Lilli

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Lilli wachte auf, als ihr Wecker klingelte. Es war noch früh, aber sie musste vor ihrer Mutter aufwachen. Sie zog sich schnell um, von Unterwäsche in Laufsachen, und joggte los. Ihr Rekord war bisher 8,9 km ohne Pause in etwas über einer Stunde. 

Als sie zurück kam war ihre Mutter bereits in der Küche und war damit beschäftigt, Pfannkuchen mit Blaubeeren zu machen. "Lilli, willst du mit uns essen? ", fragte sie und küsste ihre Tochter auf die Wange. "Ich habe schon heute früh gegessen, und ich bin spät dran. Bis später," Lüge. Schnell wandte sie sich ab von dem verlockenden Geruch nach Essen und rannte ins Badezimmer. 

Sie brauchte immer lange im Bad. Duschen, waschen, wiegen. 57,2 kg. Lilli wurde still. Ihr Magen zog sich zusammen, ihre Fingerspitzen wurden taub. Panik kroch durch ihre Venen in ihr Herz und ließen es ängstlich höher schlagen. Mit zitternden Händen holte sie ihr Notizbuch hervor, dass sie heimlich zusammen mit ihren Klamotten herein geschmuggelt hatte und las.

Gestern waren es noch 56,9. 0,3 Kilogramm.  Aber sie hatte nichts gegessen. Es war nicht fair. Es war einfach nicht fair. Ihre Augen brannten und ihre Kehle zog sich zusammen.

Brodelnd mit Enttäuschung und Wut  trug sie in das kleine Buch ein, wie viel sie gelaufen war, und dass sie nichts gegessen hatte. Jeden Morgen dieselbe Routine. 

Als sie sich anzog, hörte sie ihre Mutter unten mit jemandem am Telefon streiten. "Nein. Wir hatten eine Abmachung, Robert. Du behältst ihn. Ich will ihn nicht in meinem Haus, er bringt Lilli nur durcheinander," sagte ihre Mutter laut und kalt. 

Robert. Das war ihr Vater, doch sie hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen. Also kam ihr Vater wieder, und mit ihm... Mit ihm kam Isaac. Isaac ihr Zwillingsbruder. Er würde wiederkommen, seit über einem Jahr. 

Ihre Mutter fuhr wütend fort:"Was meinst du mit ' Es ist zu spät? ' Ich nehme ihn nicht, er kann ja auf der Straße schlafen." Lilli wollte, dass Isaac kam. Sie wollte ihn wiedersehen, mit ihm reden. Sie wollte. dass alles wieder wurde wie zuvor. Vor Isaacs Coming-Out. 

Noch vor einem Jahr waren sie eine glückliche Familie gewesen. Mutter, Vater, zwei Kinder. Ihr Vater, Robert, akzeptierte es, doch ihre Mutter nicht. Sie war sehr konservativ und katholisch aufgewachsen, und Isaac passte sich nicht ihrem Glauben an, er passte nicht in ihr Weltbild, und so verstieß sie ihn. 

Das war der Grund für die Scheidung ihrer Eltern gewesen. Und es war der Grund, warum Isaac mit ihrem Vater wegzog und ihre Mutter ihr verboten hatte, den Kontakt zu halten, egal welcher Art. Sie hatte alle Bilder verbrannt und die Nummern aus ihrem Handys gelöscht. 

Doch jetzt war Isaac wieder zurück. Er würde wieder nach Hause kommen,

some die looking for a hand to holdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt