50. Kapitel | Tropfen im Meer

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I was just an only child of the universe and then I found you

Es war der erste Weihnachtsfeiertag und dementsprechend überfüllt waren Zug und Bus gewesen. Lauter Leute, die auf dem Weg zu ihrer Familie waren, die wohl hier wohnte. In einer Stadt, die grauer war, als Stegi es sich hätte vorstellen können.

Vielleicht war es ja schöner hier, wenn die Sonne schien. Er hatte da aber so seine Zweifel.

An der Haltestelle, an der sie ausstiegen, standen sie erst einmal im Menschenstrom. Tim hatte den Weg herausgesucht und Stegi warf ihm einen fragenden Blick zu.

Aber auch Tim sah sich erst einmal nur verwirrt um. Zwar strömten die Menschen in die selbe Richtung – Aber Stegi bezweifelte, dass sie zum Strand wollten. Schließlich war es weder die Jahreszeit noch das Wetter dafür.

„Wo lang?", fragte er also, weil er wahrscheinlich noch weniger Ahnung hatte als Tim.

„Wir könnten den Leuten folgen", schlug der vor. „Hier sind auch viele Museen und so, vielleicht wollen die dahin. Aber da vorne sind dann bestimmt Schilder."

Stegi nickte – alles besser, als hier rumzustehen – und folgte Tim, dem es einfacher fiel, sich einen Weg durch die Menschenmasse zu bahnen. „Es sind doch Feiertage? Haben Museen da nicht zu?"

„Ich habe absolut keinen Plan."

„Wie immer", grinste er. „Und wo ist jetzt das Meer?"

„Du solltest dich in Geduld üben", murmelte Tim nur und deutete auf ein Schild. „Hier."

Tatsächlich dünnte sich die Masse aus, je näher sie dem Strand kamen. Als sie dort waren, war der Spielplatz verwaist, die Strandkörbe geschlossen. Irgendwo in der Ferne stand ein einsamer Fischer, aber er war viel zu weit weg, um ihn zu erkennen. „Es ist Ebbe", stellte Stegi fest, denn ansonsten wäre der Typ niemals so weit entfernt gewesen.

Oder der Strand war sehr, sehr lang, um auszugleichen, dass er relativ schmal war. (Also, schmaler, als Stegi sich Strände vorstellte. Was wusste er schon davon?)

Sie waren am Meer. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Stegi sich dessen klar würde, aber dann musste er lachen. Kalte Seeluft stieg ihm in die Nase und er griff nach Tims Hand, um ihn Richtung Watt zu ziehen. „Kannst du das glauben?", grinste er.

„Ich meine, ich habe die Karten gekauft, also ja."

„Spielverderber." Stegi blieb stehen an der Grenze zwischen trockenem Sand und nassem. „Ich war so lange nicht mehr hier." Über ihnen kreischten einige Möwen und man hörte das Rauschen der Wellen. Er schloss die Augen.

Dann trat er einen Schritt vor.

„Du weißt, dass das gefährlich ist?", fragte Tim, folgte ihm aber dennoch. Vermutlich hauptsächlich, weil Stegi ihn immer noch mitzog.

„Was ist gefährlich?"

„Watt und so. Man kann voll leicht von der Flut überrascht werden und ertrinken."

Stegi zuckte mit den Schultern. „Ich will ja nicht bis ganz zum Ende laufen. Und ich sehe das Wasser schon, wenn es kommt." Dabei sah er auf den Boden. Er wollte ungern in eine der mit Wasser gefüllten Rillen treten – Schließlich wollten sie noch ein bisschen bleiben. Oder?

„Timmi, wann fahren wir zurück?"

„Wann immer wir wollen. Wir haben keine Tickets dafür. Aber ich bezahle!"

„Wir können ja einfach auf die Flut warten", schlug er vor. „Also, wenn du willst."

„Das ist dein Geschenk. Du entscheidest. Und ich will schließlich auch noch das richtige Meer sehen."

Tropfen im Meer  [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt