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So saß ich jetzt also in diesem Café, Stöpsel in den Ohren und versuchte mir eine Zukunft ohne die Akademie vorzustellen. Schnell merkte ich, dass ich das nicht konnte. Mein ganzes Leben lang war ich auf Tanzschulen gewesen und ich konnte mir nichtmal im Entferntesten ausmalen, was ich jetzt machen sollte.
Die Musik in meinen Ohren blendete die Stimme um mich herum aus, doch gleichzeitig bedeutete es, dass ich mit meinen Gedanken allein war. Seufzend zog ich die Stöpsel heraus und sofort stürzte das Summen der Stimmen um mich herum auf mich ein.
Ich genoss es, dass ich mich nicht auf meine Gedanken konzentrieren konnte und lehnte mich in meinem Sessel zurück. Vorsichtig tastete ich nach der Tasse neben mir und nehm ebenso vorsichtig einen Schlug Tee. Wie meine Mutter immer sagte, eine gute Tasse Tee ließ alles um einen herum besser wirken. Auch wenn das nicht so ganz zutraf, so beruhigte mich diese vertraute Geste doch ein wenig.
Was wohl meine Mutter sagen wird, wenn sie den Anruf von Direktor Palmer bekam?
Oder meine Schwester?
Ich war tatsächlich an dem Punkt angelangt, dass ich nicht mehr wusste, was die Leute, die mir immer beistanden, über mich denken werden.
Natürlich war ich schon oft verzweifelt gewesen, ich war plötzlich blind geworden, da konnte man schon mal die Nerven verlieren, aber ich wusste trotzdem tief in mir, dass ich mich auf meine Familie und Sebas verlassen konnte.
Doch jetzt?
Jetzt hatte ich das Gefühl, all das hart erarbeitete Geld meiner Mutter zum Fenster rausgeworfen zu haben, in dem ich meine Ausbildung nicht zu Ende brachte. Zwar hatte ich einiges durch meine Auftritte verdient, doch das meiste ging für meine Therapie und Medikamente drauf, da meine Krankenkasse nicht viel davon übernommen hatte.
Ich hatte das Gefühl, auch noch das letzte, das mich mit Sebas verband, die gemeinsame Schulzeit, zu verlieren und unsere Freundschaft damit so sehr unter die Probe zu stelle, dass ich schon kaum noch Hoffnung hatte.
Und ich hatte Angst, was Liv wohl sagen würde. Liv, die mir immer sagte, dass ich nicht rumheulen sollte, sondern einfach mein Ding durchziehen musste. Und was tat ich jetzt? Ich saß in einem Café, jammerte rum und dachte nicht einmal über eine Möglichkeit nach, wie ich wieder auf die Schule gehen konnte.
Ich stützte den Kopf in die Hände und seufzte.
Die Wut war verflogen und selbst die Enttäuschung ebbte ab, als ich länger darüber nachdachte. Ich fühlte mich einfach nur noch leer.
Mein Telefon klingelte erneut und ich ging niedergeschlagen ran.
"Ja?"
"Amy? Wo bist du? Ich warte seit 15 Minuten auf dich! Mum hat mich angerufen und gesagt, dass ich dich abholen gehen soll. Ich hab schon das ganze Schulgelände nach dir abgesucht!"
Ich schloss für einen Moment die Augen.
"Liv, keine Sorge. Ich bin schon auf dem Weg."
Nun hieß es, die Sache meiner Schwester beizubringen.
Und ich dachte, dass ich noch ein wenig Zeit hatte um mich auf diesen Moment vorzubereiten.
Langsam erhob ich mich aus dem Sessel in dem ich saß und machte mich auf den Weg zurück in die Schule.
Ich war gerade mit meinem Stock an dem Kiesweg auf unserem Schulgelände angelangt, da kam mir auch schon Liv entgegen. Ziemlich hysterisch wie mir schien.
"Amy, wo warst du?"
"Im Coffeeshop."
Liv wusste bestimmt noch ganz genau, welchen Coffeeshop ich meinte.
"Aber warum? Warum bist du nicht im Unterricht?"
Sie führte mich über den Hof, vermutlich zu ihrem Auto.
"Können wir vielleicht zuhause darüber reden?"
Liv schloss das Auto auf und hielt mir die Tür auf.
"Nein. Wir reden jetzt darüber. Ich will wissen, warum Mum mich so früh anruft, mir sagt, dass ich dich abholen und heimbringen soll. Ich will wissen, warum du nicht im Unterricht bist und warum du alleine in dem Café warst, dass du das letze Mal vor einem Jahr betreten hast. Hast du irgendwas angestellt?"
Ich schnallte mich an und wartete mit meiner Antwort, bis Liv auf dem Fahrersitz saß.
"Nein, ich habe nichts angestellt. Ich war allein unterwegs, weil Sebas im Unterricht sitzt und weil ich Tee wollte. Und ich war nicht im Unterricht, weil ich in Zukunft nicht mehr hier zur Schule gehen werde."
Neben mir ertönte nur ein kurzes Aufkeuchen.
"Amy, wie meinst du das? Warum willst du plötzlich nicht mehr hier zur Schule gehen? Das Tanzen ist dein Leben und diese Schule ist perfekt für dich."
Ihre Worte brachten mich wieder den Tränen nahe. Ich wollte nicht heulen. Ich hatte keine Lust darauf.
"Du denkst, ich weiß das nicht? Du denkst, ich will nicht mehr hier zur Schule gehen? Oh nein. Ich will natürlich weiterhin hier zur Schule gehen, aber ich darf nicht mehr. Sie haben mich rausgeschmissen!"
Ich spürte Livs Anspannung neben mir.
"Hast du was angestellt? Unbewusst vielleicht?"
Ich schüttelte nur den Kopf.
"Nein, sie haben mich der Schule verwiesen, weil ich jemand anderem die Chance auf einen Studienplatz und auf ein Stipendium verbaue. Sie sind der Meinung, da ich sowieso nicht mehr tanzen kann, brauche ich auch nicht mehr auf einen Tanzakademie gehen."
"Aber du kannst doch tanzen. Warum hast du ihnen das nicht gesagt?"
Ich schnaubte auf.
Hielt Liv mich wirklich für so hilflos?
So rückratlos?
Dachte sie echt, dass ich nicht für mich selbst einstehen konnte?
"Ich habe es ihnen gesagt, aber sie wollten es nicht hören."

Zuhause erwartete mich das selbe Gespräch nochmal.
Warum ich nichts dagegen gemacht hatte, warum es überhaupt dazu kam.
Doch im Endeffekt kam nichts neues dabei raus.
Meine Schule wollte mich nicht weiterhin durchschleppen, wenn jemand anderes meinen Platz einnehmen konnte.
Und irgendwie konnte ich das ja verstehen.
Ich konnte nur nicht verstehen, wieso sie mich nicht tanzen ließen. Ich konnte tanzen und ich würde es ihnen auch beweisen können, wenn ich die Chance dazu bekommen würde.
Das war alles, was ich brauchte.
Eine Chance.

Die nächsten Stunden lag ich auf meinem Bett und hörte Musik.
Immer und immer wieder klingelte mein Telefon und ich wusste einfach, dass es Sebas war.
Und ich wusste auch, dass ich einfach nicht mit ihm reden konnte.
Nicht jetzt.

AN: sorry, dass so lange nichts kam... ich bin momentan etwas beschäftigt...
Aber falls ihr ein wenig häufiger was über meine Werke wissen wollt, dann schaut auf meinem Instagramaccount (@lenaswattpad) vorbei. Da poste ich fast täglich Bilder :)

Night changes everything (Deutsch) *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt