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„Es tut mir so leid Ana", beendete Evan seine Erzählung von der Zeit, die er mehr oder weniger auf der Straße verbracht hatte.

„Werden sie dich jetzt in Ruhe lassen?" Ana sah ihn hoffnungsvoll an und spielte nervös mit ihren Händen herum.

„Vielleicht. Man konnte ihnen wieder einmal nichts nachweisen, vielleicht reicht ihnen das." Ana nickte verständnisvoll und kaute auf ihrer Unterlippe herum.

„Kommst du jetzt in Schwierigkeiten mit der Polizei?" Sie seufzte und spürte schon im selben Moment Harrys Hand, die sich in ihren Schoß legte, um ihren Oberschenkel vorsichtig zu drücken. Er hatte die ganze Zeit noch nichts gesagt und Evan nur zu gehört.

Es fiel ihm so verdammt schwer, aber er musste es für Ana tun. Egal wie sehr ihm diese Dinge widerstrebten.

„Ich habe einen anonymen Tipp gegeben- eher nicht. Sie werden eine Aussage wegen des Schusses wollen, aber nicht wegen den anderen Dingen."

Evan zuckte schon beinahe zusammen, als seine kleine Schwester sich zu ihm nach vorne lehnte, um ihn sanft auf die Wange zu küssen, so wie seine Mutter es früher immer bei den beiden getan hatte. Einen Moment lang stellte er sich vor, es wäre tatsächlich seine Mutter, die ihm tröstend einen Kuss gab und ihm Mut zu sprach. Aber er hatte alles zerstört.

„Evan?" Ana biss sich auf die Unterlippe, rutschte wieder so nach hinten, dass sie gerade saß und schaute kurz mutsuchend zu Harry neben sich.
„Kann ich Mom und Dad anrufen?"

Evan versteifte sich.

„Sie wollen mich nicht sehen", antwortete er sofort und sah sie im selben Moment auch schon wieder entschuldigend an.

„Evan-"

„Hast du vergessen wer gesagt hat, dass ich nie wieder zurückkommen soll?" Er erhob seine Stimme ein kleines Stück; Harry musste damit kämpfen nicht aufzuspringen, um auf ihn loszugehen. Sein Atem war bereits schwer als Ana sich an seine Hand klammerte, um das zu verhindern, was sie bereits von ihm erwartete.

„Du weißt genau, dass das nicht so gemeint war." Harry fand es unfassbar, dass Ana weiterhin so ruhig bleiben konnte, ohne auch nur annähernd ihre Stimme zu erheben, so wie Evan es andeutungsweise und völlig unerwartet getan hatte.

„Ana." Evan atmete durch, um nun ruhig weiterzusprechen: „Mom und Dad sollten sich hier raus halten, ich will ihnen nicht noch mehr Kummer bereiten." Er fühlte sich schon so schlecht für die Dinge, die er ihr schon angetan hatte.

„Weißt du eigentlich wie es ist, Mom mindestens einmal die Woche weinen zu sehen, nur weil sie dich so vermisst?" Ana schaute Evan direkt in die Augen, versuchte dabei irgendwie fast schon drohend auszusehen, was sie jedoch nicht im Geringsten schaffte.

Doch trotzdem blieb Evan mehr als sprachlos zurück, starrte sie nur mit ungläubig geöffnetem Mund an.

Hätte sie Harry in diesem Moment angesehen, hätte sie ihn fast genauso gucken sehen können. Er war schockiert, dass Ana ihm nie davon erzählt hatte.

In den fast sechs Monaten war sie nicht einmal auf die Idee gekommen, ihm zu erzählen, dass ihre Mutter wegen ihrem Bruder weinte? Aber dann rief er sich wieder in Erinnerung, dass sie ihm Evan sowieso eine sehr lange Zeit verschwiegen hatte, warum dann nicht auch das?

Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr fragte er sich, was sie ihm noch verheimlichte. Eigentlich sollte sie doch dazu in der Lage sein, ihm alles zu erzählen. Vertraute sie ihm nicht genug?

Der Gedanke, dass sie daran zweifelte, ihm alles erzählen zu können, ließ ihn langsam wütend werden.

***

His Dark Soul (h.s.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt