Konvergenz

38 6 0
                                    


Der See lag unruhig vor mir. Wie schon so oft versuchte die Zeit mir etwas zu sagen. Doch wie schon oft hatte ich mich geweigert. Doch heute hörte ich zu. Etwas hatte ich übersehen, etwas hatte ich vergessen. Ein Strudel bildete sich vor mir. Ich sah ein vertrautes Bild vor mir, denn ich hatte es schon einmal gesehen. Dr. Kleis saß an seinem Tisch, über seine Arbeit vertieft. Er trug die Sachen, die er am Abend getragen hatte, bevor er ermordet wurde. Die Sachen, die er getragen hatte, als er gefunden wurde. Es war die Nacht seiner Ermordung. Mir wurde kalt. Ich ging in den See hinein, der Strudel umfing mich und das Bild verschwand kurz, dann wurde das Bild wieder klar, die Barriere jedoch trennte mich von der Wirklichkeit. Ich war im Raum, in der Ecke seines Zimmers, außerhalb des Lichtkegels. Ich bemerkte, dass die Barriere sehr dicht war, als ich meine Hand vorsichtig ausstreckte und meine Fingerspitze sie berührte, war sie undurchdringlich. Der Schleier war zu dicht, ich konnte nicht hindurchtreten, die Zeit versperrte mir den Weg in diese Realität, ich durfte nichts verändern. Mein Magen verkrampfte, wer hatte ihn getötet? Was würde ich sehen, das die Zeit sich so gegen mich schützte? Fürchtete sie, dass ich eingreifen wollte? Würde ich wollen?

Ich hörte Schritte, dann klopfen. Dr. Kleis sah auf.

„Herein!"

Die Tür ging auf und, Markus kam herein. Ich schluckte. Ein Klos steckte in meinem Hals. Das durfte nicht wahr sein. Das konnte nicht wahr sein.

„Dr. Kleis, hier ist mein Bericht zu den Bodenproben. Würden sie ihn noch einmal lesen, bevor sie ihn beifügen?"

„Sicher leg ihn dorthin."

„Haben sie denn schon mit ihrem Institut wegen der Veröffentlichung gesprochen?"

Markus sah ihn hoffnungsvoll an. Dr. Kleis sah nicht auf.

„Ja, aber die können keine Studenten als Herausgeber mit angeben."

Markus sah ihn verwirrt an.

„Aber sie werden mich doch mit angeben?"

„Sicher."

„Ich schreibe schließlich die ganze Arbeit für sie. Sie müssen das doch auch honorieren."

„Das werde ich auch."

„Ich will genannt werden, als Autor."

Dr. Kleis drehte sich zu ihm herum.

„Markus, sie sind noch jung, sie werden noch viel Veröffentlichen. Sie müssen Geduld haben, seien sie nicht so hastig, so forsch. Sie müssen feinfühlig mit Verlegern sein."

„Dr. Kleis. Ich schreibe diese Arbeit, ich will auch genannt sein. Sonst höre ich auf und lösche alles."

Dr. Kleis sprang wütend auf.

„Das werden sie nicht! Seien sie nicht so kleinlich. Sie werden schon genannt sein. Vielleicht nicht auf dem Cover, aber innen sicher. Also seien sie zufrieden und bleiben sie ruhig. Wieder gut?"

Er schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter, doch Markus war schon zu aufgebracht. Was ich verstand. Dr. Kleis wollte ihn abspeisen, ihn vertrösten. Ich verstand nicht warum? Warum nützte er ihn so aus? Das war doch nicht seine Art? Doch was kannte ich schon von diesem stillen Mann.

„Nein, nichts ist gut. Sie nehmen mich nicht ernst. Sie sehen nur eine billige Arbeitskraft in mir."

Markus wollte umdrehen und wegrennen, doch Dr. Kleis wollte ihn stoppen. Er hielt ihn an seinem Hemd fest, von hinten, was Markus röcheln ließ, da es ihm die Luft abschnürte. Dr. Kleis lächelte und packte fester zu. Panisch, da Dr. Kleis nicht locker ließ sondern nur noch fester zuzog bis Markus Lippen bläulich anliefen, griff er nach allem, was in seiner Reichweite stand. Endlich fand er rettend einen Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch. Dieser lief spitz zu, in dreieckiger Form, beinahe wie ein Messer, nur nicht so scharf. Doch in Todesangst, in welcher er sich befand, denn schon begannen einige seiner Äderchen in seinen Augen zu platzen und er bekam kaum noch Luft, stieß er mit aller Wucht zu. Dr. Kleis, der bis eben noch siegesgewiss triumphierend gelächelt hatte, sah ihn entsetzt an. Markus stieß immer wieder zu, die Augen halb geschlossen, fast nicht mehr Herr seiner Sinne und halb besinnungslos. Wieder und wieder stieß er zu, bis er bewusstlos zusammenbrach und neben seinem Peiniger liegen blieb. Dieser hielt sich die Brust, aus welcher Blut quoll, doch nicht lange, dann verdrehte er die Augen und gab nur noch ein kurzes Röcheln von sich. Er starb.

ZeitbarrierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt