42.Kapitel (Chris)

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»Und wie lief deine Prüfung?«, fragte Dan, als wir das Zimmer, in welchem wir uns einfinden sollten, verließen. Es war, abgesehen von der Abschlussfeier, das letzte Mal dass wir dieses Gebäude betreten mussten und das nur um einen Zettel mit unseren Prüfungsnoten und ein paar Sätze von einem Lehrer gesagt zu bekommen.

»Ganz gut, habe Bestanden«, sagte ich, klang aber alles andere als begeistert dabei. Dan sah mich Stirn runzelnd an, als würde er überlegen ob er nachfragen sollte oder nicht, doch er entschied sich dafür es nicht anzusprechen.

Wir gingen zu den Schließfächern, die wir komplett ausräumen sollten und stopften das gesamte Zeug was sich darin befand in unsere Rucksäcke.

Einen Moment lang starrte ich das leere Schließfach an, es war ein Lebensabschnitt der nun für immer geendet hatte. Ich würde nie wieder in die Schule gehen, nur noch auf eine Universität, sofern man mich irgendwo annahm.

»Möchtest du noch auf Ash warten?«, fragte Daniel und ich verneinte. Wir verließen die Schule und gingen zu unseren Fahrrädern. Es war warm, bald würde der Sommer richtig losgehen und ich freute mich auf ein paar schöne Tage am Strand oder einfach nur draußen in einer Wiese zu sitzen und etwas zu essen.

»Willst du dann heute mit zu mir kommen? Etwas Zeit verbringen?« Ich schüttelte mit dem Kopf und Dan seufzte.

»Du weißt dass du mit mir reden kannst wenn etwas ist.«

»Ich weiß und ich werde dich noch früh genug brauchen, aber für heute möchte ich einfach nur alleine sein, okay? Ich rufe dich später an«, sagte ich, dann stieg ich auf mein Fahrrad und fuhr davon, ohne mich noch einmal nach ihm umzusehen.

Zu Hause angekommen lehnte ich mein Fahrrad neben der Haustür an die Wand und ging in mein Zimmer.

Meine Mutter würde erst gegen vier von der Arbeit kommen und mein Vater wie immer erst abends. Das verschaffte mir genug Zeit um das zu tun, was ich vorhatte.

Mein Zimmer sah so aus wie immer: mein gemachtes Bett, mein Schrank auf dem ein Fernseher und meine Konsolen standen, ein Regal mit meinen Spielen. Es war alles so vertraut und doch wusste ich, dass es nicht mehr lange so sein würde.

Aus meinem Schrank nahm ich meine Sporttasche und meinen kleinen Koffer, den ich sonst immer mit auf Klassenfahrten genommen hatte, und stopfte sämtliche Klamotten hinein. Dazu kamen ein paar der Gegenstände, die mir persönlich wichtig waren und ich war unglaublich froh, als ich alle am Ende tatsächlich unterbekommen hatte. Danach setzte ich mich auf mein Bett und wartete. Mein Handy hatte ich ausgeschalten und innerlich versuchte ich mich auf alles vorzubereiten.

Es war an der Zeit dass ich meine Entscheidungen selbst traf und mich nicht mehr so stark von meinen Eltern beeinflussen ließ. Es war immer noch mein Leben und auch wenn das was ich tun würde unglaublich dumm war, hatte ich mir alles genau überlegt. Viele würden denken es wäre nur eine Kurzschlussreaktion, eine schnelle Idee, doch ich hatte mir tatsächlich Gedanken darüber gemacht. Seit ich Ash kennen gelernt hatte waren mir so viele Dinge klar geworden und ich hatte das Gefühl durch ihn ein besserer Mensch geworden zu sein.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich das Auto in der Auffahrt und sah aus dem Fenster. Wie immer würde meine Mutter in die Küche gehen und sich eine Kleinigkeit zu Essen machen. Ich sah wie sie gut gelaunt die Haustür aufschloss und ging dann die Treppe nach unten, stellte mein ganzes Zeug neben der Haustür in den Flur und atmete einmal kurz durch. Ein kleiner Teil von mir hoffte dass er es nicht brauchen würde, aber mein Verstand sagte mir etwas anderes.

Ich ging in die Küche, wo meine Mutter mich bei meinem Eintreten kurz ansah. Ihr fiel nicht mal auf wie Ernst mein Gesicht war.

»Wie sind die Prüfungsergebnisse?«, fragte sie.

»Gut, habe bestanden.«

»Das freut mich!« Sie wandte sich wieder ab und ich atmete noch einmal ein und aus um etwas ruhiger zu werden.

»Mom, ich muss mit dir reden.« Bei meinem eindringlichen Tonfall sah sie nun doch wieder auf und musterte mich.

»Was ist denn?«

In meinen Kopf hatte ich mir so viele verschiedene Sätze zurecht gelegt, wie ich es am besten rüber bringen konnte, doch plötzlich war alles leer.

»Ich bin mit einem Jungen zusammen«, platzte es dann aus mir heraus und sie starrte mich an, als hätte ich sie geschlagen.

Wie oft hatte ich schon mitbekommen wie meine Eltern über solche Leute sprachen? Sie fanden es unnatürlich, ekelhaft...

»Wie bitte?«

»Du hast mich richtig verstanden. Ich bin mit einem Jungen zusammen.«

»Nein, niemals. Ich will dass du dich von dem Jungen fern hältst und wieder normal wirst. Du bist sicher nur verwirrt und es ist eine Phase die bald wieder vorrüber ist.«

»Das ist keine Phase ich hatte schon vor ihm etwas mit anderen Jungen. Und mit Mädchen.«

»Vielleicht brauchst du lieber doch einen Arzt«, murmelte sie dann mehr zu sich selbst und beinahe hätte ich losgelacht, weil die ganze Situation so absurd war. Als wäre es irgendeine Krankheit die man mit etwas Antibiotika heilen konnte.

»Das ist keine Krankheit und ich bin glücklich so.«

»Was werden nur die Nachbarn und unsere Freunde denken?« Als ob es mich interessieren würde was die dachten. Aber offensichtlicherweise war das ein Problem meiner Mutter.

»Ich werde jedenfalls zu dem stehen, wer ich bin.« Sie sah mich an, als wäre es ihr zuwider dass ich anfing einen eigenen Kopf zu haben, nicht mehr das tat was sie von mir wollte.

»Ich will dass du sofort mit diesem Unsinn aufhörst oder dieses Haus verlässt. Ich möchte dich hier nicht mehr sehen, bis du wieder normal geworden bist!« Ihre Stimme klang kalt und ohne etwas darauf zu erwidern drehte ich mich um, schnappte meine Taschen und knallte die Haustür hinter mir zu. Es hatte genauso geendet wie ich vermutet hatte, doch trotzdem spürte ich ein unwohles Gefühl. Schnell nahm ich mein Fahrrad und schob es durch die Straßen, auf dem Weg zu der einzigen Person mit der ich jetzt reden wollte.

Broken Mirrors (BoyxBoy/Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt