Kapitel 52

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Sonntag schrieben Cass und ich gar nicht, aber ich war viel zu nervös um mir darum sorgen zu machen.
Sogar Sam, der mir seit unserem letzten Gespräch konstant aus dem Weg ging, sprach mich überraschenderweise am Montag in der Schule an, ob alles okey mit mir sei.
Ich nickte nur und winkte ab, da ich ihn nicht belästigen wollten. Meiner Freude, das er mich mal wieder angesprochen hatte, blieb nicht viel Raum, denn ich war mit den Gedanken den ganzen Unterricht schon bei der Therapie Sitzung. Ich wusste gar nicht, warum ich so aufgeregt war. Vermutlich aber weil ich einfach die Angst hatte wieder darüber sprechen zu müssen.

Nach der Schule stieg ich in einen anderen Bus als sonst ein und fuhr gleich in den nächsten Ort zu dem mir allzu bekannten grauen Gebäude. Meine Mum hatte angeboten sich etwas früher frei zu nehmen und mich zu fahren, aber ich hatte abgelehnt. Sie konnte mir auch nicht helfen und ich war mittlerweile schon 17 und kein kleines Kind mehr.
Ich würde das 60 Minütige Gespräch schon hinter mich kriegen.

Lange musste ich nicht warten, da hatte Herr Siegel Zeit für mich.
Ich setzte mich auf einen Stuhl gegenüber von ihm und stockte anfangs bei der Beantwortung der Fragen, aber dann ging es.
Er fragte mich zuerst, wie es mir ging und ob ich noch oft daran zurück dachte.
"Es geht. Es hat in letzter Zeit sehr nach gelassen..." murmelte ich und spielte nervös mit den Fingern.
"Wie geht es dir sonst damit? Kommst du gut alleine klar?" fragte Herr Siegel mit seiner ruhigen Stimme.
"Ich habe noch ein paar Rückfälle, aber ich bin nicht alleine. Seit Connor hab ich jetzt erst mals wieder einen Freund und...es ist ganz anders. Obwohl er keine Ahnung hat, hilft er mir enorm viel..." Ich konnte nicht verhindern, dass ich rote Wangen bekam, als ich an Cass dachte.

Herr Siegel fragte mich noch aus, ob ich inzwischen besser mit Berührungen von Männern klar kam und ich nickte. Cass hatte es möglich gemacht. Er hatte mein Vertrauen gewonnen und mir gezeigt, dass nicht alle Kerle so sein mussten wie Connor.
Herr Siegel fand es ebenfalls hilfreich, dass ich mich endlich wieder an jemanden gebunden hatte, meinte aber das es besser wäre Cass genauer darüber zu informieren, damit er wusste, wovor ich Angst hatte.
Ich war aber einfach noch nicht bereit ihn einzuweihen. Ich wollte ihn nicht unnötig belasten und auch kein Mitleid. Außerdem war immer noch die Angst da, alles auszusprechen, aber ich wusste, dass ich es ihm irgendwann sagen musste.
Denn ich liebte Cass wirklich.
Und als mein Freund hatte besonders er ein recht es zu erfahren.

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"Und, wie war die Sitzung, Schatz?" fragte meine Mum mich am Abend, nachdem sie von der Arbeit nach Hause gekommen war.
"Ganz okey." meinte ich nur. Herr Siegel konnte sich auch nur anhören, wie ich damit umging, aber rückgängig konnte sowiso nichts gemacht werden.
Ruhe würde ich wohl nie finden, so lange Connor noch dort draußen herum lief.
Er hatte mir so viel Kummer bereitet und kam ungeschoren davon. Das war das Schlimmste...

Am nächsten Tag, nach dem Unterricht, wollte ich eigentlich gerade Jen Bescheid sagen, dass ich mich jetzt noch mit Cass traf, aber meine beste Freundin knutschte gerade ziemlich innig mit Shawn. Er hatte sie gegen die Schulwand gedrückt und ihre Hände zogen an seinen Haaren.
Da wollte ich sie beide echt nicht stören.

Immerhin durfte ich dieses mal offiziell das Schulgelände verlassen und musste mich nicht raus schleichen, weil ich nachher noch Unterricht hatte.

Wir hatten uns einfach beim Mc Donalds verabredet und Cass wartete schon auf mich.
Lächelnd lief ich auf ihn zu, aber da er nicht zurück lächelte, wurde ich etwas unsicher und gab ihm nur einen leichten Kuss auf seinen Mundwinkel.
"Hi...!" Ich hatte ihn wirklich vermisst. Vor drei Tagen hatte ich ihn das letzte mal gesehen und da waren wir nicht für uns, sonder unter ständiger Beobachtung meiner Mum.
"Hey..." sagte Cass anscheinend nicht so gut gelaunt und ging mit mir rein. Anders als sonst nahm er aber nicht meine Hand, weswegen ich auch keine Anstalten machte. Was hatte er?
Gerade war er ziemlich komisch.

"Alles okay bei dir?" fragte ich deshalb, nachdem wir unser Essen hatten und uns in eine Nische in der Ecke setzten.
Cass zog eine Augenbraue hoch und seinen Blick dabei konnte ich gar nicht einschätzen.
"Bei mir schon, aber bei dir?"
Verwirrt sah ich ihn an, da seine Augen mich kalt an blickten.
"Wie war es gestern bei Jen? " sprach er weiter, aber seine Stimme klang distanziert.
"Ähm-gut..." murmelte ich unsicher.
Warum war er so?
Noch bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte, erfuhr ich wieso.
Er schüttelte den Kopf und sah mich mit aufeinander gebissenen Zähnen an.
"Ich hätte nicht gedacht, dass du mir so offen ins Gesicht lügen kannst. "
"Was meinst du?" fragte ich mit rauer Stimme, da mich sein harter Gesichtsausdruck etwas einschüchterte.

"Liz, in einer Beziehung lügt man sich nicht an." Als er sah, das ich immer noch nicht ganz verstanden, worauf er hinaus wollte und was eigentlich los war, meinte er: "Jen hat sich gestern ausversehen verplappert. Du warst gar nicht bei ihr. Ich wollte noch mal nach haken, da du so komisch am Telefon warst und rumgedruckst hast, das du angeblich noch nicht weißt, ob du Zeit hast. Für mich kam es so rüber, als wölltest du dich auf keinen Fall mit mir gestern treffen...."
"Cass..." unterbrach ich ihn mit brüchiger Stimme. So war das doch gar nicht! Ich wollte so viel wie möglich mit ihm machen!
Cass redete einfach weiter "....und dann bekomme ich heraus, dass du Jen nur als Vorwand benutzt hast, nur um dich nicht mit mir treffen zu müssen. Stattdessen hast du was weiß ich sonst gemacht...Warum lügst du mich an?"
Ich schluckte einmal und hielt dem Blickkontakt nicht stand und sah weg.
Ich wusste, wie das für Cass aussah. Aber ich konnte ihm nicht sagen, dass ich beim Psychologen war, denn damit müsste ich ihm alles erklären und dazu war ein Mc Donalds echt nicht der richtige Ort.

Als ich nicht antwortete bohrten sich seine Augen wieder in meine. Jetzt erkannte ich den Schmerz und das Misstrauen darin.
"Was verheimlichst du mir? Du kannst mit mir über alles reden! Aber rede mit mir!"
Mein Hals fühlte sich staubtrocken an und ich bekam kein Wort heraus.

"Willst du deswegen deiner Mum nicht sagen, dass wir zusammen sind?" fuhr er fort und durchbohrte mich mit seinem Blick. "Bedeutet dir diese Beziehung überhaupt etwas?"
"Sag so etwas nicht!" Meine Stimme klang dünn. Das stimmte doch gar nicht!

Ernst betrachtete er mich. "In einer Beziehung vertraut man sich. Und du verheimlichst mir ziemlich viel. Das hat mir der gestrige Tag noch einmal klar gemacht. "
Zweifelte er wirklich gerade an unserer Beziehung??
Gut, ich war nicht ganz ehrlich und ich verlangte viel von ihm, dass ich ihm erst mehr erzählen konnte, wenn ich mich stark genug dazu fühlte, aber trotzdem...

"Der nächste Schritt wäre, es mal deiner Mum zu sagen. Warum willst du wirklich nicht, dass sie es weiß? So schlimm bin ich nicht, wir würden es schon hin bekommen. Aber immer es zu verdrängen und deiner Mum mich verheimlichen, das geht nicht."
Diese ganzen Dinge zusammen führten wahrscheinlich dazu, dass er zweifelte. Aber er musste mir auch vertrauen. Meine Mum würde uns die Hölle heiß machen.

Da es mir immer noch die Stimme verschlagen hatte und ich einfach nichts heraus brach, fuhr er sich wütend durch die Haare und fixierte mich wieder mit seinen Augen.
"Oder bin ich dir zu peinlich?"
Mir klappte der Mund auf und endlich bewegte sich meine Lippen doch noch.
"Du weißt, dass das nicht stimmt!"
"Dann sag es ihr!" gab er zurück und sprang von der Bank auf. Ein paar Jugendliche drehten sich am benachbarten Tisch zu uns um.
Ich saß wie ein häufchen Elend herum, während Cass ein Blick auf sie warf und die Stimme senkte. "Ich kann auch dabei sein, wenn du es ihr sagst und dir helfen! Du bist nicht alleine, aber lass mich helfen! "
Ich schüttelte den Kopf.
Das musste ich alleine machen, das wusste ich. Aber ich brachte einfach nicht den Mut dazu auf.
Ich war ein verdammter Feigling.
Und verscheuchte damit Cass.

Er sah mich noch einmal an und ließ dann sein Hamburger einfach liegen.
"Na schön. Wenn du meine Hilfe nicht willst...."
Ruckartig drehte er den Kopf weg und ging.
Mit verschleierten Augen sah ich ihm nach.
Ich hätte meinen Mund aufmachen sollen.
Hätte.
Energisch wischte ich mir eine Tränen aus dem Gesicht und sah auf meine Pommes herunter.
Der Appetit war mir gründlich vergangen.

Das Gespräch war nötig, das wusste ich.
Nur mein Herz machte das einfach nicht mehr mit.
Ich konnte doch nicht auch noch Cass verlieren.

Was haltet ihr davon? Könnt ihr Cass verstehen oder denkt ihr er hat über reagiert? :)

~Nina♡

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