59| Herzen brechen so laut, Freunde...

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Erzähler Sicht| Nolan

"Wie geht es euch?", fragte er leise, kaum hörbar in die Stille. Ein spöttisches Grinsen brachte seine Mundwinkel in die Höhe - er würde keine Antwort erhalten- dessen war er sich bewusst und trotz dieser Tatsache, dass er niemals wieder eine Antwort erhalten würde, sprach er immer und immer wieder mit ihnen, wenn er sie besuchen kam. ,,Also nichts neues", murmelte er bedrückt in die Dunkelheit, die nicht mehr vollkommen war, als er sich dazu entschied die Zigarette, die seit siebzehn Minuten und vierundfünfzig Sekunden in seiner Hand lag, zu erwecken. ,,Vielleicht kann ich ja anfangen", sprach er in die Dunkelheit, zog an der Zigarette, bließ den Qualm aus seinen Lungen und schaute ihr zu, wie sie sich auflöste. Einen letzten Schluck nahm er von seiner halbleeren Wodka Flasche, ehe er begann über die Neuigkeiten zu sprechen, die sie nicht mehr mitbekamen. ,,Vielleicht ist es der passende Moment euch zu beichten, dass ich das Gift zu lieben gelernt habe, dass ich in meine Lungen ziehe und vielleicht wäre es auch der passende Moment euch zu sagen, dass ich die bittere Flüssigkeit liebe, die durch meine Kehle fließt. Ob ich mich als ein Alkoholiker ansehen kann, das kann ich bei ein -bis zwei Flaschen am Tag nicht sagen und ob ich zu den Kettenrauchern zähle, das kann ich bei fünfzehn Zigaretten am Tag nicht sagen. Manch' andere würden mit einem 'Ja' antworten, aber ich bin noch nicht soweit. Wie mans nimmt", war sein letzter Satz, ehe er von seinem schallenden Gelächter unterbrochen wurde. ,,Ich kann euch nicht sagen, wann ich angefangen habe oder wie es dazu kam, vermutlich war es die Sehnsucht nach dem Tod, die zu solchen Mitteln greifen lässt, weil es ein quälender Tod wäre, anstatt sich von einer Brücke fallen zu lassen, sich eine Kugel zu geben oder sich mit einem Bettlaken zu erhängen. Dann stünde in der Zeitung nicht 'Junge begann Suizid, nachdem er die Leere in sich nicht mehr aushielt' sondern 'Zu viel Konsum über die Jahre hinweg! Drogenjunkie und zugleich Kettenraucher starb durch die gewaltigen Folgen. Lassen Sie uns etwas dagegen unternehmen'." Der Stümmel leuchtete rot auf, als er das Gift tief in seine Lungen sog. Drei weitere Male zog er an ihr, bevor er sie zerdrückte und zur Flasche griff. "Kylie, Du sprangst die Brücke hinunter - erinnerst Du dich? - auf eine Baustelle, wo weitere Gleisen gebaut werden sollten, und brachst Dir beim Aufprall nicht nur das Genick. Dass die Arbeiter durch Deinen Tod einen Trauma erlitten, das hatte Dich dann nicht zu kümmern, schließlich bist Du gestorben und hast eine neue Welt betreten. Harold, Leany, ihr zwei hattet zwar keine Schuld, dass Ethan und Blake euch eine Kugel in die Brust gejagt haben, aber dass der Anblick eurer entseelten Körper selbst zwei Polizisten in den Zustand der Bewusstlosigkeit brachten, das war am Ende nicht euer Problem, schließlich seit ihr gestorben und habt die neue, heile Welt betreten. Ethan, Du hast Dich in der Psychatrie hingerichtet, indem Du Dich mit Hilfe Deines Bettlakens erhängt hattest, dass Du mich alleine zurück ließt, dass war nicht schwer für Dich, schließlich kamst Du mit Deinen Schuldgefühlen nicht klar. Ich denke, die anderen sollten auch von Deinem Tod erfahren. Blake sitzt hinter Gittern. Auch er ist fort. Erinnert ihr euch an seine Worte? 'Ist das der Junge ohne Herz?' Er bereut seine Worte, seine Gedanken und seine Taten. Er sagte, er ist das Monster ohne Herz, weil er euch eure Herzschläge genommen hat. 'Wenn Du sie besuchen gehst, sag ihnen, dass ich es mir nicht einfach mache und solange mit den Schmerzen leben werde, bis mein Schicksal entscheidet, wann ich in die Hölle komme für meine Taten", hat er ständig gesagt. "Ich bete zu Gott, dass sie ihr Glück dort oben gefunden haben." Er weiß nicht, dass Du Tod bist, Ethan, ich habe es ihm verschwiegen. Das Leid auf seinen Schultern wiegt schon viel zu viel. Und jetzt muss ich lernen, mit dem Schmerz umzugehen... Aber eine besondere Sache wäre da, die mir auf dem Herzen brennt." Wieder ein Schluck, zwei Atemzüge und ein Wimpernschlag. "Ihr habt mich alle zurück gelassen", lachend hob er den Blick, hob die Flasche in die Höhe und ließ seinen Blick über die Sterne gleiten, die den Himmel erhellten "Auf mein scheiß Leben." Der Alkohol nahm langsam die Kontrolle über seinen Körper, die Worte sprach er verdreht aus. Vermutlich würde er den Weg nicht einmal zurück finden und die Tatsache, dass er in einem dünnen Pullover und einer Jogginghose Mitte Winter auf der Erde in einem Friedhof, saß, prallte an ihm ab. "Herzen brechen so laut, Freunde, aber versucht nicht meinem zu helfen, ihr würdet euch nur die Finger verbrennen." Die Flamen der Kerzen tobten in dem tristen Braun seiner Augen herum - spiegelten das Feuer in ihnen, das alles Schöne niedergebrannt hatte. ,,Mum hat vor vier Stunden angerufen", murmelte er wieder, die Stirn in Falten gelegt. "Sie sagte, sie würde ihren Sohn nicht mehr erkennen. Dad schrie, ich solle mit meinem Leben klar kommen, als ich Mom sagte, ich würde sie ebenso nicht erkennen und mit einer mir fremden Person sprechen. Das Letzte was ich vernahm, waren Moms Tränen dessen Klänge ich wahrnahm, als sie auf den Boden fielen. Schon bitter, nicht Freunde? Ich habe das Gefühl, dass jeder seine Stimme erheben darf und jeder etwas an mir zu recht pfeilen darf und sobald ich meine Stimme erhebe, bin ich nicht der Selbe, eine Person, die sich derart verändert hat, dass mir solche Wörte gegen den Kopf geworfen werden." Seine Worte klungen ab, der Blick gesenkt auf seine Wodka Flasche, die er zwei Mal hin -und her schwenkte, ehe er sie hinter sich auf den Boden schmiss und die Flüssigkeit in die Erde sickern ließ. "Vielleicht bin ich nicht derjenige, der ich einmal war und vielleicht habe ich mich ja doch derart verändert, dass mich keiner wiedererkennt. Ich schätze, ich habe sogar die Wörter verdient, die ich an den Kopf geworfen bekomme, aber wisst ihr, was noch einsamer als der Tod selbst ist, Freunde? Die Leere in mir und der Schmerz der in meinen Venen pumpt." - Kurz presste er seine Lider aufeinander, krallte seine Hände in die Erde, um den Schwindel und der Dunkelheit entkommen zu können, ehe er die Stille mit seinen Worten durchbrach. "Niemand nimmt mich bei der Hand und bietet mir seine Hilfe an und niemand versucht zu verstehen, wie es ist, seine einzig wahren Freunde zu verlieren. 'Es ist ein Verlust der Jeden treffen wird und jeder muss einmal durch den Tod eines Geliebten gehen, aber das heißt noch lange nicht, dass Du Dein Leben aufgeben kannst, nur weil das von jemand anderem vorbei ist. Denk dran, dass jemand ebenso durch Dein Leid, durch dass Du heute gehen musst, durchgehen muss, wenn Du Dir Dein Leben nimmst.' Dylan, mein Therapeut, hatte mir das nach einem Jahr gesagt, als ihm bewusst wurde, dass mir keine Sitzung mehr helfen könnte. Er war am verzweifeln, ich sah ihm das an, denn er ist der einzige der weiß, wie sehr ich mich nach dem Tod sehne, um mich der Einsamkeit aus den Fängen zu reißen. Als ich ihm sagte, dass ich nichts zu verlieren hätte und dass niemand an meinem Verlust leiden müsste, weil ich niemanden hatte, dem ich etwas bedeutete, hatte er sich über die Augen gewischt um die Träne, die still und heimlich über seine Wange lief, wegzuwischen. Das tat weh, Freunde. Es tat so verdammt weh, fast hätte dieser Schmerz den Schmerz der Einsamkeit übertroffen und für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich geglaubt, ich würde mein Leben langsam wieder aufbauen können, wenn ich fest daran glauben würde, aber es ging nicht, so sehr ich auch wollte-" Für eine Sekunde hatte er bebend die Luft in seine Lungen gesogen, den Blick empor in den Himmel wandern lassen, um den Tränen keinen Austritt zu gewähren, denn sie stellten ihn noch schwächer da, als er schon war. "Also begann ich den Tag darauf zu lügen, begann sooft zu lügen, dass ich bald anfing meinen eigenen Lügen glauben zu schenken, weil ich Wahrheit und Lüge nicht mehr unterscheiden konnte. Ich habe den Frieden in seinen Augen gesehen, als ich ihm mein schönes Leben vorspielte. So viel Frieden, dass das triste