14.Kapitel (Chris)

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Ich wollte wirklich nicht aufstehen. Meine Laune war mal wieder im Keller, die Nacht war wieder viel zu kurz gewesen, ich hatte kaum geschlafen und natürlich die meiste Zeit wach gelegen.

Gelangweilt und mit ungemachten Haaren, ging ich die Treppe hinunter und setzte mich an den Tisch, wobei mir mal wieder nicht wirklich danach war etwas zu essen.

»Morgen«, sagte ich und ließ mich auf den Stuhl fallen, nahm mir eine Scheibe Toast und etwas Nutella, wobei ich versuchte so langsam wie möglich zu essen.

»Guten Morgen. Ich habe dir etwas hingelegt.« Meine Mutter, welche diese Woche Urlaub hatte, deutete mit einem Kopfnicken auf den Küchentisch, wo ein paar Blätter lagen, die mir bis eben nicht einmal aufgefallen waren.

Ich musste nur einen Blick darauf werfen um zu sehen, dass es Stellenangebote oder Vorschläge für Unis waren.

»Ich weiß das du mir helfen willst, aber ich finde auch selbst, was ich möchte«, murmelte ich und meine Mutter schaute mich seufzend an.

»Ich möchte dir helfen... warum kannst du meine Hilfe nicht einfach annehmen? Diese Angebote wären doch etwas für dich.« Ich warf einen Blick auf das erste.

Laborassistent. Gerade so etwas, was ich niemals tun würde, was sie auch wüsste, wenn sie sich mit mir unterhalten würde.

»Mom, du kennst mich doch gar nicht so gut um das zu wissen«, meinte ich und obwohl ich es nicht böse gemeint hatte, merkte ich wie sie sofort schlechte Laune bekam.

»Ist ja auch klar, wenn man dich nie zu Gesicht bekommt und du dich lieber rumtreibst, als deine Zeit mit uns zu verbringen.«

»Ich treibe mich nicht rum. Habe ich noch nie getan«, sagte ich genervt.

»Achja? Wer feiert denn ständig Partys, wenn wir ein Wochenende nicht da sind? Sandy hätte so etwas nicht getan.« War ja klar, meine Schwester würde so etwas niemals tun... dabei war sie selbst nicht gerade ein Engel, was das heimlich gestochene Tattoo auf ihrer Hüfte bewies.

»Weißt du Mom, du hast einfach absolut keine Ahnung«, sagte ich, stand auf und verließ eilig das Haus.

Wie sehr ich solche Diskussionen hasste und es war jedes Mal das gleiche. Warum fand ich nur nichts was mich interessierte, warum vergeudete ich meine Zeit, warum lernte ich nicht genug für die Schule (dabei waren meine Noten nicht einmal schlecht), warum fragte ich ständig ob ich Partys feiern dürfte... Ich konnte es einfach nicht mehr hören. Sie hatten keine Ahnung, warum ich all das tat.

Und trieb ich mich noch nicht einmal herum, so wie sie es ausdrückte. Ich war ganz normal, ich ging noch nicht einmal jedes Wochenende weg... der einzige Grund, warum mich meine Familie in der meisten Zeit nicht zu sehen bekam war, weil ich mich lieber in mein Zimmer verkroch und Musik hörte oder nachdachte, als mich mit meinen Eltern über belanglose Themen zu unterhalten, die mich nicht einmal interessierten.

Sie bemerkten nicht einmal, wie es mir ging. Das ich Albträume hatte und Nachts ständig wach lag.

Frustriert blieb ich stehen und stellte fest, dass ich bei der kleinen Brücke angekommen war, über die ich jeden Tag musste und an der ich oft anhielt. Der Fluss war nicht breit, das Wasser nicht sonderlich tief, man konnte Steine sehen und ab und zu kleine Fische die darin herum schwammen. Da ich noch genug Zeit hatte, beschloss ich einfach mal wieder hier stehen zu bleiben und hinunter zu schauen, den Ausblick zu genießen.

»Wenn du so unbedingt springen willst, dann spring einfach«, sagte eine Stimme hinter mir und ich zuckte zusammen, drehte mich um.

Vor mir stand Ash, der mich aufmerksam musterte, als würde er überlegen ob ich tatsächlich gleich springen könnte oder nicht.

»Ich habe nicht vor zu springen, würde ich auch niemals«, sagte ich und es war die Wahrheit. Es war zwar nicht das erste Mal das ich hier stand und darüber nachdachte, was wohl passieren würde, wenn ich einfach verschwinden würde... ob man mich vermissen würde und ich wusste, dass es auf jedenfall meine Familie und Dan tun würden. Dennoch würde ich nie springen, dafür hing ich viel zu sehr an meinem Leben und so schlecht war es ja auch gar nicht.

Ash zuckte nur mit der Schulter, dann stellte er sich neben mich.

»Du sahst nur gerade so traurig aus, dass es wirkte als würdest du darüber nachdenken zu springen. Was ist los?«

»Mir geht es gut. Ich genieße einfach nur den Anblick«, log ich und Ash verdrehte die Augen.

»Jeder Blinde würde sehen, dass es dir nicht gut geht. Also?«

Jeder Blinde? Nicht einmal meine Freunde bemerkten meine Launen, abgesehen von Dan aber auch er wusste nicht einmal alles.

»Warum sollte ich gerade mit dir darüber reden?«, fragte ich etwas schnippisch und ich bemerkte aus den Augenwinkeln, wie seine Mundwinkel tatsächlich einen kurzen Moment zuckten.

»Ich weiß nicht, immerhin kennst du mich eigentlich ja gar nicht.«

Um ehrlich zu sein wusste ich einfach nicht, was Ash hatte, was ihn mir so sympathisch machte, was dafür sorgte das ich mich ihm annähern wollte, obwohl ich eigentlich gar nicht so sehr an neuen Freundschaften interessiert war.

»Nun ja, heute hat mal wieder die übliche Diskussion gefolgt, weil ich immer noch nicht weiß, was ich mal tun möchte und warum ich nicht mehr lerne und mich anstrenge«, seufzte ich und Ash hob eine Augenbraue.

»Es ist doch nicht schlimm noch nicht zu wissen, was man machen möchte. Mir geht es immerhin genauso.«

»Ja, aber du bist ein Jahr unter mir, ich mache dieses Jahr meinen Abschluss. Ich weiß dass es wichtig ist, aber ich finde auch nicht, dass es einfach ist etwas zu finden wo ich weiß, dass ich es auch die meiste Zeit meines Lebens machen möchte, verstehst du?« Er nickte und fuhr sich dann mit einer Hand durch die schwarzen Haare.

»Aber das ist nicht der einzige Grund, warum du die ganze Zeit so traurig bist, oder? Immerhin bist du beinahe jeden Tag so.« Selbst das bemerkte er? Was entging ihm denn bitte nicht?

Ich holte tief Luft und dann erzählte ich ihm von den Albträumen, ließ aber den Grund für diese vorerst aus und deutete es nur etwas an.

»Ich glaube, wir kommen zu spät«, meinte Ash, als ich geendet hatte und er auf seine Uhr schaute.

Tatsächlich war auf einmal viel Zeit vergangen und die Stunde hatte bereits vor fünf Minuten begonnen...

Doch aus irgendeinem Grund fühlte ich mich nicht schlecht oder nervös, weil ich zu spät zum Unterricht erschien, im Gegenteil: Ich hatte das Gefühl, das Ashs Anwesenheit und das kurze Gespräch meine Laune tatsächlich wieder etwas gehoben hatten.


Broken Mirrors (BoyxBoy/Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt