5. Kapitel | Team Stexpert

2.1K 170 119
                                    

Und ich liebe und ich lache und ich leb', denn wer schwarzsieht, kann nichts sehen 

Stegi deutete auf den jungen Mann an Gleis Drei, der gerade versuchte, seine zwei Koffer möglichst geschickt zu transportieren. „Tourist, ganz eindeutig. Reiseführer und orientierungsloser Blick sprechen für sich", murmelte er, während er einen Bissen von seinem irgendwie nach nichts schmeckendem Sandwich nahm. Es gab nicht vieles, was man sich am Münchener Bahnhof für drei Euro kaufen konnte, und das war noch das Appetitlichste davon gewesen.

Tim nickte. „Du wirst langsam besser. Siehst du die Frau dahinten?" Mit einer wagen Bewegung schwenkte er seiner Hand zu der etwa Dreißig-Jährigen, die einen kleinen Rollkoffer hinter sich herzog und dabei hektisch etwas in ihr Handy zu reden (oder eher zu brüllen) schien. „Geschäftsfrau. Allein schon ihre Kleidung. Und sie wohnt hier nicht, sondern ist wegen einem Meeting hier."

„Und das weißt du woher?", hakte Stegi nach, pflückte eine viel zu labbrige Scheibe Gurke vom Sandwich und warf sie in den nahen Mülleimer.

„Der Zug kommt aus irgendeinem winzigen Ort. Laut dem Fahrplan ist die größte Stadt auf dem Weg Erding." Stegi entschied, ihm lieber zu verschweigen, dass er von diesem Ort noch nie im Leben etwas gehört hatte. „Kein Mensch veranstaltet da wichtige Treffen und die Dame sieht ziemlich wichtig aus, ne?"

Seit einer knappen halben Stunde saßen sie auf einer Bank und versuchten, die Menschen, die ankamen, einzuschätzen und zu erraten, wo sie hinwollten, anstatt irgendwas Sinnvolles zu machen.

Stegis Blick huschte über die Menschenmenge – Bei den meisten war es ziemlich schwer, irgendwas aus ihrem Leben zu erfahren (T-Shirt, Jeans und ein schwarzer Koffer waren schlechte Anhaltspunkte), und sie kämpften fast schon darum, wer die interessanten Menschen zuerst entdeckte.

„Da hinten", rief Tim und boxte Stegi unsanft in die Seite. „Der so rennt. Will ganz eindeutig den Zug auf Gleis Fünf, der in einer Minute abfährt." Tatsächlich lief der Mann auf den entsprechenden Bahnsteig zu, stolperte aber über seine Tragetasche und konnte sich gerade noch abfangen. Ein paar Passanten waren sofort da, um ihm zu helfen und verdeckten die Sicht auf ihn, aber Tim musste trotzdem lachen, als er ihn für ein paar Momente sah. „Shit happens."

Stegi grinste. „Guck, er hat den Zug noch gekriegt."

„Ja, und irgendjemand hat bestimmt ein Video davon gedreht und stellst es jetzt grad auf YouTube."

„Kannst ja versuchen, danach zu suchen. Versuch nicht zu lachen 165 oder so."

„Wer weiß, vielleicht haben wir eine Nebenrolle?", spekulierte Tim und erhob sich von der Bank, bevor er sich die Kameratasche nahm. Stegi folgte ihm und warf schnell die Servierte, die ihm der Verkäufer im Sandwich-Laden aus irgendwelchen Gründen gegeben hatte, weg.

„Ich bin dafür, dass wir mal irgendwo anders hingehen", schlug er vor. „Bevor die ganzen Leute vom Feiern zurückkommen."

„Klingt vernünftig", stimmte Tim ihm zu. „Zu mir oder zu dir?"

„Ich bin nicht dein schlechter One-Night-Stand, Tim. Aber zu dir. Ist näher dran."

Er grinste Stegi anzüglich an, ehe er in Lachen ausbrach. „Also gut."

~ * ~

„Es ist zehn Uhr", bemerkte Stegi beiläufig nach einigen Stunden und einem kurzen Blick auf die Uhr, während er Tims Schreibtischstuhl für sich beschlagnahmt hatte.

„Und das bedeutet?", fragte der.

„Ich müsste eigentlich mal los, habe aber eigentlich gar keine Lust. Und ich habe Hunger. Seit dem Sandwich habe ich nichts gegessen."

Tropfen im Meer  [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt