das ist es ja auch, was deinen Fehler so unverzeihlich macht", sprach der Boss weiter, während er ein paar Meter von den beiden wegschlenderte und dabei durch die Halle sah. Erneut hallten die Absätze seiner Herrenschuhe. Man konnte seinen Standort zweifellos auch mit geschlossenen Augen erhören. Wie konnte es also sein, dass er so plötzlich und unbemerkt hinter ihnen aufgetaucht war?
„Oder soll ich lieber im Plural sprechen? Deine Fehler?" Jetzt hatte er sich wieder zu den beiden gedreht.„Ich bin mir keiner Fehler bewusst", sagte Jacob entschlossen. Louisa schluckte. Vorsichtig drückte sie seine Hand als Zeichen der Zustimmung.
„Die Kleine, die du zuerst angekarrt hast, das verzeihe ich dir. Auch, wenn du da bereits schlampig gearbeitet hast. Es hätte dich nur Sekunden gekostet, auf ihren verdammten online Blog zu stoßen. Die Nutte hat jeden Tag Einträge dort hochgeladen! Das und nichts anderes war dein Job! Dass wir sie hier entsorgen mussten und dabei auch noch beinahe erwischt wurden, war müßig. Wäre alles aufgeflogen, wärst du längst tot. Aber es haben sich andere für mich die Hände schmutzig gemacht und das war mir die Kleine allemal wert." Er grinste, während er die Ringe an seinen Fingern betrachtete. Louisa schluckte einen Brechreiz herunter. Pumpen. Konzentrieren. Sie starrte auf den unebenen Boden unter sich. Was hatte er mit Ava angestellt? Nein. Sie wollte keine Antwort darauf.
„Aber mit dieser hier bist du mir endgültig in den Rücken gefallen." Das erste Mal überhaupt sah er zu Louisa, als er wieder auf die beiden zulief. Sie spürte, wie sich die Härchen an ihrem gesamten Körper aufstellen. Jacob war augenblicklich ein kleines Stück vor sie getreten, aber das schien ihr Gegenüber keineswegs zu beeindrucken.
„Ich hab dich beobachten lassen, ohne dein Wissen. Ich musste sicher gehen, dass du deinen scheiß Job erledigst, auch wenn ich nicht in der Stadt bin, um es persönlich zu kontrollieren. Sie haben mir ihre Fotos weitergeleitet. Du wusstest genau, dass sie mir gehört." Mittlerweile war er Jacob bedrohlich nahgekommen. So nah, dass er Jacob unmittelbar ins Gesicht atmete. Sie konnte erkennen, wie stark er sich beherrschen musste. Nicht ausrasten, Jacob.
„Ich hatte genug von euren Machtspielen. Ihr habt mich lange genug gefügig gemacht mit eurem Scheißgeld! Ich wäre ohnehin raus gewesen, ich hab nur auf einen geeigneten Zeitpunkt gewartet. Und er kam. Sie kam." Jacobs Stimme war nicht mehr als ein Zischen. Unmissverständlich hörte sie abgrundtiefe Abscheu daraus. Beherrsch dich, Jacob.
Der Boss stellte sich erneut mächtig vor ihm auf. Herrgott, war er breit.„Deine arme Mutter also. All das nur für deine kranke Mutter, die so sehr auf dich angewiesen ist. Sie geht doch über alles, die Familie, hab ich Recht?" Louisa fuhr zusammen, als der Mann deutlich die Lautstärke seiner Stimme anhob.
„Aber du warst Teil einer anderen Familie, Jacob. Du warst Teil meiner Familie. Und wie sagt man so schön?" Jetzt war er zu Louisa gelaufen. Viel zu nah stand er vor ihr und musterte sie gründlich.
„Blut ist dicker als Wasser", sagte er dann und sie musste erneut die Luft anhalten, als sein Duft und sein Atem ihr entgegenschlugen. Nicht brechen. Nicht auf seine Füße. Vorsichtig und beinahe behutsam nahm er eine ihrer Haarsträhnen zwischen zwei Finger und begutachtete sie.
„Lassen Sie die Finger von ihr", sagte Jacob ruhig, aber sie wusste genau, dass er nicht ruhig war. Es war zweifellos eine Drohung. Sonst was? Genüsslich zog der Mann ihr Haar zwischen seinen Fingern hindurch und schob es dann über ihre Schulter, sodass ihr Hals frei lag. Sie hatte immer noch die Augen zusammengepresst. Die Berührungen jagten ihr einen unangenehmen Schauer über den Rücken, Ekel breitete sich in ihr aus, während sie weiterhin gegen die Übelkeit ankämpfte.
„Ich sagte-"
„Halt deinen Mund, Jacob. Meinst du etwa, ich lasse mich von dir verarschen? Oder bedrohen? Du brichst die Regeln und versuchst dann auch noch, mit erbärmlichen Mitteln deinen Hals aus der Schlinge zu ziehen." Passend zu seiner Aussage hatte er seine Hand an Louisas Hals gelegt und verstärkte seinen Griff darum. Sie musste schlucken. Als sie die Augen wieder öffnete, war er ihr näher als sie gedacht hatte. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie mit aller Kraft Jacobs Hand drückte.„Nein, so funktioniert das nicht. Du hast mit deinem Leben gebürgt, als du zugestimmt hast, für mich zu arbeiten. Es gibt keinen Rückfahrschein. Du weißt es genau. Sei nicht so töricht!" Es klang tatsächlich so, als würde ein aufgebrachter Vater mit seinem Sohn sprechen. Während er sprach, ließ er Louisa keinen Moment aus den Augen. Jacob schwieg angespannt. Sie konnte nicht sagen, was in ihm vorging. Sie wagte es nicht einmal, zu ihm zu schauen. Hinter dem massigen Mann direkt vor sich, fing jedoch einer der beiden Hintermänner Louisas Aufmerksamkeit. Er wirkte aufgebracht.
„Sir, da draußen scheint etwas nicht zu stimmen", rief er schließlich in gebrochener Sprache. Beinahe regungslos starrte der Boss Louisa weiterhin ins Gesicht.
„Kümmere dich drum. Und dann komm wieder." Er hatte Besseres zu tun. Es durfte niemand stören. Augenblicklich verließ einer der Männer die Halle. Mit einem heftigen Schlag knallte die Tür hinter ihm zu. Sie schluckte und sah zurück in das vor Schweiß glänzende Gesicht direkt vor sich. Was war los, draußen? War jemand auf sie aufmerksam geworden?„Ich muss sagen, ich wäre sehr zufrieden mit deiner Arbeit gewesen, Jacob. Die Kleine hier hätte deinen Fehler zuvor sicher wieder gut gemacht. Dumm nur, dass sie deinem Egoismus zum Opfer gefallen ist. Das seid ihr beide. Du hast sie selbst genommen. Du hast dich über mich hinweggesetzt. Über meine Bedürfnisse und meine Anweisungen. Und hätte ich dich nicht überwachen lassen, wärst du wahrscheinlich einfach abgetaucht, ohne zu deinem Fehler zu stehen." Er sprach immer noch ruhig und langsam, während er Louisa begutachtete. Als sie den Blick hob, sah sie unmittelbar in seine Augen, ihr direkt gegenüber. Sie waren tiefschwarz und voller Zorn. Einen Moment erschrak sie über seine Nähe, dann ließ sie Jacobs Hand los. Schluss. Sie durfte nicht weiterhin so ängstlich sein. Damit würde sie dem Gegner nur in die Karten spielen. Je schwächer sie war, desto schwächer erschien auch Jacob. Und desto stärker war er. Er hatte nur so viel Macht, wie sie ihm gab. Und momentan war das verdammt viel. Zu viel.
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ChickLitHast du dich jemals gefragt, wie wertvoll du wirklich für jemanden bist? 21, betrogen und verlassen. Louisas heile Welt ist zerbrochen und ihr derzeitiges Leben findet höchstens noch in sozialen Netzwerken statt. Bis sie plötzlich in San Francisco...