Blau seiner Augen zu glänzen anfing. Ich hatte nie vor, ihm dreist ins Gesicht zu Lügen, wirklich nicht, schließlich hatte ich niemanden mehr außer ihn, aber was hätte ich tun sollen? Denn er zerbrach an mir, mehr als ich es selbst tat. Dass ich nach und nach an meinen Lügen brach, dass verdrängte Ich, selbst wenn es schmerzte, die Wahrheit zu verschweigen und ich mich immer mehr in den Abgrund stieß. Er sagte, dass er jeden Abend zum Herren betete, damit ich mir mein Leben wieder aufbauen konnte, ohne die Sehnsucht nach dem Tod, ohne den Schmerz und die Leere in meinem Innern. Und als er sagte, dass seine Gebete erhört wurden, da nahm ich einen Teil in mir wahr, der so unendlich laut in mir brach, dass die Lasten auf meinen Schultern mich nieder drückten. Die Umarmung die er mir gestern Mittag gab, sprach pure Erleichterung und Freude aus und wieder hatte er ein Gebet in den Himmel geschickt, hatte sich zig Male bedankt, weil er glaubte, mir wurde mein Leben gerettet, dabei bestanden die Sitzungen aus unendlich vielen Lügen, die ich mir Wochen vor der nächsten Sitzung ausdachte und sie mir sooft vor meinem eigenen Spiegelbild laut erzählte, um sie glaubwürdig darstellen zu können. Ein Jahr ist vergangen und er lebt Heute noch mit der Lüge ich wäre über euren Tod hinweg gekommen und hätte mir wieder ein Leben aufgebaut, in der Trauer und Schmerz Fremdwörter waren." Vier Atemzüge vergingen, ehe er erneut das Wort ergriff, weil die Stille so laut in seinem Kopf hallte. ,,Ich kann es nicht glauben", langsam schüttelte er seinen Kopf, den Blick auf die vier Gräber gerichtet, die er alle hatte nebeneinander erbauen lassen, um seine Freunde beisamen zu bringen, damit er mit jedem von ihnen sprechen konnte. ,,Kylie, du bist jetzt seit drei Jahren fort. Leany, Harold, bei euch sind einandhalb Jahre vorüber und bei dir Ethan sind es mitlerweile dreizehn Monate, in denen du nicht mehr unter uns weilst. Und dass ich solang überlebt habe, das kann ich nicht glauben. Ich hatte mir nicht einmal zugetraut eine Woche ohne euch auf Erden zu verweilen, aber vermutlich ist es der Druck, der mich erdrücken würde, wenn ich Dylan erneut weinen sehen würde und mich somit am leben hält - nur dieses mal wären seine Tränen für meinen Tod bestimmt." Den Brief den Ethan Leany vor seinem Tod geschrieben hatte, legte er vor ihren Grab in die Erde, darüber ein kleiner Stein, der ihn nicht fortfliegen ließ. Die vier weißen Rosen, die er seinen Freunden mitgebracht hatte, hatte er zwischen den Kerzen in die Erde gelegt. "Vor fünf Stunden waren es nicht weiße Rosen gewesen, sondern schwarze, aber dann dachte ich nach. Habe gedacht, dass nur weil meines so Schwarz aussehen mag, euer Leben noch lange nicht so aussehen muss. Und vielleicht gefällt es euch dort oben besser als es euch hier erging, denn mir wurde bewusst, dass jeder von euch Momente hatte, in denen er in den Fängen der Trauer gefangen saß, während die Einsamkeit sein Feind und die Stille etwas zwischen Feind und Freund war. Es sind nicht einmal echte Rosen, denn die würden verwelken und einen schwarzen Farbton annehmen, die der Einsamkeit in mir gleichen würde, also habe ich Plastikrosen für euch mitgebracht deren Schönheit niemals verwelken würde, denn dort oben würde euer Frieden auch niemals verwelken." Kopfschmerzen plagten ihn, als er sich erhob und sich an dem Grabstein seines einst besten Freundes stützte. "Und vielleicht sollte ich mein Leben ja doch auf die Reihe bekommen, auch wenn ich glaube, dass ich niemals meinem Glück in die Arme springen kann. Vielleicht sollte ich einfach meine Fassade bröckeln lassen und mich meinem Schicksal hingeben, schließlich ergeht es manch anderen viel schlimmer als es mir ergeht. Und vielleicht schafft mein Herz es ja seine Herzschläge zurück zu gewinnen." Er schwieg, kehrte seinen Freunden den Rücken zu. Ein letztes Mal wendete er seinen Kopf und betrachtete die Gräber, ehe sich seine rissigen Lippen in die Höhe hoben und er sich müde übers Gesicht wischte. "Auf Wiedersehen, Freunde."

Don't play with me, Darling! h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt