1. Kapitel | TEAM - Toll, ein anderer macht's

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Can you still remember how we met? It was september.


Stegi vergrub die Hände etwas tiefer in den Taschen und senkte den Kopf, um sich ansatzweise gegen den Regen zu schützen.

In den letzten Tagen schüttete es quasi durchgängig. Novemberwetter im September. Selbst die Temperaturen wirkten eher wie Spätherbst, und das Radio redete andauernd von einem Tief mit irgendeinem lächerlichen Namen, so, dass selbst der minderbemitteltste Idiot mitbekommen haben musste, dass sie sich dem „regnerischsten Herbst der letzten zehn Jahre" näherten.

„Fick dich doch", murmelte er mit einem Blick in Richtung des grauen Himmels, ohne, dass sich großartig etwas änderte. Höchstens der Wind schien noch kälter zu werden.

Immerhin hatte er laut der Uhr am Schulgebäude noch eine knappe Viertelstunde, um ins zweite Stockwerk zu gehen und sich einen annehmbaren Platz zu sichern. Nachdem er sich einmal durch die Haare gefahren war, in dem verzweifelten Versuch, das zu retten, was der Regen ihm von seiner Frisur übrig gelassen hatte, eilte er die Treppe hinauf.

Irgendwie war er damals hier gelandet. Kunst oder zumindest sowas ähnliches, denn im Grunde genommen machten sie bloß alle möglichen Projekte von Zeichnen bis Musik. Eigentlich ziemlich sinnlos, besonders, wenn Stegi sein unglaubliches Talent für Instrumente in Betracht zog. Dafür war er in Sachen wie Kunst immer gut gewesen.

Und schließlich waren es nur zwei Stunden pro Woche, auch, wenn man das Fach bis zum Abi nicht abwählen konnte (wie der Direktor das durchsetzen konnte, wusste niemand so genau). Das ließ sich eindeutig überleben, selbst, wenn es nur durch ewiges ins nichts starren geschah. Brauchen würde er das Fach hier eh nicht.

„Wie ist es draußen so?", fragte ihn ein Typ aus dem Kurs mit einem leichten Grinsen, als er ihn sah, Jacke und Schuhe komplett wasserdurchtränkt. Immerhin war er nicht der einzige, dem es so ging, einem kurzen Blick zu den anderen Schülern nach zu urteilen.

„Mistwetter", murmelte Stegi nur. „Mistregen."

Und irgendwie war das Gespräch damit schon wieder vorbei.

Der Raum wirkte noch trostloser als sonst mit den regenbedeckten Scheiben und dem angeschalteten Licht, dass fast schon blendete, wenn man gerade vom eher matt beleuchteten Flur eintrat. Nicht gerade das, was man an einem Donnerstagmorgen sehen wollte

Mit einem unterdrückten Seufzer ließ er seine Sachen auf einen freien Platz fallen und setzte sich. Starrte auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Nicht unbedingt viel Zeit, um irgendwas zu tun. Die meisten Leute hatten sich in kleinen Grüppchen zusammengeschlossen und redeten über irgendwas, aber seit er von einem halben Jahr hier in die Stadt gezogen war, hatte er noch keinen richtigen Anschluss gefunden.

Nicht, dass das weiter schlimm gewesen wäre – Immerhin wurde er nicht gemobbt oder so. Mehr als ein paar oberflächliche Unterhaltungen waren eben nicht drin, aber daran hatte er sich inzwischen schon gewöhnt.

Er war sich nicht einmal wirklich sicher, ob er das anders wollte. Seine Mutter arbeitete beim Fernsehen und drehte dort Dokumentationen oder meist nicht wirklich erfolgreiche Filme, die er trotzdem auswendig kannte – Und immer zog sie ihren aktuellen Projekten hinterher. Manchmal blieben sie nur ein paar Monate, mal auch ein Jahr, je nachdem, um was es ging, aber seit sie die Stelle angenommen hatte, konnte Stegi sich nicht erinnern, sich jemals wirklich zuhause gefühlt zu haben. Im Moment drehte sie an einem Krimi mit dem Titel „Schatten von München", und die Dreharbeiten würden in ein paar Wochen abgeschlossen sein.

„Die Korrektur und der Schnitt, das dauert noch", hatte sie ihm früher erzählt, wenn er gefragt hatte, wann er das Ergebnis sehen könnte. Inzwischen wusste er das nur zu gut.

Tropfen im Meer  [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt