Der Friedhof

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Alex hatte nichts gegen Friedhöfe.

Er hatte nie verstanden, warum so viele Mutproben auf ihnen stattfanden.

Eine echte Mutprobe wäre es, eine Rede vor der gesamten Schule zu halten oder nackt die Straße entlang zu rennen, mitten am Tag, nicht bis Mitternacht auf dem Friedhof auf einer Bank zu sitzen und Däumchen zu drehen.

Max hätte ihm nicht zugestimmt.

Er sah sich nervös um, als würden jeden Moment Zombies aus der Erde klettern und sie angreifen.

"Reiß dich zusammen, du siehst aus wie ein Junkie auf Entzug," knurrte Alex seinem kleinen Bruder ins Ohr und packte ihm am Nacken wie einen unartigen Hund, dann zerrte er ihn mit ruhigen Schritten weiter.

Lilli schien auch nichts gegen Friedhöfe zu haben.

Zwischen ihren Lippen baumelte eine Zigarette als sie an den Grabsteinen vorbei ging um die Namen zu lesen.

Da Selina nicht mitkommen wollte, mussten sie selbst nach dem Grab suche. Zum Glück war die Fläche nicht allzu groß, es waren nur circa 200 Gräber. Um ehrlich zu sein, musste Alex sich eingestehen, dass er, wäre es Max Grab gewesen, es vermutlich auch nicht sehen wollen würde.

Alex war nicht ganz sicher, warum die Blonde mitgekommen war, aber er vermutete, dass es als moralische Unterstützung für Max war, damit er sich nicht in die Hosen machte.

Dafür war er ihr recht dankbar.

Er betrachtete den aufsteigenden Rauch in der kühlen Luft, und er runzelte die Stirn.

"Max, du guckst links, ich und Lilli rechts. Wenn du den Stein findest, ruf- äh, trampel einfach ein bisschen herum oder hol uns, okay? Gut," und er ging zu Lilli, den ängstlichen Max zurücklassend, der wie erstarrt stehen blieb und sich misstrauisch umsah.

Alex gesellte sich neben das Mädchen.

"Die Älteste, die ich bisher gesehen habe, wurde 103," sagte Lilli ohne ihn anzusehen und nahm noch einen Zug. "beeindruckend, oder? Ich meine, bis du ungefähr 25 bist lernst du nur, mit 35 sterben die Zellen schneller ab als du neue produzierst, mit circa 65 geht man in Rente. 

5 Jahre Kindheit, 20 Jahre Schule, 40 Jahre Arbeit... Was macht man danach? Was hat sie die letzten 43 Jahre gemacht? Abgewartete und Tee getrunken? Wie langweilig und deprimierend," erzählte sie mit einem angewiderten Gesichtsausdruck.

"Aha," antwortete Alex. "Hast du wieder angefangen zu Rauchen um dem Schicksal zu entkommen, 103 zu werden und gelangweilt zu sein?"

"Alex, ich denke ernsthaft, dass du genug kleine Geschwister hast, um die du dir Sorgen machen kannst. Ich gehöre nicht dazu," antwortete sie abweisend und wich seinem Blick aus.

Er seufzte.

"Ich werde mich nicht in dein Leben einmischen, aber du hast in den letzten Wochen angefangen, besser auszusehen. Gesünder."

"Ich habe zugenommen, meinst du."

"Ja, vielleicht.Aber deine Haare haben Volumen, deine Augen leuchten, deine Wangen sind gerötet, deine Nägel weder abgeknabbert noch blutig. Du siehst gesund aus. Ich versuche mich noch zu entscheiden, ob das wegen meinem oder deinem Bruder ist."

Lilli zuckte mit den Schultern, doch sie ließ die Zigarette fallen und stampfte mit der Spitze ihres Schuh darauf. 

Alex seufzte, kniete sich hin und hob den Stummel auf.

"Habe etwas mehr Respekt, junge Dame," wies er sie zurecht, auch wenn seine Mundwinkel leicht zuckten.

Lilli sah ihn kopfschüttelnd an.

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