Epilog

271 11 2
                                    

"Ihr könnt tanzen, schön. Ihr könnt lächeln, auch gut. Aber könnt ihr eurem Partner wirklich vertrauen? Euch absolut fallen lassen?"
Ich lief durch den Saal, Sebas' Schritte neben mir.
Gemurmel erklang.
"Die Augenbinden werden euch dabei helfen. Es geht darum, wieder zu den absoluten Grundschritten zurückzukehren und das ohne die Hilfe eurer Augen. Für mich ist das ein wenig permanenter, als es für euch sein wird, aber dennoch weiß ich genau, wie sehr sich euer Tanzen und euer Gefühl dafür verändern wird."
Meine Füße taten in den Spitzenschuhen weh, doch Sebas und ich führten oft Übungen vor, deshalb konnte ich sie nicht ausziehen.
"Wissen Sie, so ganz kaufe ich Ihnen Ihre Nummer ja nicht ab."
Ich hörte eine spothafte Stimme aus der hinteren Reihe.
"Wirklich? Gut, komm doch mal ein wenig weiter nach vorne."
Es war Clark, ein junger Mann, der heute das erste Mal hier war, seine Partnerin hatte ihn gezwungen, mit ihr zu kommen und ich grinste bei seinem Kommentar in mich hinein.
Ich konnte Sebas leise hinter mir kichern hören. Er wusste bereits, dass ich wieder angeben wollte.
"Ich könnte dich jetzt bitten, mir mit den Fingern zahlen zu zeigen, doch ich muss meine Blindheit nicht mehr in Frage stellen. Glaub mir. Ich wüsste, wenn ich ein wenig sehen würde. Aber um euch zu beweisen, dass ich keine Scherze mache, verbinde ich mir eben die Augen."
Ich hielt meine Hand nach Sebas aus, der mir ebenfalls eine der Augenbinden reichte.
Es war still geworden in dem Saal und ich lächelte.
"Was würden Sie gerne sehen? Irgendwelche Wünsche?"
"Romeo und Julia, die Balkon Szene."
Sebas lachte leise, als Sylvias Stimme erklang.
"Ich schätze mal, ich muss um diesen Tanz bitten?"
Ich spürte seine Hand an meiner Taille, dann ging er weg, vermutlich stellte er die Musik an.
Als die ersten Töne erklangen grinste ich.
Ich mochte es immer noch, wenn ich ein wenig angeben konnte.
Sebas kam wieder auf mich zu.
"Du erinnerst dich doch hoffentlich noch an die Schritte."
Lachend streckte ich die Hand nach ihm aus.
"Natürlich. Jetzt komm her."
Ein paar Leute lachten, ich hatte fast schon vergessen, dass sie da waren.
Ich arbeitete schon seit über zwei Jahren hier und ich war begeistert, wie gut ich mit anderen Tänzern arbeiten konnte. Am Anfang hatte ich Angst, dass ich versagen würde, dass ich nicht feststellen konnte, wo die Fehler lagen oder erst gar niemandem etwas neues beibringen konnte.
Doch ich hatte mich getäuscht.
Sebas griff nach meiner Hand, brachte mich wie so oft in Position und startete dann die Musik erneut.
Ich war nicht perfekt aufgewärmt und diese kleine Einlage war auch mehr als nur spontan, von daher konnte ich spüren, dass nicht jeder Schritt absolut perfekt war, doch es war gut genug, um meinen Standpunkt klarzumachen.
Ich konnte den Stoff der Augenbinde spüren und bekam auch nach und nach mit, wie unser Publikum zu lachen begann.
Manche von ihnen kannten mich ebenfalls schon ein wenig länger und es war immer lustig, wenn jemand neues dazu kam.
Lachend tanzte ich mit Sebas durch den Saal, es war ein ziemlich romantischer Tanz und als die letzten Töne erklangen und ich seinen Armen in der Schlussposition war, küsste ich ihn spielerisch auf die Lippen, bevor ich mich von ihm löste.
Clark sagte nicht mehr viel, was die Situation für uns andere nur lustiger machte.
Ich nahm die Augenbinde ab und reichte sie wieder Sebas, der kaum noch aufhören konnte zu lachen.
Bevor wir mit dem normalen Training weiter machten, sprach ich noch mit denen, bei denen ich eben ein paar kleine Fehler bemerkt hatte und ging dann zu Sebas zurück.
"Und wie sieht es aus?"
Ich flüsterte ihm nur zu, um die tanzenden Schüler nicht abzulenken.
Sebas schwieg einen Moment.
"Ziemlich gut. Wie hört es sich für dich an?"
Wieder ging ich durch den Raum, ließ mir Zeit um alles genau zu beachten und ging dann zu Sebas zurück.
"Zwei von ihnen sind ziemlich schlampig," ich zeigte in die Richtung von Sylvia und Clark, "und mit Mary arbeite ich noch an ihrer Armhaltung."
Sebas schnaubte leise.
"Okay, die ersten zwei versteh ich ja, dass du das bemerkst, aber wie zur Hölle weißt du das mit den Armen?"
Ich lachte leise.
"Sie hat es mir erzählt, weil sie Tipps wollte."
Sebas lachte ebenfalls und blieb die restliche Zeit neben mir, um zu beobachten, wie ich arbeitete.
Etwa zwanzig Minuten später war die heutige Stunde auch schon vorbei und ich hörte den anderen dabei zu, wie sie ihre Sachen zusammen packten und langsam gingen.
Seit wir vor acht Jahren den Wettbewerb gewonnen hatten, hatte sich einiges in unserem Leben verändert. Nach dem Fotoshoot kamen immer mehr Zeitungen und Fernsehsender, die über uns berichten wollten, was irgendwann nur noch nervig wurde.
Während ich wieder den Unterricht besuchte, machte Sebas sein Praktikum in Paris, das im Endeffekt über ein Jahr ging und er erst dann wieder nach England kam, als ich meinen Abschluss hatte. Von da an ging es steiler bergauf, als wir uns je erträumt hätten.
Nächste Woche erst würden wir für die Königsfamilie an der Royal Opera auftreten, was ich mir nie hätte vorstellen können. Auch sonst bekamen wir ein Angebot nach dem anderen. Erst als Duo, später auch jeder einzeln. Es war unnötig zu sagen, dass es an Geld nicht mehr mangelte.
Vor zwei Jahren dann hatte ich die Idee, dass ich gerne etwas bedeutenderes machen würde, als einfach nur in irgendwelchen Opern aufzutreten und beschloss, selbst zu unterrichten. Wir bauten das Studio von Sebas' Eltern um und waren vom Tag der Eröffnung ausgebucht.
Sebas war ein unglaublich guter Lehrer. Wenn ich daran dachte, wie er mir nach meinem Unfall das Tanzen beigebracht hatte, konnte ich mir kaum einen anderen Beruf für ihn vorstellen. Wir machten viel zu zweit Unterricht, da vorallem Tanzpaare zu uns kamen um ihr Vertrauen und ihren Ausdruck zu verbessern, was Sebas und ich mittlerweile perfektioniert hatten.
"Amy?"
Sebas' Hand an meiner Taille riss mich aus meinen Gedanken.
Ich zuckte zusammen, lächelte ihn dann aber an.
"Ja?"
"Können wir nach Hause und Pizza bestellen?"
Nach Hause.
Pizza.
Sebas.
Klingt gut.
Klingt wie damals.
Ich lächelte breiter, nickte und umarmte ihn.
Sebas drückte mir einen Kuss auf die Lippen und ich erwiderte nur zu gern.
"Ich liebe dich."
Ich sprach leise an seinen Lippen und genoss die Wärme in meinem Inneren.
Nach all den Jahren hatte ich mich immer noch nicht an unsere Beziehung gewöhnt.
Und ich hoffte, dass ich mich auch nie daran gewöhnen werde.
"Ich liebe dich auch, Amy Garib."

Night changes everything (Deutsch) *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt