Kapitel 19

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Der Blick des Königs richtete sich auf die blonde Frau. "Ich kenne dich", sagte er mit einem Stirnrunzeln. "Eowyn!" Beide lächelten sich an und ein kleines Ziehen in meinem Bauch machte mich darauf aufmerksam, dass ich in einer anderen Welt auch eine Familie hatte, die mich wahrscheinlich schrecklich vermisste. Wenigstens dachten sie, dass ich in Sicherheit im Urlaub mit meinen Freunden war. 

Ich wandte meinen Blick von der Szene vor mir ab und studierte die Gesichter der anderen Personen im Thronsaal. Mein Blick fiel auf Aragorn, der Eowyn mit einem weichen Blick ansah, doch als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, legte er schnell wieder eine neutrale Maske auf sein Gesicht und schaute auf Gandalf, der sich jetzt mit dem geheilten König unterhielt. Ich zog beide Augenbrauen so hoch, dass sie an meinem Haaransatz hätten sein müssen und beschloss, mich später mit diesem Thema zu befassen. Jetzt gab es andere Dinge, die meiner Aufmerksamkeit bedurften. Theoden hatte sich nämlich inzwischen aufhelfen lassen, sein altes Schwert von Gandalf bekommen und machte jetzt drei zielstrebige Schritte auf Grima zu.

"Werft ihn aus der Halle. Ich will sein widerwärtiges Gesicht nicht mehr sehen!" Den letzten Teil brüllte er schon fast und die Wachen machten sich daran, des Königs Befehl folge zu leisten. Sie packten die Schlangenzunge und schleiften ihn den kurzen Weg zum großen Tor, wo sie ihn wie einen Sack Kartoffeln die Treppen hinunterwarfen. Ich verzog das Gesicht und hätte schwören können, dass ich Knochen hatte brechen hören. 

"Ich habe stets immer nur Euch gedient, mein Herr!", wimmerte Grima, als er sich aufsetzte und sich rutschend von dem König wegbewegte, welcher sich ihm mit gezogenem Schwert, grimmiger Miene und inzwischen sicheren Schritten näherte. Ich wusste, dass ich eingreifen sollte, aber einerseits wusste ich, dass es Aragorn nicht dazu kommen lassen würde, andererseits wollte ich mich dem König nicht in dem Weg stellen, da er eine ein klein wenig irre Ausstrahlung von sich gab. 

Als Theoden ihn anschrie, ohne zu bemerken, dass sich die halbe Bevölkerung Edoras am Ende der Treppe versammelt hatte und sein Schwert hob, um Grimas Leben ein Ende zu setzen, stellte sich Aragorn endlich in den Weg und überzeugte ihn, ihn gehen zu lassen. Grima bekam ein Pferd und mit einem letzten, wütenden Blick schickte der König ihn aus den Toren Edoras.

Für einen Moment war es still, bis eine Wache das Schweigen mit einem "Heil Theoden, König!" unterbrach. Wir beugten gemeinsam das Knie, doch Theoden schien es nicht wahrzunehmen und als er sich umdrehte, fragte er mit rauer Stimme: "Wo ist Theodred? Wo ist mein Sohn?"

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Ich nahm nicht am Begräbnis teil. Ich konnte die Niedergeschlagenheit und Verzweiflung aller Menschen in der verdammten Stadt spüren (und das von ziemlich weit weg, ich hatte mir ein Pferd geliehen und war ein wenig weggeritten, sodass das Gefühl von Messerstichen in meinem Herzen einem starken Pochen gewichen war, welches sich viel besser ertragen ließ. Schuld daran war wohl der Teil meiner Abstammung von Nienna, der Valie des Mitleids und der Trauer) und ich hatte gehofft, nach der Flucht vor Smaug in der Seestadt nie wieder dieses Gefühl spüren zu müssen. Etwas Gutes gab es aber: je näher ich dem Fangorn-Wald kam, desto besser wurde es. Ich konnte die Bäume nicht sehen; sie waren noch viel zu weit weg, doch ihre Macht schien das Gefühlschaos in meinem Inneren zu beruhigen.

Ich beschloss, an einem kleinen See von meinem Pferd zu steigen und meine Füße in seinem kalten Wasser baumeln zu lassen. Als ich mein Reittier an eine flache Stelle des Ufers führte und beschloss, es dort in Frieden zu lassen, hörte ich ein leisen Knacken links hinter mir. Ich zog mein Schwert, welches ich mir hatte von den Wachen wiedergeben lassen, nachdem wir wieder in die goldenen Halle zurückgekehrt waren, und drehte mich blitzschnell um. Ich war überrascht, eine mittelgroße Frau in hell-lilanen Gewändern, die um ihren Körper wogen, als wären sie aus Wasser, zu sehen, die mich anlächelte und ihre Hände vorsichtig hob, als würde sie sich ergeben. Ich ließ mein Schwert sinken, denn obwohl ich schwören konnte, dass ich diese Frau noch nie gesehen hatte, fühlte ich mich zu ihr hingezogen.

"Hab keine Furcht, mein Kind", sagte sie mit einer sanften, warmen Stimme und lief mit langsamen Schritten an mir vorbei. Ich bemerkte, dass sie barfuß lief. Als sie am Seeufer angekommen war, drehte sie sich um und lächelte mich an. Es war kein strahlend schönes Lächeln wie von den Promis auf Covern von Zeitschriften mit perfekten, weißes Zähnen, sondern eins voller Liebe, welches ihre Augen zum Glitzern brachte und kleine Lachfältchen auf ihrer sonst so makellosen Haut erscheinen ließ. Sie setzte sich ans Ufer und streckte ihre Beine aus, bis sie das Wasser berührten und seufzte zufrieden. 

"Komm doch zu mir, Liebes." Sie deutete auf die freie Fläche neben ihr und ich folgte ihrer Einladung zögerlich, immer noch nicht sicher, wer sie war oder was sie von mir wollen würde. Als ich mich schließlich setzte und meine Füße ebenfalls in das kühle Wasser gleiten ließ, schenkte sie mir noch eins ihrer Lächeln. 

Nach ein paar Minuten eines angenehmen Schweigens holte sie Luft, als wollte sie etwas sagen, doch sie sprach nicht, sondern begann zu summen. Es war eine ruhige Melodie, wie die eines Schlafliedes, welches eine Mutter ihrem Kind vorsingen würde, wenn es Probleme hatte einzuschlafen und ich fühlte mich komischerweise sofort besser. Erst jetzt bemerkte ich, wie erschöpft ich eigentlich war, äußerlich wie innerlich, und bemerkte, wie ich etwas in mir ausglich, was vorher nicht richtig war. Als sie dann noch begann zu singen - Wörter, die ich nicht verstand - flossen die negativen Emotionen quasi aus mir heraus. All die Angst, Trauer und Unklarheit, die mich seit dem Beginn der Reise geplagt hatten, wurden kleiner und kleiner, bis sie zu einem winzigen Ball zusammengeschrumpft waren. Als ich die Frau ansah, bemerkte ich, dass sie ihre Augen geschlossen hatte. Sie war von einem leichten Glühen umgeben, als würden tausende von Glühwürmchen um sie schweben, und ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden.

Als ihr Lied endete, öffnete sie ihre Augen und lächelte erneut. "Es mag dir vielleicht vorkommen, als wäre die ganze Welt gegen dich, doch ich kann dir versichern: Wenn es jemand schafft, dann du. Du wurdest nicht ohne Grund ausgewählt, diese Aufgabe zu erledigen und ich weiß, dass du sie meistern wirst, egal wie viele Steine dir in den Weg gelegt werden." Sie streckte ihre Hand nach meiner aus und ergriff sie. Selbst ihre Berührung war warm und löste ein Gefühl der Geborgenheit in mir aus, das ich schon seit langer Zeit nicht mehr gespürt hatte. 

Als die Wärme langsam weniger wurde bemerkte ich erst, dass ich meine Augen geschlossen hatte. "Falls dir alle Hoffnung versagen sollte, kannst du Liebe und Rat jederzeit finden. Du musst nur danach fragen." Mit einem letzten Hauch von Wärme verschwand die Präsenz der Frau und ich war wieder allein mit meinem Pferd. 

Als ich wieder nach Edoras zurückritt, hatte ich ein Lächeln auf meinem Gesicht und das Gefühl, dass ich alles schaffen konnte.

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Herr Der Ringe FF - Take Me To Somewhere ElseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt