21. Kapitel | Veränderungen

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You're like a thought in my head that I sorted out now, finally


Der Morgen war schon beschissen gewesen, bevor Stegi gezwungen worden war, Zeit mit Jan, Mo und Fabian zu verbringen. Ein Montagmorgen, Acht Uhr Dreißig, und er hatte jetzt schon keine Lust mehr auf den Tag. Immer noch nassgeregnet vom Weg von der S-Bahn zur Schule und ohne Koffein, weil sie kein Kaffeepulver mehr dagehabt hatten, saß er in Politik und warf den Dreien einen genervten Blick zu.

Sie mussten ja unbedingt eine Debatte mit ausgelosten Gruppen führen, richtig? Er fragte sich, womit ausgerechnet er das verdient hatte. Nur Mo – Damit hätte er leben können. Aber das ihr Lehrer ihn zwang, fast der ganzen Gruppe ausgesetzt zu sein...

Tim saß auf der anderen Seite des Raumes mit Noa, Louis und irgendjemanden, dessen Namen er nicht kannte. Stegi warf ihm einen hilfesuchenden Blick zu, aber Tim zuckte nur mit den Schultern und sah fast genauso verzweifelt aus.

Weil keiner an ihrem Tisch ein Wort sprach und Stegi das gezwungene Schweigen noch mehr ankotzte, als sich mit ihnen zu unterhalten, ergriff er schließlich das Wort. „Also. Sollte die NPD verboten werden oder ist das ein Angriff auf die Demokratie?", las er das Thema von der Tafel ab. Bisher hatte er kaum zugehört – wach bleiben war schwierig genug, und es fiel ihm verdammt schwer, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren.

„Hm. Ja", murmelte Mo, ebenfalls eher genervt.

Wieder Schweigen.

„Wie, ja?", fragte Stegi.

„Halt die Fresse."

Stegi zog eine Augenbraue hoch, sagte aber sonst nichts. Stattdessen nahm er einen Stift und zeichnete auf den Rand eines Zettels. Die schlechte Laune machte ihn wach, wenigstens halbwegs, und bevor er nur noch mit dieser Stimmung durch den Tag gehen konnte, dachte er lieber an irgendwas Anderes.

Schlechte Horrorfilme, Tobi, Tim, Fünf-Uhr-Nachts-Gespräche ohne richtiges Ziel, im Regen rumsitzen, laute Musik, die die Welt übertönte, Fotos, Eislaufen, Ausrutschen und Aufstehen und ein (nichtssagender) Kuss auf die Wange, an alles, was in den letzten Wochen passiert war und sein armes, kleines Leben so sehr auf den Kopf gestellt hatte. Wie anders alles vor kurzem noch gewesen war...

„Hey, Stegi, wie geht's Tim so?" Die Frage kam von Mo, natürlich, wem auch sonst, und es war offensichtlich, dass er sie nicht freundlich meinte. Er strich sich durch die Haare, grinste und sah Stegi gespielt interessiert an.

„Warum?"

„Weil er nicht mehr mit uns redet."

Wieso interessierte es ihn überhaupt? Tim hatte Stegi immerhin mal erzählt, dass er sich selbst immer ein wenig als der Außenseiter in der Gruppe gefühlt hatte, und jetzt interessierte er Mo plötzlich? Vermutlich nicht. Vermutlich sah er darin jetzt einfach eine willkommene Gelegenheit, sein eigenes Ego zu stärken. Stegi konnte solche Leute nicht ab und fragte sich nicht zum ersten Mal, warum Tim sie überhaupt gemocht hatte.

„Ich schätze mal, er hat allen Grund dazu", meinte er also und wandte sich wieder seiner Zeichnung zu. Ein Zug. Im Regen, weil es draußen auch regnete, ein stetiges Trommeln am Fenster, dass er selbst über den Klassenraumlärm noch hörte.

„Ja, weil die Schwuchtel sich verpisst hat."

„Was?" Stegi sah auf und musterte Mo für ein paar Sekunden – wahrscheinlich nur so dahingesagt, oder? Schließlich konnte er nicht wissen, dass Tim schwul war. Eigentlich. „Und darum redest du mit mir und sagst es ihm nicht ins Gesicht, hm?"

Mo lachte nur und Stegi bohrte den Stift so stark ins Papier, dass er ein Loch hinterließ.

~ * ~

Tropfen im Meer  [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt