22. Kapitel | Kurzschlusshandlung

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They say we'll rot inhell, but I don't think we will


„Ich will ja nicht sagen, ich habe die Klausur vollkommen verpennt", meinte Stegi zu Tim, als es endlich zur Pause klingelte, „Aber ich habe die Klausur vollkommen verpennt. Freitag! Das sind ja nur noch zwei Tage."

„Hättest du früher angefangen zu lernen, wenn du es gewusst hättest?", fragte Tim und schob sich an zwei anderen Schülern vorbei, die es irgendwie schafften, gemeinsam die gesamte Treppe zu blockieren.

„Nein. Aber ich hätte mich vorbereiteter gefühlt."

„Na ja, Französisch könnte ich eh nie so wirklich, spielt also auch keine Rolle, wann ich anfange zu lernen."

„Wir könnten zusammen versuchen, uns den Kram in den Kopf zu prügeln", schlug Stegi vor. „Wenn du heute Nachmittag Zeit hast?"

„Habe ich. Mein Leben ist erstaunlich ereignislos bis auf das Basketballtraining", gab Tim zu und trat nach draußen vor das Schulgebäude. „Ach ja, altvertrauter Regen... Würd' sich fast schon merkwürdig anfühlen ohne."

„Gutes Wetter? Hier? Ein Ding der Unmöglichkeit. Ehrlich, irgendjemand muss uns absolut hassen, dass hier nie die Sonne scheint."

„Walpurga", meinte Tim.

„Genau, Walpurga. Vielleicht doch kein guter Name für dein Kind, wahrscheinlich will sie es dann haben, wie in diesen Märchen, wo die böse Fee immer das Erstgeborene haben möchte."

„Aber rein technisch gesehen wird Walpurga ja gar nicht mein Erstgeborenes, sondern mein Erstadoptiertes, weißt du? Zählt die Regel da auch?"

„Du stellst Fragen", murmelte Stegi und deutete auf die Mensa. „Und bitte, ins Trockene und weg von dem Scheißwetter hier."

Neben dem Unterricht verband er die Schule vor allem mit einer Sache: Einem unfassbar lautem, vollen Raum, in dem jedes Wort, das man sagte, im Lärm unterging. Immerhin war es warm genug, um die Jacke auszuziehen. Stegi hängte sie über seinen Rucksack auf dem Boden und wandte sich dann zu Tim um. „Da vorne ist Mo. Wenn er uns anspricht, spucke ich ihm ins Gesicht, Deal?"

„Stegi!"

„Ja, okay, vielleicht auch nicht, aber jedenfalls gedanklich." Seit der Politikstunde waren Mo und er noch schlechter aufeinander zu sprechen, als es ohnehin schon der Fall war, und Deutsch gestern war fast schon unerträglich gewesen, weil sie so nahe aneinander saßen und Mo es wohl unheimlich witzig fand, wie irgendein beleidigtes Kind bei allen Leuten in ihrer Nähe über Stegi herzuziehen.

Die meisten waren nicht wirklich mit eingestiegen – ein Mädchen, das in seiner Nähe saß, hatte sich sogar auf Stegis Seite geschlagen, und er hatte sie vorerst zu einer sympathischen Person erklärt – und darum wirkte das ganze wirklich sehr lächerlich, aber die Laune verdorben hatte es ihm trotzdem.

„Ich weiß, da war die Sache mit Fabian und der ist ja auch ganz okay, aber... Mo? Moritz Roth? Schon wegen dem hätte ich in den ersten drei Sekunden Reißaus genommen."

„Ich weiß, ich weiß", seufzte Tim. „Vielleicht können wir ihn ja anstatt Walpurga opfern."

„Die erste gute Idee, die du heute hattest."

„Unsinn." Während Tim in seiner Tasche nach irgendwas suchte, summte Stegi leise irgendeinen Song vor sich hin, den er am Abend zuvor im Radio gehört hatte. Er wünschte, er würde den Titel kennen – aber wahrscheinlich würde er den auch noch eines Tages herausfinden.

Tim hielt eine Papiertüte vom Bäcker in der Hand. „Auch?" Ohne auf Stegis Antwort zu warten, riss er ein Stück von dem Brötchen an und drückte es ihm in die Hand.

Tropfen im Meer  [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt