60. Kapitel | Gute Seiten

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I feel numb in this kingdom

Als sie in der Bahn waren, kehrte Stegis Hunger langsam zurück, also stoppten sie auf halbem Wege und holten ihm etwas zu Essen. Der Laden war einer der wenigen, die noch geöffnet hatten – kein Wunder an Silvester –, aber sie hatten einen Sitzplatz ergattern können. Für eine Weile aß Stegi schweigend und starrte auf die Straße. Es hatte über Nacht geschneit, aber der Schnee war nur noch auf einigen Motorhauben relativ unberührt. Auf dem Bürgersteig war er zu Matsch verkommen.

„Ich habe Oskar geschrieben, dass wir später kommen", merkte er an, während er drei Pommes auf einmal in Hummus dippte. „Er sagt, er hat nichts anderes erwartet."

„So kurz hier und schon so einen schlechten Ruf." Tim grinste halbherzig.

„Ich kann mir eben nicht helfen." Er sah wieder nach draußen, während Tim ihm etwas von seinem Essen klaute. Zwar hatte er behauptet, nicht viel Hunger zu haben, aber Stegi war nicht überrascht. Er hatte sich nicht umsonst für etwas entschieden, dass sich leicht teilen ließ – Tim hatte schließlich auch nicht viel gegessen. „Ich hoffe, ich muss jetzt nicht den ganzen Abend daran denken."

„An deine Eltern?" Stegi nickte. An was denn sonst? „Ich kann versuchen, dich abzulenken", bot Tim an.

Stegi zuckte mit den Schultern. „Besser, als sich schlecht zu fühlen."

„Willst du den Film sehen?"

„Das Schulding?"

„Du bist darin zu sehen, wie du auf einen Baum kletterst und schlecht schauspielerst." Tim holte sein Handy raus und drehte es in Stegis Richtung. „Hier."

„Und der Albtraum soll mich ablenken?" Stegi lächelte schief, drückte aber Play.

Der sogenannte „Film" war schlecht. Er hatte nichts anderes erwartet. In dem Imbiss ging das Audio fast unter allen anderen Geräuschen unter, aber er konnte gerade noch Tims Stimme ausmachen: „Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wäre eine Masse von Menschen alles eins. Als wären sie alle gleich. Als hätten sie alle dieselben Ansichten. Als wäre ein einziger unwichtig. Ein Mensch nur ein Tropfen im Meer." Dazu die Aufnahmen von Tim allein und verloren am Bahnhof, die sie damals mit viel Mühe zusammengeschnitten hatten. „Aber in Wirklichkeit hat jeder von ihnen seine eigenen Ängste und Sorgen, eigene Gefühle, eigene Gedanken, Wünsche und Ziele." Als er selbst auf den Bildschirm trat, schloss Stegi die Augen und vergrub den Kopf in den Händen. Er war wirklich kein besonders talentierter Schauspieler. „Meistens schrecken wir davor zurück, sie zu teilen", fuhr Voice-Over-Tim fort. „Um Teil der Gemeinschaft zu bleiben. Nicht ausgestoßen zu sein. Verspottet dafür, etwas Anderes zu denken. Einsamkeit ist die Abwesenheit von Menschen, sie ist das Nicht-Verstanden-Werden trotz ihrer Anwesenheit."

„Jetzt kommt ein Teil, den wir nicht besprochen haben", bemerkte der Tim, der gerade vor ihm saß.

„Du hast meine kreativen Ideen über den Haufen geworfen?"

„Jetzt tu nicht so, als hättest du irgendwas beigetragen außer die Kamera. Und die auch nur für die erste Hälfte."

Stegi streckte ihm die Zunge heraus, lehnte sich aber wieder Richtung Bildschirm. Er hatte einen Teil von Tims Monolog verpasst, vermutlich den, in dem er weiter auf Einsamkeit einging, denn jetzt sagte er: „Egal, wie allein wir sind, wir bleiben es am Ende nicht." Der auf dem Bahnhof verlorene Tim rempelte im Video ein Mädchen an, von dem Stegi schätzte, dass es Noa war. Ein kurzer Dialog zwischen den beiden spielte aus. „Für jeden von uns gibt es Menschen, die uns verstehen. Auch, wenn wir einsam sind; auch, wenn die ganze Welt gegen uns ist." Eine Montage von Tim und Noa, wie sie sich kennenlernten und sich anfreundeten, gemeinsam lachten, wieder am Bahnhof standen. „Egal, ob Familie, Freunde oder Partner – Wir werden uns finden. Manchmal scheint es unmöglich, aber das ist es nicht. Draußen wartet die Welt auf uns, und sie ist gefüllt mit den Menschen, die dein Leben verändern. Wir sind nicht für die Einsamkeit bestimmt, und wir sind auch nicht nur Tropfen im Meer." Der Film endete mit Tim und Noa, die in einen Zug einstiegen. Die Türen schlossen sich hinter ihnen. Abspann.

Tropfen im Meer  [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt