"Wir sehen uns dann", meinte Ash und schaute mich prüfend an, als schien er zu überlegen ob er mich wirklich alleine gehen lassen konnte, dann gab er mir einen kurzen Kuss und verschwand zur Tür hinaus. Einen kurzen Moment lang schaute ich ihm nach, ehe ich wieder die Treppe nach oben verschwand und mir die drei großen Taschen nahm, welche ich vorbereitet hatte. Meine Schwester hatte meine Eltern zum Essen eingeladen, damit ich in der Zeit in Ruhe meine restlichen Sachen packen konnte ohne ihnen noch einmal über den Weg laufen zu müssen.
Ich setzte mich aufs Bett, versuchte mich irgendwie abzulenken, bis die Nachricht meiner Schwester kam, die mir sagte dass ich jetzt vorbei gehen konnte. Seufzend stand ich auf und verließ das Haus, schlug den Weg zu meinen Eltern ein. Es war ein seltsames Gefühl den Schlüssel zu benutzen, obwohl ich nicht mehr hier wohnte. Was früher so natürlich gewesen war, fühlte sich nun falsch und nicht richtig an, als ich die Tür aufschloss und mein früheres zu Hause betrat. Alles sah noch aus wie immer und doch war es anders. Es fehlte einfach dieses wohle Gefühl, wenn man nach Hause kam und alles seinen gewohnten Gang ging, weil das alles keine Gewohnheit mehr war.
Ich legte meinen Schlüssel auf den kleinen Schrank im Flur. Das würde der einzige Hinweis darauf sein, dass ich je hier gewesen war und der Gedanke versetzte mir irgendwie einen Stich. Vermutlich würden es meine Eltern sonst nicht einmal bemerken.
Da ich nicht sonderlich viel Zeit hatte, machte ich mich sofort auf in mein Zimmer, wo ich sämtliche Schränke öffnete und meine restlichen Sachen achtlos hinein stopfte. Dinge, wie Schreibutensilien, welche sich ohnehin ersetzen ließen, ließ ich auf meinem Schreibtisch stehen. Bücher und ähnliches besaß ich kaum welche, aber meine ganzen Spiele versuchte ich unterzukriegen und meine Konsole natürlich ebenfalls.
Als ich fertig war nahm ich mir den kleinen, überschaubaren Stapel an Briefen vor, welcher auf meinem Schreibtisch lag. Sie waren alle von irgendwelchen Universitäten, an denen ich mich beworben hatte und mein Herz setzte mehrere Schläge aus. Wurde ich irgendwo angenommen? Stand ich ohne etwas da und musste mir etwas anderes suchen, was ich machen konnte? Mein Herz klopfte wie wild, als ich die Briefe durchsah. Es waren ein paar Absagen gekommen, aber auch ein paar Zusagen. Ich stopfte sie zu den anderen Sachen in die Taschen, dann versuchte ich ohne zu stolpern die Treppe hinunter zu kommen und schleppte die Sachen zu Ash zurück. Im nachhinein war es dann doch etwas unüberlegt gewesen alleine loszugehen, da die Taschen ziemlich schwer waren und ich lange brauchte, bis ich endlich angekommen war und sie erschöpft vor die Tür fallen ließ, ehe ich klingelte.
Ben machte mir auf und nahm mir wortlos eine der Taschen ab, die er hinein trug.
"Danke", sagte ich und er nickte.
"Wollen wir etwas zum Mittagessen? Meine Eltern haben uns was in den Kühlschrank gestellt, weil sie schon weg sind", meinte er und ich zögerte einen Moment, ehe ich nickte. Ich brannte zwar darauf mir die Briefe genauer anzusehen, aber ich hatte auch nichts dagegen die Spannung ein wenig zu erhöhen, indem ich vorher noch aß und mich ein wenig mit Ben unterhielt.
Ich folgte ihm in die Küche, nahm die beiden Teller aus dem Kühlschrank und stellte den ersten in die Mikrowelle.
"Es ist selten, dass du hier bist und mein Bruder was unternimmt", meinte Ben dann und setzte sich an den Küchentisch.
"Wir haben auch unterschiedliche Freunde und Interessen", antwortete ich und lehnte mich gegen die Anrichte. Ben musterte mich aufmerksam.
"Schaust du dann mit mir Fernsehen?", fragte er und sah mich mit diesem Blick an, der mir praktisch keine andere Wahl ließ als zu nicken.
Das Mittagessen verlief eher schweigend, dann setzte ich mich mit ihm ins Wohnzimmer und schaute ein paar Trickfilme an, doch konzentrierte mich kaum darauf. Meine Gedanken waren die ganze Zeit bei den Briefen in meiner Tasche, die ich wirklich gerne genauer durchlesen wollte, immerhin musste ich mich entscheiden, wo ich hingehen wollte.
Nachdem ich mehrere Folgen über mich ergehen lassen hatte, verschwand ich mit der Ausrede, noch etwas zu erledigen nach oben, wobei ich die Taschen hinter mich herschleifte und sie dann einfach in eine Ecke stellte. Ich nahm die zerknitterten Briefe heraus und breitete sie nacheinander auf dem Bett aus, sah sie mir an.
Eine gefühlte Ewigkeit stand ich dort, überlegte was ich tun sollte und entschied mich dann für eine Uni, die etwas weiter weg in einer anderen Stadt war, die mir aber am meisten zugesagt hatte. Der Gedanke, etwas weiter wegzuziehen bereitete mir ein eher unwohles Gefühl, gerade weil ich Ash dann nicht mehr so oft sehen konnte, aber ich würde gerne tun, was ich wollte, auch wenn es schwierig war. Ganz so weit war es ja dann auch nicht und es war ja nur für die Zeit des Studiums. Trotzdem fragte ich mich, wie Ash wohl darauf reagieren würde, wenn ich ihm von meinem Vorhaben erzählen würde. So wie ich ihn kannte würde er sich ehrlich für mich freuen, aber dennoch traurig darüber sein, nicht mehr so viel Zeit mit mir verbringen zu können.
Ich lag gerade auf dem Bett und hörte Musik, als Ash das Zimmer betrat und mich aufmerksam musterte.
"Wie wars?", fragte ich.
"Alles war wie immer. Wie geht es dir?" Seine Stimme klang besorgt und er setzte sich zu mir, fuhr mir mit seiner Hand sanft durch die Haare.
"Besser als ich dachte. Es gibt etwas worüber ich mit dir reden möchte", meinte ich dann und sah ihn an. Er hob eine Augenbraue und wartete darauf, dass ich weiter reden würde.
"Ich habe beschlossen in einer anderen Stadt zu studieren. Ich habe darüber nachgedacht und auch wenn mir der Gedanke nicht gefällt, etwas weiter weg zu sein, will ich das tun was ich möchte. Und es ist ja immerhin nur eine Anderthalbe Stunde mit dem Zug, also bin ich ja nicht ganz aus der Welt..." Ash schien einen Moment zu brauchen, ehe er meine Worte verarbeitet hatte, dann nickte er.
"Ich akzeptiere deine Entscheidung natürlich. Und wie du schon sagtest, bist du nicht ganz aus der Welt, wir können uns noch immer an den Wochenenden und in den Ferien sehen", meinte er und lächelte, wobei mir sofort ein Stein vom Herzen fiel.
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Broken Mirrors (BoyxBoy/Yaoi)
JugendliteraturPhoenix - genannt Ash - ist ein ganz normaler Junge. In seinem Leben ist nicht alles perfekt, aber er hat gelernt die meisten Dinge hinzunehmen und damit umzugehen. Anders ist Chris. Obwohl er nach Außen hin selbstbewusst und stark wirkt und man nic...