56|➳ vierhundertachtundachtzig Tode und doch am leben

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56| vierhundertachtundachtzig Tode und doch am leben


Leany| ,,Wenn ich Dir sage, dass es Dir nach dieser Tat und diesem Tag besser gehen wird, würdest Du mir glauben?" ,,Gewiss, Liebes" ,,Und jetzt erzähl mir die Wahrheit, Harold." Das Knistern des Feuers erhellte die Stille, drang schrill in meine Ohren, während der Geruch von verkohltem Papier in meine Nase stieg. Ein raues Lachen seinerseits durchbrach die Stille. ,,Wisst Ihr, Liebes", begann er, hob den Kopf an und blickte zu mir. ,,Ich hätte sie verabscheuen sollen, jedoch kann ich es nicht. Ich vernehme ihre Laute in meinem Ohren, sobald ich ihr Bild verdränge." Ein verbittertes Lachen drang durch seine spröden Lippen, während er seinen Kopf in seine Hände niederfallen ließ und die Luft aus seiner Kehle stieß. ,,Ich schenkte dem Gedanke glaube, sie würden vergeben. Ich meine zu glauben, dass der stussige Gedanke aus der Begierde meinerseits entstand. Gewiss, es ist nahezu närrisch, nicht Liebes? Ich raubte Mutter, Vater und Schwester ihr Dasein auf Erden und hege den Wunsch auf Vergebung." Er jagte ein verbitteres Lachen durch die Lüfte, seine Augen so voller Emotionen. ,,Ich gedenkte, sie würden vergeben können, weil ich es habe ebenso tun können und ihnen dessen Taten habe ebenso vergeben können, nun ist mir in klaren, was ich zu verlangen hege, um dem Schmerz und der Schuld entkommen zu können." Bitter dicke Luft umgab uns, welche ich mit meinen Atemzügen zu brechen wagte. Das Feuer spiegelte sich in Harolds Augen wider, loderte tief in ihnen und hob die Röte und das Glänzen in seinen Augen hervor. Seine Ausstrahlung war gebrochen, mit so viel falscher Schuld und Reue gefüllt, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Mir fehlten die Worte. Mir war nicht bewusst, was ich ihn hätte sagen können, um den Tod in seinen Augen stillen zu können - weil mir bewusst war, das selbst die schönsten Worte seine Schmerzen nicht nehmen konnten. Ich ließ die Luft durch meine Lippen rinnen, ließ den Blick zum lodernden Feuer gleiten, dessen Flamen von Harolds Vergangenheit kontrolliert wurden. Die Zeitungsartikel, Tagebucheinträge und all das was die letzten Jahre von seiner Vergangenheit übrig gewesen waren, sind nun verschollen in dem Feuer, dessen Flamen sich in unserem Innern widerspiegelten. Schweigend sahen wir den Flamen zu, dessen Höhe ins Unermessliche stieg und die Luft um uns wärmten. Müde lehnte ich meinen Kopf gegen Harolds Brust, dessen Wärme durch meinen Körper drung und Geborgenheit durch mein Inneres fließen ließ. Seine Hand verschränkte sich mit der meinen, während er seinen Kopf auf dem meinen platzierte und seine Lippen auf meine Stirn presste. ,,Liege ich im Unrecht, Liebes?" Leise ließ er die Worte durch seine Lippen kommen, den Blick auf das Feuer gegenüber von uns gerichtet. ,,Nein", begann ich und schluckte. ,,Du verdienst alles, was den Schmerz stillt, weil Du nichts getan hast, wofür Du leiden müsstest." Spöttisch lachte er. ,,Ich habe gemordet, Liebes.", entgegnete er. ,,Grund genug für das Leid.", beendet er seinen Satz. Müde schüttelte ich den Kopf, hielt einige Sekunden, in denen ich meine Lider aufeinander fallen ließ, inne, ehe ich erneut das Wort ergriff. ,,Du ziehst zu viele Urteile über Deine Taten. Ich weiß, dass was Du getan hast, das war falsch. Es war nicht richtig seine Familie zu ermorden, aber sie haben ebenso Fehler begangen, die sie den Tod näher geführt haben und sie haben ebenso Fehler gemacht, aus die sie hätten lernen müssen. Dass Du keine Schuld trägst, das meine ich nicht. Aber dass Du ganz alleine durch die Hölle gehen musst und durch Deine Schmerzen gefoltert wirst, dass ist nicht fair, weil ihr alle Fehler begangen habt, die Dich zu einer unglücklichen Person gemacht -und Deine Familie in den Tod geführt haben.", den Blick starr gerade aus gerichtet, beendete ich meinen Satz. Und während der Himmel bittere Tränen weinte, brannten die Flammen des Feuers in unseren Seelen und sagten uns den Kampf zu. ,,Du hast ihnen vergeben können, Harold, und jetzt sind sie dran." Schweigend wanderte mein Blick zu Harold, dessen Brauen konzentriert zusammengezogen waren, während das Grün seiner Augen aufgrund des Feuers aufblitzte. Tief sog ich die erwärmte Luft in meine Lungen, ehe ich erneut das Wort ergriff, denn die Kraft, weiterhin das Gespräch über dieses Thema zu führen, die fehlte sowohl mir als auch Harold. ,,Lass uns bitte nicht weiter darüber reden, Harold, du machst Dich noch verrückt mit Deinen Gedanken." Ein kurzes Nicken seinerseits gab die Bestätigung Preis, die er nicht hatte über die Lippen bringen können. Erneut umhüllte uns die Stille, in der ich zu glauben wagte, die Schneeflocken auf den Asphalt hören zu können. ,,Darf ich Dich etwas fragen, Harold?", durchbrach ich die gröllende Stille. ,,Was liegt Euch auf dem Herzen, Liebes?" Erschöpft fuhr er sich über die geröteten Augen, verschränkte seine vernarbten Hände ineinander und blickte zu mir. ,,Du schriebst, dass Dir etwas eingespritzt wurde und das Versuche an Dir durchführt wurden, die Dein Herz erfrieren -und Deine Augen eine nächtige Farbe annahmen ließen - wie hast Du das überlebt?" Irritiert wanderten meine Augen von Harolds Händen zu seinen müden Augen. Ein verbittertes Lachen drang aus seiner Kehle. ,,Wisst Ihr, Liebes, auf dieses Mysterium habe ich Jahrzehnte sinnvolle Erklärungen gesucht, doch ich ging ahnungslos davon und wäre mir zu diesem Zeitpunkt bewusst gewesen, dass diese Versuche mich unsterblich machen würden und dass das Leid und die Quälerei Bestandteile meines Lebens sein würden, so hätte ich mir das Leben genommen und mich hingerichtet." Geschockt weiteten sich meine Augen, durch meinen Lippen jedoch hatte ich nichts zu Stande bringen können. ,,Hast Du... Ich meine, hast Du versucht Dir das Leben zunehmen?" ,,Gewiss." ,,Und wie viele Male?" ,,Vierhundertundfünfzig Versuche meinerseits und siebenunddreizig Versuche der Gesellschaft." Das Beben seines Körpers versuchte er zu unterdrücken, indem er seine Hände zu Fäusten ballte und seine Augen einen Atemzug lang schloss. ,,Und meine Versuche.", zählte ich flüsternd auf, senkte beschämend den Blick und zählte meine Herzschläge, die rapide gegen meine Rippen schlugen. ,,Ihr nahmt mir das Leben, um mich in das Paradies zu führen, Liebes. Sie nahmen mir das Leben, aufgrund ihrer Ängste gegenüber meiner Unsterblichkeit. Mein Weg sollte bei ihnen in der Hölle enden." Ein erzwungenes Lächeln umrahmte sein krankes Aussehen. Die dunklen Schatten unter seinen Augen, hoben seine stark eingefallenen Wangenknochen hervor, während die Röte in seinen leeren Augen den kranken Gelbstich in seinem Gesicht zum Vorschein brachte. Die Farbe seiner Iris war so trist und blass, dass man sie nicht mehr hätte zwischen einem Grau und Grün unterscheiden können. Kleine Narben zierten sein eingefallenes Gesicht, während seine braunen Locken wirr abstanden. Das Hemd das einst um seinen Oberkörper spannte und seine Muskeln definierte, saß locker und ausgeweitet auf seinen Schultern, während die verstaubte Seidenhose locker um seine Hüften saß und nur aufgrund eines schwarzen Ledergürtels richtig saß. Seine Finger waren so knochig, dass die Ringe von ihnen rutschten. Ungesund stachen seine Adern an den Armen, dem Hals und den Schläfen hinaus und trugen dazu bei, dass sein krankes Bild nur ungesünder aussah. Sein Anblick brach mir das Herz und pumpte den Schmerz unerträglich doll in meine Venen. ,,Und Deine Versuche?", wisperte ich leise, löste meinen Blick von Harold um das kranke Bild verdrängen zu können. ,,Zu Beginn wagte ich zu glauben, dass mein Weg zum Herren führen würde, sobald ich mein Darsein auf Erden erlöschen würde, jedoch wurde mir nach dem zweihundertundneunundachzigsten Versuch bewusst, dass ich aufgrund meiner Taten in der Hölle schmorren würde." ,,Also waren  Einhundertundeinundsechzig Versuche mit dem Wissen, dass Du in die Hölle kommen würdest?" Nickend studierte er mein Gesicht, auf dessen sich das Entsetzten ausbreitete. ,,Wie hast Du all das überleben können?" Fassungslos stellte ich ihm diese Frage, während meine Augen auf Harolds Gesicht gerichtet waren, auf dessen sich ein verbittertes Lächeln breit machte. ,,Ich habe es nicht überlebt, Liebes. Ich gleiche einer leeren Hülle, dessen Inneres seit Jahrzehnten verstorben ist. Ich sagte nicht, dass ich überlebt hätte, Liebste." Rau schnitten seine scharfen Worte die bitter dicke Luft um uns, seine verbitterte Lache kling Messerscharf in meine Ohren. ,,Aber wenn Du nicht überlebt hättest, dann wärst Du nicht so weit gekommen... nicht hier mit mir. ,,Vermutlich ist es der Glaube und die Hoffnung aus den Fängen der Verdammis kommen zu können, Liebes." Verwirrt zog ich meine Brauen zusammen. ,,Aber wenn Du Hoffnung hast, dann bist Du innerlich nicht gestorben, Harold." Erneut ein leises Lachen seinerseits, ehe er das Wort ergriff. ,,Sie war fort als mein Innerstes fort ging und kehrte wieder als ich die Schläge aufgrund eures Dasein verspürte, doch das Leben in mir, es ging fort, als Blut meine Hände berührte - zurückkehren würde es nicht, Liebste." Unglaubwürdig schüttelte ich den Kopf. ,,Nein, Harold. Das funktioniert nicht. Sowas funktioniert nicht." ,,Sagt mir weshalb all das andere funktioniert, Liebes. Ich hätte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf Erden sein dürfen und doch bin ich verdammt jedes Jahrhundert mit zu erleben - dem Frieden aus den Händen entglitten.", sagte er. ,,Wenn das nicht funktionieren würde, dann würde es all das andere auch nicht tun, Liebste. Es geschehen Dinge, die Ihr niemals zu träumen wagen würdet, Liebste." Den Arm um meinen Körper schlingend, zog mich Harold näher zu sich und legte seine Lippen auf meine Stirn. Sein Atem prallte in regelmäßigen Abständen gegen meine Haut und ein Kribbeln, welches Geborgenheit durch meinen Körper jagte, breitete sich in mir aus. ,,Wie fühlt sich der Tod an, Harold?" Leise durchbrach meine Stimme die Lautlosigkeit, die Flammen ließen die Dunkelheit tanzen. Deren Tänze warfen Schatten auf die Wände vor uns, brachten den Raum zum Beben, vermutlich spiegelten sie unser Inneres wider. ,,Er ist Einsam, Liebes.", begann Harold, während seine Augen  dem Schatten Spiel folgten, dass von den Flamen in der Dunkelheit gesteuert wurde. ,,Er ist so schweigsam und zugleich so schallend, dass ich zu glauben wage nimmer wieder etwas vernehmen zu können. Der Tod, Liebes, er ist kalt und leer - gefühlskalt und ohne Erbarmen. Doch die Leere die Er Euch lehrt, sie wird euch den Schmerz nehmen, sobald Ihr euch ihr hingibt.", leise, kaum hörbar drangen die Worte aus seiner Kehle, unterstrichen den Schmerz der Einsamkeit dicker, als er von seiner Erfahrung berichtete. ,,Hast du Dich der Totenstille hingegeben?", heißer und gekränkt vor Schmerz wartete ich auf seine Antwort. ,,Einhundertundfünfundsiebzig Male gab ich mich der Stille hin. So oft waren meine Gefühle ausgestellt, während die Einsamkeit mir die Kontrolle nahm.", erzählte er, seine Lache sprach pure Enttäuschung und Reue aus. ,,Er nahm mir meine Schmerzen und gab mir die Einsamkeit, Liebste." ,,Du hast Dich aus seinen Fängen gerissen, Harold, in der ganzen Zeit in der wir zusammen waren. Deine Augen zeigen mir den Schmerz den Du zu verbergen wagst." ,,Ich verberge nicht vor euch, Liebste, ich lerne mit ihm  umzugehen. Meine Augen haben schneller gelernt, den Schmerz und die Emotionen preiszugeben, als ich durch meine Lippen lernte.", antwortete er, seine Mundwinkel leicht in die Höhe gehoben. ,,Er betrug, Liebes, denn die Einsamkeit war nach geraumer Zeit der schlimmste Schmerz, den ich je verspürte." ,,Wie lange war dein Herz aus Eis, Harold." ,,Es ist mir nicht ganz gewiss, Liebes - Ein Jahrhundert, womöglich noch länger.", stieß er raus. ,,In der ganzen Zeit in der Dein Herz aus Eis bestand, hattest Du jemals wieder geliebt?" Verwirrt hatten sich meine Brauen zusammengezogen. ,,Nein, nimmer wieder.", Verwirrtheit lag in seiner Stimme, während ich meine Augen geschockt aufriss und zu verstehen begann. ,,Du hättest lieben müssen, Harold ", begann ich geschockt. ,,Verzeiht, ich kann euch nicht folgen, Liebes." ,,Sie haben gewusst, dass Du niemals lieben würdest, Harold, und solang Du nicht mit dem Herzen lieben würdest , solang würde Dein Herz nicht auftauen, weil ihnen bewusst war, dass du, nachdem was sie Dir angetan haben, niemals mehr lieben würdest. Sie haben Dich bewusst gequält und Dich dem Hass gelehrt, damit Du verdammt bist jedes Jahrhundert alleine miterleben zu müssen.", stockend stieß ich meine Gedanken aus. Es schien alles Sinn zu ergeben, ihnen war bewusst, wie sie Harold hätten quälen können. Schock stand in seinem Gesicht geschrieben, denn es gab ein Rätsel von dem Harold nicht wusste, er hatte keine Gedanken darüber verschwendet - zu groß war der Hass dem er gelehrt wurden ist. ,,Wann wurden Deine Augen das letzte Mal nächtig schwarz? Und wann hast Du Dein Herz das letzte Mal nicht mehr schlagen hören, Harold?" Stockend atmete er aus. ,,Als ich euch verabscheute, Liebes."

Don't play with me, Darling! h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt