1.Kapitel (Phoenix)

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Es gab bestimmteTage im Leben, die man einfach nur vergessen wollte und so tun wollte, als wären sie niemals passiert. Diese Tage, an denen man lieber morgens im Bett geblieben wäre, aber nach draußen gezerrt wurde und ein einziger, kleiner Moment das gesamte Leben auf den Kopf stellte und alles veränderte.
Und genauso ging es mir jetzt.

»Ich will nicht Mike...«, stöhnte ich, als mein bester Freund gerade die letzten Reste Make-Up auf meinem Gesicht auftrug und sein eigenes Werk grinsend betrachtete, als hätte er soeben ein Wunder erschaffen.

»Wenn du mit so einem Gesicht herumläufst, brauchst du dich nicht wirklich wundern, dass manche Leute dich eher unheimlich finden. Heute ist Halloween, wir gehen nur mal kurz auf die Party... Also lächel wenigstens und tu so, als würde es dir Spaß machen!« Mit seinen Fingern zog er meine Mundwinkel nach oben und ich schlug genervt seine Hand weg. Wenn er nicht mein bester Freund gewesen wäre, hätte ich niemals zugestimmt.

Mike hielt mir einen kleinen Handspiegel vor die Nase und ich stöhnte erneut auf, als ich sah was er aus meinem Gesicht gemacht hatte. Er hatte ganze Arbeit geleistet, ich sah tatsächlich aus wie ein perfektes Skelett, richtig künstlerisch. Wie nicht anders von jemandem zu erwarten, der auf eine Kunstakademie gehen wollte.

Das Motiv eines Skelettes passte perfekt zu meinem schmalen und dünnen Gesicht. Die meisten Leute dachten ich hätte eine Essstörung, aber die Wahrheit war, das ich eine Stoffwechselkrankheit hatte. Durch diese nahm ich, trotzdessen das ich beinahe den ganzen Tag am Essen war, nicht ein einziges Gramm Fett zu und hatte dementsprechend auch leichtes Untergewicht, zumal meine Größe das alles nur noch schlimmer machte.

»Ich würde viel lieber zu Hause bleiben und Serien schauen, weißt du?«, murmelte ich und er verdrehte die Augen, ehe er mich aus meinem Zimmer schob und Richtung Flur führte. Aus dem Wohnzimmer konnte ich den Fernseher hören, die hohen Stimmen irgendeiner Kindersendung. Meine Mutter war zwar zu Hause, hatte aber gerade noch ein wenig zu arbeiten weswegen sie sich in das gemeinsame Arbeitszimmer zurück gezogen hatte und meinen kleinen Bruder vor den Fernseher gesetzt hatte. Benjamin war zehn Jahre alt, war aber immer noch ein riesiger Spongebob Schwammkopf Fan und schaute sich regelmäßig alle Folgen an, die er mittlerweile schon eins zu eins auswendig mitsprechen konnte.

»Du hast es mir versprochen und meine Eltern lassen mich nur dahin gehen, weil du mitgehst. Den Gefallen bist du mir sowieso noch schuldig«, erklärte Mike und ich verzog das Gesicht, da ich wusste das ich gegen Mike nicht ankam, zog meine Schuhe an und nahm mir dann meine dicke Kapuzenjacke vom Haken. Ich trug oft Kleidung die mir viel zu groß war und meinen viel zu dünnen Körper verbergen sollte. Mike war der Meinung, das ich es gar nicht nötig hatte und mir etwas engere Kleidung auch stehen würde, aber ich fühlte mich allein schon unwohl, wenn ich das Gefühl hatte jemand schaute mich etwas zu genau an. Einigen konnte man auch ansehen, dass sie glaubten ich war Magersüchtig...

»Es ist wirklich nur dieses eine Mal, okay? Vielleicht gefällt es dir ja auch.« Ich bezweifelte stark das es mir gefallen würde, aber da ich es ihm schuldig war...

Mike war eine Klasse über mir und hatte viele Freunde, umso mehr wunderte es mich, dass er hauptsächlich mit mir rumhing. Ich hatte schon Freunde und jeder kannte mich irgendwie, aber ich würde mich eher als Außenseiter sehen der sich anderen anpasste. Wenn ich allein sein wollte grenzte ich mich von den anderen ab und an den Tagen wo es erträglicher war, hing ich in den Pausen mit den anderen rum, stand mit ihnen an der selben Stelle auf dem Schulhof und beteiligte mich an den belanglosen Gesprächen. Ich hatte eher das Gefühl zwar überall zu sein, aber nirgendwo wirklich dazu zu gehören und vielleicht war das auch ganz gut so.

»Ich glaube nicht, dass dich jemand erkennen wird. Du siehst außerdem unglaublich gut aus.« Ich verdrehte die Augen und wir schlugen den Weg zu dem Haus ein, wo die Party statt finden würde. Ich konnte mich ehrlich gesagt nicht einmal daran erinnern, wie der Typ hieß ich wusste nur, das er in Mikes Klasse war und laut ihm eher zu den ruhigen Typen gehörte die trotzdem überall gut ankamen.

»Achja Phoenix, weißt du eigentlich als was Sarah gehen wird? Und mit wem sie auf die Party kommt?« Mike schaute mich erwartungsvoll an und ich seufzte. Ich mochte es nicht sonderlich, wenn man mich mit meinem Namen ansprach - meine Eltern fanden es zwar unglaublich cool mich nach einem Feuervogel zu benennen, der symbolisch dafür stand das er immer wieder von Neuem aus seiner Asche aufstieg, aber ich fand den Namen viel zu ungewöhnlich und auffällig. Mir wäre es lieber gewesen ich hätte einen normalen, unauffälligen Namen, den meinetwegen auch noch drei andere aus meiner Jahrgangsstufe gehabt hätten. Die meisten Leute nannten mich auch einfach nur Ash, aber Mike nannte mich trotzdem, zumindest wenn wir alleine waren, immer noch Phoenix da er den Namen cool fand.

»Ich glaube ich habe aufgeschnappt, das sie als Zombie gehen will. Aber sie ist zusammen mit Clara da, es wird also schwer für dich sie allein zu erwischen.«

»Ich kriege das schon hin.« Damit hätten wir nun auch den eigentlichen Grund dafür, warum Mike so dringend auf die Party wollte - er war unsterblich in Sarah verliebt, die in meiner Klasse war und mit der er immer wieder versucht hatte ins Gespräch zu kommen. Sie war schon seit Ewigkeiten Single und Mike war sich ziemlich sicher mit viel Zeit und ein wenig Geduld bei ihr etwas erreichen zu können.

Wenige Minuten später waren wir bei unserem Ziel angekommen: Im riesigen Vorgarten des Hauses standen ein paar Kürbislaternen, eine Vogelscheuche und haufenweise andere Dekorationsartikel, sogar ein paar selbstgebastelte Gespenster hingen von den kahlen Ästen eines Obstbaumes herab. Überall brannte Licht und es war schon ein wenig Gelächter und Musik zu hören. Ich stöhnte noch einmal bei dem Gedanken auf, was mir gleich bevorstehen würde.

Broken Mirrors (BoyxBoy/Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt