35. Kapitel | Schulanfang

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Neue Begegnungen, verlegenes Schweigen – Unter Millionen Personen istman zusammen allein

Bremen war scheiße.

Jedenfalls war das Stegis erster Eindruck der Stadt, denn am Tag zuvor hatte er außer dem Bahnhof nicht allzu viel von ihr gesehen. Eigentlich tat er das auch jetzt nicht. Eigentlich wartete er nur auf die Straßenbahn – noch drei Minuten – und ging in Gedanken noch einmal das durch, was seine Mutter ihm gepredigt hatte: wo er aussteigen musste, welche Linien, so etwas halt.

Nicht einmal das Wetter hatte die Gnade, sich seiner Stimmung anzupassen – es schien die Sonne und es sah nicht so aus, als wenn es heute noch regnen würde. Stegi vermisste den Regen. Außerdem hätte es wunderbar gepasst, jetzt wenigstens nassgeregnet hier zu stehen.

Gerade, als die Bahn hielt und wirklich unglaublich laut quietschte, vibrierte sein Handy. So schnell wie möglich ließ er sich auf den erstbesten Sitzplatz fallen und las die Nachricht. Von Tim. Natürlich von Tim.

7:15 Wie ist der erste Morgen da oben so?

7:16 Scheiße, aber was hast du erwartet?

Am Abend davor hatten sie noch lange geschrieben, Stegi hatte Tim ein bisschen was von ihrer neuen Wohnung erzählt und Tim Stegi von Max' kläglichem Versuch, mit Isa Pizza zu backen. (Ich hab keine Ahnung, wie sie das hinkriegen, aber es ist ZU VIEL Käse!) Es fühlte sich fast so an wie immer, sähe die Stadt draußen vor dem Fenster nur nicht so ungewohnt aus, wäre er nicht auf dem Weg zu einer weiteren neuen Schule, wäre der Rucksack auf seine Schultern wie gewohnt schwer, weil er so viele Bücher mitschleppte. (Und nicht federleicht, weil er noch kein einziges besaß.)

7:18 Viel Glück, du machst das. Und denk an meinen Rat.

7:19 Dass ich mir Freunde suchen soll?

(Aber er wollte gar keine neuen Freunde. Eigentlich wollte er nur Tim zurück.)

7:20 Genau der!

Bremen war immer noch scheiße, als die Bahn schließlich an der Haltestelle hielt, an der er aussteigen musste.

7:41 Bin dann mal auf zu meiner neuen Schule.

7:41 So früh?

7:42 Formulare und so Kram.
7:42 Du verstehst.

Das meiste hatten seine Eltern schon per Telefon erledigt, aber er musste trotzdem noch etwas früher aufkreuzen. Seufzend machte Stegi sich auf den Weg die Straße nach unten – Angeblich lag die Schule direkt bei der Haltestelle.

Das August-Lürmann-Gymnasium war von einem dieser Zäune umgeben, die gebaut wurden, um Drogenabhängige vom Schulgelände fernzuhalten. Der Schulhof war bis auf ein paar Bäume und Fahrradständer leer – und bis auf Bänke, die aus unerfindlichen Gründen rund um die Bäume lagen, was irgendwie ziemlich unpraktisch war. Na ja.

Ansonsten war die Schule selbst ein Klotz und damit wohl modern, obwohl das besser war als diese jahrhundertealten Gebäude, die Stegi eher einschüchternd fand als hübsch. Genauer gesagt waren es gleich zwei Klötze und eine Sporthalle mit angeschlossener Cafeteria, soweit er das bis jetzt beurteilen konnte.

Der Hof war trotz der Uhrzeit nicht komplett leer. Ein paar jüngere Jungs hingen an einer der unpraktischen Bänke rum, und am Tor rauchte irgendein Mädchen, dem zwei Typen schöne Augen machte, obwohl sie offensichtlich nichts von ihnen wollte.

Er blieb kurz stehen und holte Luft. Er machte das schon ewig. Dieses Mal war es vielleicht anders, weil er wirklich etwas zurückgelassen hatte, aber trotzdem war es keine Mammutaufgabe, richtig?

Tropfen im Meer  [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt