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Er hatte keine Wahl?
Er?
Ein Schauer der Wut jagte über meine Haut.
Wut war gut. Wut war besser als Trauer.
Denn ich konnte nicht schon wieder heulen.
"Mr. Palmer, Sir, bei allem Respekt aber Sie wollen mir jetzt nicht wirklich erzählen, dass Sie keine Wahl haben? Die einzige Person in diesem Raum, die keine Wahl hat, bin ich. Ich bin Tänzerin. Eine der besten die es momentan in diesem Land gibt, jedenfalls sagte man mir das so. Ich hatte mit 17 schon Positionen am Royal Ballett und habe für die Königsfamilie getanzt. Sie haben Recht, mir standen alle Türen offen. Aber durch einen dummen Unfall habe ich diese Türen nicht mehr offen. Doch wissen Sie warum?"
Ich war kurz vorm Explodieren.
"Wissen Sie warum?!"
Es kam keine Antwort, doch die brauchte ich nicht.
"Ich tanze nicht nicht mehr, weil ich es nicht kann, oh nein. Ich trainiere Tag und Nacht, ich tanze jedes meiner alten Stücke perfekt durch, aber ich brauche ein wenig Unterstützung. Sie wissen doch selbst, was wir im Training immer lernen. 'Übt solange, bis ihr es blind könnt'. Ich sitze hier vor Ihnen, blind bis ans Ende meiner Tage und ich kann immer noch tanzen. Aber Sie nehmen mir das weg. Sie wollen mich daran hindern, etwas zu erreichen. Weil ich nicht normal bin, weil ich ein wenig Unterstützung von den Leuten um mich herum brauche. Sie sind es, der mir diese Türen verschließen. Nicht dieser Unfall, Sie!"
Ich schrie in dem ganzen Zimmer, ich wusste es war falsch, zu schreien, ich vergaß meine Manieren total. Doch ich hatte Hoffnung. Ich hatte Hoffnung, dass er verstand. Dass er mich verstand, meinen Drang zu tanzen. Keine Ahnung wie ich darauf kam, doch ich hatte beinahe geglaubt, dass er mir ein weiteres Vortanzen anbot, um zu zeigen, was ich kann.
Doch wie so oft wenn ich Hoffnung hatte, wurde sie zerschmettert.
"So gerne ich Ihnen glauben würde, ich kann nichts an der Situation ändern. Nehmen Sie nicht jemand anderem die Chance, gehen Sie auf eine andere Schule, eine, für die Sie nicht tanzen müssen und somit sich und andere in Gefahr brachten. Ich werde Ihre Mutter informieren, damit wir über die Papiere reden können."
Ich wollte gerade rufen: Ich bin volljährig verdammt, bereden Sie diese verdammten Papiere mit mir und nicht mit meiner Mutter!
Doch ich hielt mich zurück.
Eine einzelne Träne lief mir über das Gesicht.
"Guten Tag, Miss Garib."
Das war die höfliche Übersetzung von, ich schmeiße dich aus meinem Büro.
Ich stand langsam auf, griff nach meinem Stab und sagte nur noch mit gebrochener Stimme:
"Guten Tag, Mister Palmer."
Damit ging ich aus dem Zimmer und aus der Schule. Es hatte keinen Zweck in den Unterricht zu gehen, was sollte ich da denn noch?
Auch wenn ich wusste, dass es bescheuert war, beschloss ich, einfach so zu laufen.
Irgendwohin, egal wo. Einfach nur laufen um den Kopf freizubekommen.
Ich hatte meinen Stock und mein Gehör, was mir ziemlich half, mich ein wenig zurecht zufinden. Es war zwar eine ziemlich dumme Idee, doch es war genau das was ich brauchte. Grob kannte ich die Umgebung und ich wusste noch genau, wo der kleine Coffeeshop war, in dem ich mit Chloe und Alicia früher oft Kaffee trinken war. Also hatte ich ein Ziel.

Mein Handy klingelte, doch ich ging nicht ran. Ich wollte alleine sein und mit niemandem Reden. Ich war gerade an der Ecke angekommen, an der das Café war, als ich sie hörte.
"Amy?"
Sofort erkannte ich die Stimme meiner ehemaligen besten Freundin und fragte mich, ob der Tag noch schlimmer werden konnte.
"Alicia?"
Wenn man vom Teufel spricht.
"Hey, wow du siehst super aus. Lange ist es her. Wie geht's dir?"
Ich antwortete freundlich, aber nur weil sie zwischen mir und meinem Kaffee stand.
"Gut, alles ist sehr gut. Das Training macht Fortschritte. Und bei dir?"
Sie lachte auf.
"Alles super, ich bin vor einer Woche mit Olly zusammengezogen und ich kann dir sagen, es ist einfach toll. Aber warum reden wir denn hier draußen, lass uns reingehen und einen Kaffee trinken. Wie in alten Zeiten."
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen als sie das sagte.
"Nein."
Das hatte sie etwas aus der Bahn geworfen.
"Was meinst du? Hast du gerade keine Zeit?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Zeit habe ich genug. Aber ich möchte keinen Kaffee mit dir trinken, ihr habt mich nach dem Unfall im Stich gelassen und das ist okay, das war eure Sache, ich denke mal ihr hattet eure Gründe und ich werde jetzt keine Szene hinlegen. Ich will einfach meine Ruhe. Ihr wolltet damals nichts mit mir zu tun haben, als ich euch am meisten gebraucht habe und ich will jetzt nichts mehr mit euch zu tun haben, weil ich euch nicht mehr brauche."
Ich wollte mich an ihr vorbeischieben und war auch fast schon weg als sie mir nach rief.
"Amy, warte. Bitte lass uns darüber reden."
Ich lächelte nur in ihre Richtung.
"Mach's gut Alicia."
Damit ließ ich sie stehen und ging in das Café, aus dem es schon wunderbar nach Kuchen und heißen Kaffee roch. Hier würde ich die nächsten paar Stunden bleiben.

Immer wieder klingelte mein Handy, doch ich ging nicht ran.
Allerdings nervte mich das Klingeln irgendwann so sehr, dass ich den Anruf annahm und dann direkt wieder auflegte.
Das Spiel spielte ich noch drei mal, dann war ich wirklich auf 180.
Ich wollte eigentlich allein sein, meine Ruhe haben und meinen Gedanken nachhängen.
"Amy, verdammt nochmal, was ist los? Wo bist du, ich habe dich bestimmt dreißigmal bei dir angerufen!"
Sebas klang wütend und aufgebracht.
"Sebas, alles ist gut. Ich brauch einfach einen Moment Ruhe."
"Ich komm dich abholen, wo bist du?"
Plötzlich kam in mir wieder die Wut auf, ich wollte endlich mal etwas alleine machen, alleine sein.
"Nein."
"Was?"
"Nein, bitte komm nicht. Ich will allein sein."
Es war für eine Weile still, dann seufzte er.
Ohne ein weiteres Wort legte er auf.
Ich seufzte ebenfalls auf.
Es kam nicht oft vor, dass ich Sebas wegstieß, doch im Moment konnte ich ihn einfach nicht um mich haben. In mir stieg das komische Gefühl auf, ihn zu enttäuschen, wenn wir nicht einmal mehr zusammen zur Schule gehen würden.

Night changes everything (Deutsch) *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt