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Miss Saint-Gelais' Stimme erklang über die Lautsprecher.
"Wenn ich um Ruhe bitten darf."
Der ganze Saal wurde leise. So leise, dass ich Angst hatte, man könne mein Herz schlagen hören.
"Unsere unabhängige Jury, bestehend aus hervorragenden Choreographen, Kritikern und Professoren des Landes ist zu einer Entscheidung gekommen. Doch bevor die Sieger des heutigen Abends verkündet werden, möchte ich Ihnen noch eine Geschichte erzählen."
Verwirrung ging im Saal umher. Das war ungewöhnlich.
Ich wurde nur noch nervöser.
"Vor fast zwei Jahren hatten wir eine Schülerin an unserer Schule, die ein Talent hatte, wie keine andere. Früh bekam sie Rollen am Royal Ballet, sie tanzte auf dieser Bühne hier und ihr standen alle Türen offen."
Sie machte eine kleine Pause und ein Schauer lief über meinen Rücken.
Ich hatte das Gefühl, als wäre alle Farbe aus meinem Gesicht gewichen.
"Doch dann hatte sie einenUnfall. Eine tragische Geschichte, die in den Zeitungen mehr als nur ausgeschlachtet wurde. Das arme Mädchen erblindete. Ich mag mir gar nicht vorzustellen, wie es für sie gewesen sein muss. Plötzlich waren ihre Fähigkeiten eingeschränkt, ihr Alltag erschwert und ihre Zeit hier auf der Schule war nicht mehr das, was sie einmal war. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nicht an sie geglaubt hatte. Natürlich hatten wir des öfteren mit verbundenen Augen trainiert, doch wer das schon mal gemacht hat, wird mir zustimmen, dass es eine unglaubliche Herausforderung war. Deshalb habe ich sie in meinem Kurs vernachlässigt. Ich stellte sie nach hinten, damit sie sich selbst und andere nicht verletzte. Nie hätte ich gedacht, dass noch so viel in dieser jungen Frau gesteckt hatte. Schließlich entschloßen der Direktor und ich, dass es das beste wäre, sie zu bitten die Schule zu verlassen und einem anderen Schüler, einem Schüler mit Zukunft an der Akademie Platz zu machen. Das war eine falsche Entscheidung und ich bereue jede meiner Taten. Ich hatte mir immer geschworen, an meine Schüler zu glauben, sie zu unterstützen und in dem Moment, in dem es darauf ankam habe ich am meisten versagt."
Sie machte eine kurze Pause und mir liefen die Tränen über das Gesicht. Ich wischte sie weg.
"Diese Schülerin hatte alles, was eine Tänzerin brauchte. Talent, Leidenschaft und Ausdruck. Ein Unfall nahm ihr das Sehvermögen, doch wir nahmen ihr die Möglichkeit sich hier an der Schule zu entwickeln. Und das tut mir Leid. Von ganzem Herzen." Sie machte eine Pause und schniefte kurz auf.
"Aber eins möchte ich Ihnen sagen. Sie hat dennoch weitergemacht. Sie hat nicht aufgegeben. Zu meiner Überraschung und zur Überraschung aller hat sie sich durchgekämpft und steht heute hier auf der Bühne. Sie hat getanzt wie jeder andere Teilnehmer dieses Wettbewerbs, die Ergebnisse stehen fest, was bedeutet, dass die Bewertung rein auf ihrem Talent beruht. Deswegen darf ich nun voller Stolz, aber auch voller Reue Amelia Garib zu mir bitten. "
Ich war absolut geschockt.
Was sie sagte klang einerseits reuevoll und berührte mich, doch andererseits kames mir so geheuchelt und falsch vor.
Es wunderte mich, worauf sie hinaus wollte.
Sebas führte mich zu ihr und ich merkte die Aufmerksamkeit des gesamten Saals auf mir.
"Miss Garib, ich möchte mich hiermit offiziell bei Ihnen entschuldigen und Ihnen anbieten ab Oktober wieder auf die Akademie zu kommen. Dieses Mal mit wirklichem Tanzunterricht."
Ihre Stimme klang nah an mir, ich spürte ihre Hand an meinem Unterarm.
Ich reichte ihr die Hand.
Sie ergriff sie und ich ergriff das Wort, Miss Saint-Gelais musste mir das Mikro unter den Mund gehalten haben, denn plötzlich erklang meine Stimme im ganzen Saal.
"Vielen Dank für das Angebot. Ihre Worte haben mich gerührt."
Ich machte eine kleine Sprechpause.
"Und ich würde sehr gerne wieder an die Schule kommen."
Mehr musste nicht gesagt werden.
Sie drückte meine Hand noch einmal, dieses Mal zufrieden undwahrscheinlich auch ein wenig dankbar, dass ich keine Szene machte.
Doch mal ehrlich, welchen Grund hatte ich denn, mich aufzuregen? Ich würde die Akademie wieder besuchen, würde meinen Abschluss bekommen und konnte wieder am Unterricht teilnehmen.
Grinsend lehnte ich mich an Sebas, der mir über die Schulter strich und mich an sich zog.
Ich war glücklich.
Die Stille im Saal schwand langsam, als die ersten Leute anfingen, verhalten zu applaudieren. Nach und nach folgten mehr Leute und bald klatschte das gesamte Publikum, auch wenn ich nicht so ganz verstand warum. Ich hatte nichts gewonnen, ich war einfach nur ich selbst.
Wir gingen zurück zu den anderen Tänzern und ich hörte sie tuscheln.
"Es war Amy?"
"Wie macht sie das nur?"
Lächelnd stand ich da, wartete auf das Ergebnis der Jury.
Schritte waren zu hören und ich vermutete, dass Direktor Palmer mit den Ergebnissen auf die Bühne kam.
Das Rascheln eines Mikrofons das übergeben wurde erklang und ich drückte mich gespannt an Sebas.
In mir keimte die Hoffnung auf, die Hoffnung, dass ich es tatsächlich allen gezeigt hatte.
Dass ich es drauf hatte.
"Das war wirklich sehr ergreifend und wir sind alle sehr erfreut darüber, Miss Garib auf der Akademie ein weiteres Mal wilkommen zu heißen, doch es gibt noch etwas anderes, das wir heute Abend verkünden wollen."
Er machte eine Pause und das Knistern eines Umschlags schallte durch die Lautsprecher.
"Gewinner der 500 Pfund und der Möglichkeit auf ein Fotoshooting am Royal Ballet ist..."
Direktor Palmer machte erneut eine Pause, um die Spannung zu erhöhen.
Mit zittrigen Fingern klammerte ich mich nur so an Sebas.
"Gewinner ist... oh."
Direktor Palmer klang selbst überrascht und laß dann vor:
"Gewinner ist das Duett Nummer 18, Sebastian White und Amelia Garib."
In dem Moment brach alles um mich herum zusammen. Ich ging in die Knie und konnte nicht anders, als vor Freude zu weinen.
Der laute Applaus um uns herum zeigte mir, dass unser Sieg auch vom Publikum akzeptiert wurde und ich wurde von Glücksgefühlen nur so durchströmt.
Sebas griff sanft nach meinem Arm und zog mich wieder nach oben.
Ich schlang die Arme eng um ihn, weinte hemmungslos an seiner Brust und konnte es nicht fassen.
Lachend strich er mir über den Rücken.
Dann flüsterte er mir ins Ohr.
"Wir haben es geschafft."

AN: Das letzte Kapitel ist geschrieben, die Geschichte von Amy und Sebas ist so gut wie vorbei, es folgt noch der Epilog und dann sind wir auch schon fertig :)
Lasst ein Vote oder Kommentar da, wenn es euch gefallen hat.
Alles Liebe,
Lena

Night changes everything (Deutsch) *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt