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"Wie geht es dir Amy?"
Die Stimme meiner Therapeutin war wie immer.
Ruhig, interessiert, professionel.
"Gut."
Das stimmte. Momentan ging es mir gut.
"Und wie geht es deinem Freund?" sie blätterte in ihren Unterlagen. "Wie geht es Eric."
Ich zuckte leicht zusammen.
"Wir sind nicht mehr zusammen."
"Oh, wirklich? Das tut mir Leid. Gab es denn einen bestimmten Grund für die Trennung?"
Ich erzählte ihr so schnell wie möglich und ohne groß ins Detail zu gehen, was vorgefallen war. Sie war meine Therapeutin, wir hatten in der Vergangenheit so unglaubliche Fortschritte gemacht und ich vertraute mich ihr absolut an.
"Es überrascht mich sehr, dass es zu diesem Zwischenfall gekommen ist. Denkst du, dass es dafür Anzeichen gab?"
Ich dachte genauer über ihre Frage nach.
Wenn ich ehrlich war, gab es die ein oder anderen Warnzeichen.
"Ja, eigentlich schon. Ihm schien Sex ziemlich wichtig zu sein und ich war nunmal sehr zurückhaltend, was schon mal ein wenig angespannt werden konnte. Ich hätte aber nie gedacht, dass er so weit gehen würde. Auch wenn Sebas es angedeutet hatte."
Eine kurze Pause entstand, ich wusste, dass sie irgendetwas notierte.
"Sebastian hat dich also vor Eric gewarnt gehabt?"
"So deutlich würde ich es eigentlich nicht ausdrücken, aber ja Sebas hat mir gesagt, dass ich mich nicht mit Eric abgeben sollte und dass Eric nichts gutes im Sinn hat."
Es war wieder kurz leise.
"Und warum hast du Sebastian nicht geglaubt und auf ihn gehört?"
Das war die große Frage.
Warum hatte ich meinem besten Freund nicht vertraut? Nicht auf ihn gehört, als er mich vor Eric gewarnt hatte?
"Ich weiß es nicht." Ich war mal wieder den Tränen nahe. "Ich denke, ein Teil von mir wollte einfach nicht aus dieser rosa Wolke raus. Ich wollte, dass mal etwas wirklich gut ist und wirklich funktioniert. Ich habe gehofft, dass von jetzt an alles anders ist, dass ich eine Beziehung führen kann. Wahrscheinlich habe ich mich einfach an eine Wunschvorstellung geklammert."
Dr. Sullivan seufzte.
"Amy. Es ist keine Wunschvorstellung, dass du eine Beziehung führen kannst. Das haben wir doch schon so oft besprochen. Ich denke, dass es an etwas ganz anderem liegt, als die Tatsache, dass du blind bist. Du hast das ganze letzte Jahr kaum Jungs kennengelernt, weil du nicht offen warst. Wahrscheinlich gab es schon die ein oder andere Gelegenheit, in der du vielleicht mit jemandem ins Gespräch gekommen wärst, aber du hast es nie wirklich versucht, oder? Mir erzählst du, es sei deine Blindheit, ich sage dir, dass du einfach schon gefunden hast, wonach du angeblich gesucht hast. Eric war eine Ausflucht. Eine Möglichkeit, dich von dem Offensichtlichen abzulenken, die Eric allerdings unglaublich ausgenutzt hat." Sie musste meinen leicht verwirrten Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn sie schwenkte zu einem anderen Thema. "Hast du denn mit deiner Schwester oder deiner Mutter darüber geredet?"
Ich schüttelte nur den Kopf.
"Amy." es klang wie ein Seufzen. "Ich dachte, du wärst an dem Punkt,an dem du offen mit deiner Familie redest. Hast du dich nicht lange genug vor allem verschlossen?"
Sie klang nicht irgendwie enttäuscht, sondern einfach verwundert.
"Ich möchte einfach nicht noch mehr darüber reden und ich will vor allem nicht, dass meine Schwester ein großes Drama darum macht. Es ist passiert, ich kann es nicht mehr rückgängig machen, aber ich muss der Sache nicht mehr Aufmerksamkeit widmen. Alles was ich nun versuche, ist mein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Wieder zu Tanzen und Sebastians Vertrauen zurückzugewinnen."
"Das verstehe ich ja und glaub mir, ich stehe absolut hinter dir, wenn es darum geht, dass du dich wieder auf diese Dinge konzentrieren möchtest, aber du darfst die ganze Sache nicht in dir unterdrücken."

Wir sprachen noch ein wenig über allgemeineres, doch so ganz ließ mich der Gedanke, mit Liv über alles zu reden nicht los. Immer hin war sie meine Schwester, wir redeten über alles.
Und eigentlich sollte ich mich schlecht fühlen, dafür, dass ich ihr das alles verheimlichte.
Als ich aus dem Gebäude trat, wehte mir ein kühler Wind entgegen, er prickelte auf meiner Haut. Es war langsam aber stetig Herbst geworden.
Einen kurzen Moment dachte ich an die bunten Blätter, die Drachen der Kinder im Park und die wunderschönen Sonnenuntergänge, doch ich schüttelte all das schnell wieder ab.
Ich konnte mich jetzt nicht auch noch über Dinge aufregen, die ich wegen meiner Blindheit nicht sehen konnte.
Liv wartete mit einer heißen Schokolade am Auto auf mich und ich grinste, als sie mir ebenfalls einen Becher in die Hand drückte.
Wir saßen beide im Auto, als wir synchron sagten: "Ich muss dir was erzählen."
Lachend trank ich einen Schluck und lehnte mich in den Sitz zurück.
"Du zuerst, ich habe gerade eine Stunde mit meiner Therapeutin geredet."
Liv lachte nicht, weshalb ich die Stirn runzelte.
"Liv?"
Sie parkte aus und ließ sich noch einen Moment Zeit, bevor sie sprach.
"Ich bin seit einem Monat überfällig."
Seit einem Monat?
Ich verschluckte mich an meiner heißen Schokolade. Sie redete nicht lange um den heißen Brei herum.
"Bedeutet das..."
"...dass ich vielleicht schwanger bin? Ja."
Ich grinste breit und auch Liv klang mittlerweile etwas glücklicher.
"Ich wollte eigentlich sagen, dass ich Tante werde, aber gut, so kann man es auch ausdrücken."
"Es ist noch nichts sicher, ich habe noch keinen Test gemacht, da ich es einfach auf den Stress der letzten Wochen geschoben habe, aber so langsam fallen mir keine Ausreden mehr ein."
Plötzlich wurde ich ganz aufgeregt.
Meine Schwester bekam vielleicht ein Baby.
"Hast du schon mit Will darüber geredet?"
"Nein, noch nicht. Wie gesagt, es ist noch nichts bestätigt. Aber ich muss mich beeilen, immer hin müssen wir jetzt die Hochzeit verschieben."
Ich verschluckte mich fast ein zweites Mal.
"Mein Gott Amy, kannst du eigentlich auch normal trinken?" Liv kichterte leise. "Ich will nicht, dass das Baby kommt bevor wir geheiratet haben und ich werde auch garantiert nicht hochschwanger vor den Altar treten, deswegen müssen wir die Hochzeit so bald wie möglich machen. Ich dachte an Anfang Dezember. Wenn der Test denn positiv ausfällt."
Liv klang, als ob sie sich darüber schon einige Gedanken gemacht hätte.
"Wie lange grübeltst du denn darüber schon nach?"
"Seit heute morgen. Aber ich hatte ziemlich viel Zeit während ich auf dich gewartet habe."
Ich konnte es kaum glauben, Liv war vielleicht schwanger.

Night changes everything (Deutsch) *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt