Fiktiver Titel, sei kreativ

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Alex hatte seine finstere Miene aufgesetzt.

Das tat er nicht freiwillig, er sah dann immer so unfreundlich aus, und er war eigentlich ein ganz netter Mensch.

Seine finstere Miene war deshalb sein nachdenkliches Gesicht.

Max hatte aufgehört zu zählen, wie oft sein Bruder in eine Prügelei verwickelt wurde weil irgendein Typ fand, dass er ihn herausgefordert hatte, wenn er tatsächlich nur gegrübelt hatte, ob jemandem seine verschiedenfarbenen Socken aufgefallen war.

Meistens war seine finstere Miene deshalb mindestens unnötig und höchstens Wert einer gebrochenen Nase.

Diesmal war sie aber tatsächlich angebracht.

Max war froh, seinen grübelnden Bruder durch die Tür des Cafès stiefeln zu sehen. Es war viel zu peinlich geworden zwischen ihm und Selina.

An normalen Tagen war er schon schlecht mit Menschen, geschweige denn mit Menschen die zufälligerweise die Tochter der Affäre seines Vaters waren.

Alex war immer besser mit Menschen gewesen. Er wäre ein guter Therapeut, wären seine Noten besser.

Ohne Umschweife ließ der große Bruder der beiden Jugendlichen sich auf den leeren Stuhl fallen und musterte Selina.

Sie wand sich unter seinem intensiven Blick und vermied es, ihm in die Augen zu schauen.

"Du bist also Selina...", murmelte der größte unter ihnen.

Sie nickte. "Und du bist Alex."

Er sah sie noch einen Moment düster an, dann lächelte er. Es war jedesmal wie ein Wunder, wie schnell er freundlich wirken konnte.

"Es ist schön dich kennenzulernen. Und es tut mir leid, dass weder Max noch ich vorher versuchten Kontakt zu uns aufzunehmen. Ich... Hat Max dir unsere... schwierige Situation mit unserem Vater erklärt?", fragte er vorsichtig, und seine Wangen färbten sich rötlich.

Selina nickte.

"Tut mir leid, dass er so ein Arschloch ist," sagte sie und lächelte ihn kurz an.

"Für dich muss es schlimmer sein. Ich meine, du hast gerade von deiner anderen Familie gehört, und dann ist sie so... zerbrochen. Es tut mir leid, dass er so eine Enttäuschung ist, aber ich und mein Bruder werden versuchen, das wieder wett zu machen."

Er lächelte sie sanft an, und sie erwiderte es.

"Aber sag, wie hast du uns gefunden?", wollte er wissen und zog eine Augenbraue hoch.

Max kicherte leicht, und Selina wurde rot.

"Ich... Ich habe dich in der Stadt gesehen, und du hast mich an meinen Bruder erinnert. Deswegen habe ich ein bisschen geforscht und habe dabei Max getroffen. Er hat mir dann die ganze Geschichte erzählt," murmelte Selina und sah weg.

Alex warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu, der angefangen hat von einem Ohr zum anderen zu Grinsen.

Max deutete auf die Uhr an seinem Handgelenk und zog den Finger dann seinen Arm hoch.

Später.

Alex nickte. 

"Okay. Ist dein Bruder auch in der Stadt?"

Das Mädchen erstarrte und schüttelte den Kopf. 

"Mein Bruder, Mason, starb vor... vor ein paar Wochen. Eigentlich sind es jetzt schon Monate."

Alex wurde still, dann nickte er. "Das tut mir sehr leid. Wo liegt er begraben?"

Selina sah ihn länger an. 

"Ostfriedhof, in Albasheim."

Ihr (sprechender) Bruder lächelte sie wieder an.

"Wenn es für dich in Ordnung wäre würde ich sein Grab gerne in den nächsten Tagen besuchen," sagte er und sah ihr tief in die Augen.

Selina nickte.

"Kein Problem. Jedenfalls nicht für mich."

"Gut. Sehr gut. Max, ich weiß wie sehr du Friedhöfe hasst, aber du kommst mit."

Max sah auf, das Lächeln war von seinem Gesicht nun vollkommen verschwunden.

"Er mag keine Friedhöfe? Er sieht aus, als würde er dort Liebespoesie schreiben oder okkulte Rituale veranstalten," platzte es aus Selina in einem ungläubigen Tonfall heraus bevor sie sich hätte aufhalten können.

Für eine Moment war es still, was in Max Fall nichts ungewöhnliches war, in Alex schon eher.

Dann fing Alex an laut zu lachen und Max hektisch in sein Notizbuch zu schreiben.

"Ich... Es tut mir leid, das hörte sich gemein an," entschuldigte sich Selina, doch Alex winkte sie, immer noch lachen, mit der Hand ab.

"Es ist nur wahr. Hörst du Max, du solltest ein bisschen Farbe in deinen Kleiderschrank kriegen."

Max hielt Selina sein Notizbuch so nah unter die Nase, dass die Buchstaben vor ihren Augen verschwammen.

Erst als er sich etwas beruhigt hatte, konnte sie es lesen.

ICH SCHREIBE KEINE POESIE 

Und sie fing an zu lachen. Alex stimmte mit ein.

Selina wusste nicht, wann sie zuletzt ehrlich aus vollem Bauch heraus gelacht hatte, aber es fühlte sich gut an.

Hauptsächlich gut.

In ihr war noch immer ein kleiner Teil, der meinte, dass dieses Lachen Mason vorbehalten sein sollte.

some die looking for a hand to holdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt