Punkt 9 der Tagesordnung

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 "Da übertrug man ihr die Verantwortung für das MM und was machte sie? Krankenschwester spielen. Und das ganz ohne sexy Uniform. Heute hatte ich aber auch echt gar kein Glück." 

 - Elijah Hunter

Ein ganzes Leben reduziert auf Daten und Fakten.

Man sollte meinen, das dies nicht besonders aussagekräftig wäre, was den Menschen anging, dessen Leben man so radikal zusammengefasst hatte, doch da täuschte man sich gewaltig. Zwar unterschlug man viele kleine Details, die man nur heraus finden konnte, wenn man sich mit dem Menschen unterhielt, da sie sich statistisch nicht aufschlüsseln ließen, aber der grobe Charakter? Den fand man so raus. Und wer brauchte schon die ganzen kleinen Anekdoten, die von Leuten immer auf Partys erzählt wurden, um zu wissen, wen man da vor sich stehen hatte?

Niemand. Eben.

Ich trank einen Schluck Scotch und liebte das Brennen, dass sich in meiner Kehle ausbreitete im Moment mehr als alles andere auf der Welt, weil es das Kratzen im Hals bekämpfte, dass mich schon seit Stunden nervte. Das war diese Nacht mein drittes Glas und um ehrlich zu sein, war die Bezeichnung „Doppelter Schnaps“ schon eine Untertreibung. Dreifach würde der Füllhöhe wohl eher gerecht werden.

Aber bei dem Chaos auf meinem Schreibtisch? Da konnte man sich nur noch dem Alkohol widmen. Felicitas – das sture Biest – hatte sich während der ganzen Woche geweigert mir irgendwelche anderen Informationen über sich und ihr früheres Leben zu geben. Tat einfach so, als hätte es diesen kleinen Zwischenfall letzten Montag nicht gegeben und als wüsste ich nicht, was ihr kleines Geheimnis war. Letzten Sonntag nachdem Smith mir die Mappe gegeben hatte und ich dafür einen ordentlichen Batzen an Bargeld gelassen hatte, war dieses Hochzeitsfoto vollkommen ausreichend gewesen. Im Endeffekt passte es makaber genau in meine Beobachtungen und Vermutungen, also hatte ich einfach die halbe Nacht lang wach gelegen, auf dieses beschissene Foto gestarrt und mir das Gesicht von dem Kerl eingeprägt.

Den Rest, also ihren richtigen Lebenslauf, ein Essay über ihre Familiengeschichte, ihre Geburtsurkunde, Führerschein, Schulzeugnisse, Jahrbücher, Zeitungsartikel, Kreditkartenauszüge, Kontenaufschlüsselung, akademische Leistungen, Urkunden die sie bei irgendwelchen Wettbewerben gewonnen hat, das alles hatte ich schön brav in meinen Safe geschlossen und es mir gar nicht erst angesehen.

Warum? Weil sich nach Jahren Abwesenheit mein Gewissen auf einmal reaktiviert hatte und mich darauf hinwies, dass ich Feli erst einmal die Möglichkeit geben sollte, sich zu erklären, bevor ich so sehr in ihre Privatsphäre eindrang.

So, die Möglichkeit hatte sie gehabt, nicht genutzt, also konnte ich jetzt guten Gewissens jedes kleine Detail ihres Lebens zerpflücken. Hatte sie selbst Schuld.

Na gut, mein Gewissen meldete sich wieder, bemerkte, dass eine Woche wohl kaum ausreichte, bis sie genug Vertrauen in mich gefasst hatte, um mir jedes schmutzige Detail zu erklären, aber deswegen ja auch der Alkohol. Damit ließ sich mein Gewissen normalerweise recht schnell mundtot machen.

Felicitas Leben war ein kleines Bilderbuchmärchen, zumindest bis sie diesem Widerling über den Weg lief.

Sie wuchs in einer mittelständigen Vorzeigefamilie in einem kleinen Vorort von New Orleans auf, war das Älteste von drei Kindern und hatte im Großen und Ganzen eine ziemlich behütete Kindheit. Ihr Vater hatte sich über die Jahre zum Filialleiter des örtlichen Baumarktes rauf gearbeitet, ihre Mutter war eine Bankkauffrau, während ihre Geschwister ihr Leben mittlerweile auch im Griff hatten. Die Schwester war Verkäuferin in einem Blumenladen, mittlerweile selbst Mutter und Ehefrau, während der Bruder in der Navy war. Ein Navy Seal um genauer zu sein.

Die Summe des GlücksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt