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Ein lautes Klingeln riss mich schmerzhaft aus dem Schlaf.
Stöhnte vergrub ich mein Kopf unter dem Kissen und versuchte den pochenden Schmerz abzudämpfen.
Doch das Klingeln hatte kein Erbarmen mit mir und ich musste tatsächlich nachschauen gehen, wer denn so unglaublich penetrant war.
"Ja?"
Meine Stimme war heiser und mein Hals fühlte sich rau an.
"Hey Amy, wo bleibst du? Ich habe mich sogar schon warm gemacht."
Ich schloss die Augen und stöhnte auf.
"Sebas? Du erwartest jetzt nicht wirklich, dass ich zum Training komme? Ich hab einen unglaublichen Kater."
"Ich weiß, ich hab dich schließlich sturzbesoffen ins Bett gebracht."
"Sebas, bitte hab Mitleid mit mir."
"Nein, habe ich nicht. Nachdem, was du dir gestern Nacht alles geleisteth ast, hast du es nur verdient."
Wovon redete er?
"Ich hab zwar keine Ahnung, was gestern los war, aber ich hole mir Aspirin und komme dann in die Schule."
Sebas legte auf.
"Oh mein Gott."
Ich stöhnte erneut auf bei dem Gedanken an das intensive Training mit Sebas.
Doch es half alles nichts.
Langsam richtete ich mich auf und schlug die Decke zurück.
Mein Kopf dröhnte und mir wurde verdammt schwindelig, als ich die Beine aus dem Bett schwang.
Ich zog mir schnell meine Trainingsklamotten an und suchte mir Schläppchen aus der Schublade zusammen.
Auf dem Weg nach draußen nahm ich mir schnell eine Wasserflasche und ein paar Aspirin und zog dann leise die Tür hinter mir zu, schließlich war es erst halb acht und ich vermutete, dass meine Familie noch schlief.
Auch wenn es vielleicht nicht das verantwortungsbewussteste war, stieg ich in mein Auto und fuhr in Richtung der Royal Academy of Dance davon.
Plötzlich klingelte mein Handy erneut und ich schreckte zusammen.
Ich drückte den Knopf für die Freisprechanlage und sah nicht einmal auf die Anrufer ID.
"Ja?"
"Baby, hey. Es tut mir wirklich Leid, was gestern Abend passiert ist. Bitte, lass es mich wieder gut machen."
"Joel?"
"Ja, Amy, hör zu, es tut mir so unglaublich Leid. Ich hätte nicht so reagieren dürfen, aber es treibt mich einfach in den Wahnsinn, dass ihr so nah zueinander steht."
Ich verdrehte die Augen, musste aber zugeben, dass ich es nett fand, dass er mich anrief.
"Joel, ist ja gut. Ich verstehe ja, warum du so reagiert hast, aber du musst dich auch mal in meine Lage versetzen. Du vertraust mir einfach nicht, egal wie oft ich dir schon versichert habe, dass zwischen mir und Sebas nichts ist."
Er seufzte.
"Es tut mir wirklich Leid, Amy. Können wir uns vielleicht zum Frühstücken treffen? Ich lag die ganze Nacht wach und dachte ich ruf dich noch vor dem Training an. Hast du danach Zeit?"
"Ja, von mir aus können wir uns nach meinem Training treffen. Ich schreib dir dann, wenn wir fertig sind."
Joel seufzte.
"Und ich wollte dir sagen, dass ich mich wegen Sebas zurück halten werde. Hab Spaß beim Training."
Ich lächelte.
Er gab sich wirklich Mühe.
"Danke Joel, es bedeutet mir sehr viel, dass du es versuchen willst."
Mein Freund lachte leise auf.
"Ich liebe dich, Amy."
"Ich dich auch."
Damit legte er auf und ich parkte direkt vor meiner Schule auf dem Parkplatz.
Sebas war schon da, ich sah sein Auto vor der Tür stehen.
Seufzend ging ich in das Schulgebäude, dass uns auch Sonntags zum Training zur Verfügung stand und machte mich auf den Weg in den Raum, in dem Sebas und ich immer trainierten.

"Du bist herzlos."
Sebastian drehte sich zu mir um und musterte mich.
Ich konnte in seinem Gesicht nicht die Spur von guter Laune oder von Spaß sehen.
"Sebas, was ist los?"
Ich stellte meine Tasche ab und ging zu ihm hinüber.
Er musterte mich von oben bis unten abschätzend.
"Du kannst trinken, dann kannst du auch trainieren."
Ich grinste und suchte meine Schuhe aus meiner Tasche.
"Und wie ich getrunken habe. Ich hab einen totalen Filmriss. Aber ich habe doch nichts merkwürdiges angestellt, oder?"
Ich begann damit, mich aufzuwärmen und wartete immer noch darauf, dass die Tablette wirkte.
"Na ja...", setzte Sebas an, während er sich dehnte.
"Was?"
Erschrocken drehte ich mich um.
"Ich schätze mal, mit einem Fremden rummachen und sich komplett zu betrinken zählt schon zu merkwürdigen Taten, oder?"
Mir hing der Mund offen.
"Was habe ich gemacht? Mit irgendeinem Typen rumgemacht?"
Ich stützte den Kopf in die Hände. "Oh shit!"
Sebas zuckte nur mit den Schultern und machte weiter seine Übungen.
Was war nur mit mir los gewesen?
Ich begann ebenfalls mit meinen Dehnübungen.
"Lässt sich jetzt aber auch nicht mehr ändern. Und eigentlich kann es mir ja egal sein. Lass uns endlich tanzen."
Sebas stand auf.
Ich nickte und schüttelte immer noch den Kopf darüber, wie ich so etwas machen konnte.
"Du hast ja Recht, aber wie konnte ich nur so dumm sein. Ich liebe Joel doch."
Sebas lächelte sanft.
"Ich weiß, aber um fair zu sein, er hat dich auch mit irgendeinem harten Zeug total abgefüllt."
"Wow, das hört sich ja gleich so viel besser an."
Meine Stimme triefte nur so vor Ironie und ich ging zu Sebastian um endlich mit unserem Pas-de-Deux anzufangen.
"Wie geht es eigentlich Lucy?"
Während er mich durch die Luft hob und wir unsere Schritte durchgingen brach ich die Stille zwischen uns.
Lucy war Sebas Freundin, die beiden waren mittlerweile seit eineinhalb Jahren zusammen und eigentlich mochte ich sie.
"Gut, gut. Sie hat die ersten Prüfungen bestanden und wir fahren nachher noch zu ihren Eltern zum Tee."
"Wenigstens deine Beziehung läuft gut. Es freut mich für dich."
Und das meinte ich ernst.
"Ich kann nichts dafür, dass du mit diesem Idioten zusammen bist und ihn dann auch noch betrügst."
"Aber du hättest mich zurück halten können!"
Sebas sah mich finster an.
"Ich bin nicht dein Babysitter. Ich muss dir nicht die ganze Zeit hinterher laufen um zu schauen, dass du keinen Scheiß anstellst."
Wir erhoben beide unsere Stimmen, was meinem Kopf nicht wirklich gut tat.
"Aber du hast gesagt, dass du auf mich aufpasst!"
Sebas sah getroffen aus und sofort tat es mir leid, es war schließlich nicht seine Schuld, dass ich zu viel getrunken hatte.
Mir wurde kurz schwarz vor Augen und ich hielt mich an Sebas fest, der mittlerweile bei mir stand.
Sofort schien er unsere Auseinandersetzung verdrängt zu haben, denn er griff nach meinem Arm um mich aufrecht zu halten.
"Amy, alles okay?"
"Ja ja, mir ist nur ein wenig schwindelig. Alles gut."
Die Aspirin hatte kaum gegen meine Kopfschmerzen geholfen, wenn überhaupt wurde der pochende Schmerz in meinem Kopf nur noch schlimmer.
Meine Knie wurden schwach und ich knickte weg.
"Amy!"
Schwach setzte ich mich auf den Boden.
"Es dreht sich alles."
"Hier, trink was."
Er hob mir meine Wasserflasche hin.
Ich nahm sie und trank einen Schluck.
"Danke."
Vorsichtig erhob ich mich wieder.
Immer wieder wurde es dunkel vor meinen Augen, doch ich blinzelte ein paar Mal dagegen an, bis es wieder besser wurde.
Ich ging zu der Musikanlage und schaltete sie aus.
Die leise Hintergrundmusik erstarb.
"Tut mir Leid Sebas. Alles. Dass wir nicht wirklich trainieren können und dass ich mich so scheiße benommen..."
Ich wollte noch mehr sagen, doch in dem Moment drehte sich mir der Magen um und ich stürzte in Richtung Koridor davon.
Aber ich schaffte es nicht mal aus dem Raum und so übergab ich mich in eine Ecke des Trainingssaals.
Eine Welle von Scham überkam mich gefolgt von einer weiteren Welle der Übelkeit.
Ich sackte auf die Knie.
"Amy."
"Bleib weg!"
Er sollte nicht sehen, wie widerlich das hier war.
Mein Mund fühlte sich eklig an und der saure Geschmack brannte auf meiner Zunge. Ich krümmte mich vor Schmerz, als ich mich erneut übergeben musste und schnappte keuchend nach Luft.
"Amy."
Sebas fasste mich an der Schulter und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Ich wollte ihn nicht hier haben.
Ich schämte mich.
Erbrochenes lief mir über die Finger und tropfte auf meine Kleidung.
Doch das Würgen hatte kein Ende, ich keuchte und krümmte mich, doch es hörte einfach nicht auf.
Und auf einmal wurde meine Sicht wieder schlechter, die Ränder flackerten, wurden dunkel.
Tränen liefen mir über das Gesicht, ein Pfeifen erklang in meinen Ohren und die Übelkeit hörte einfach nicht auf.
"Sebas... Hilf mir. Es tut so weh..."
Ich krümmte mich wieder zusammen.
Ich bekam kaum noch Luft, als das Würgen immer stärker wurde, selbst als nichts mehr kam.
Sebas neben mir zog sein Handy hervor, doch ich konnte nicht wirklich sehen, was er machte.
"Hallo? Ich brauche einen Krankenwagen... die Royal Academy of Dance. Saal 5. Bitte, machen sie schnell."
Keuchend stockte mir der Atem, meine Sicht bestand nur noch aus einem kleinen verschwommenen Kreis und die Tränen liefen mir über das Gesicht, zusammen mit dem Erbrochenen, das mich umgab.
Meine letzten Muskeln gaben den Kampf auf und ich sackte zur Seite, dann wurde es endlich komplett schwarz und still.  

Night changes everything (Deutsch) *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt