Ich sollte meine Kapitel besser benennen

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Selina ließ ihre Beine über den Rand des Daches baumeln und zog an ihrer Zigarette.

Gedankenverloren starrte sie in die Ferne und merkte nicht, wie wenig Zigarette sie noch in der Hand hielt, bis die Glut  gefährlich nahe an ihre Finger kam und fluchend ließ das Mädchen den Stummel fallen.

Er landete vier Stockwerke unter ihr auf dem Schulhof.

Es war erstaunlich einfach gewesen, dem Hausmeister den Schlüssel zu klauen. 

Viel einfacher als bei ihrer eigenen Schule.

Diese war dazu auch noch höher, hier oben war sie alleine, und es war ruhig.

Die Tür zum Dach öffnete sich und sie seufzte genervt.

Selina war wirklich nicht lange alleine gewesen.

Leise Schritte näherten sich, und dann setzte sich Max neben sie, wortlos wie immer.

"Hey Max," begrüßte sie ihren Bruder und fuhr ich mit einer Hand erschöpft durchs Haar.

Blätter raschelten, und der Junge hielt ihr seinen Block hin.

Was ist los?

Selina lachte kurz auf. Dann sah sie ihm in die Augen.

Seine Augen waren blau wie immer, sie waren offen und ehrlich.

"Ich habe in den letzten Tagen einfach nicht gut geschlafen, das ist alles," erzählte sie, und sah sich die Häuserdächer unter sich an.

Das Kratzen des Stiftes über Papier, dann: Warum?

"Ich weiß nicht, es ist einfach so...laut im Heim. So viele Menschen. Ich wünschte ich könnte einfach da abhauen," flüsterte sie und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.

Sie wollte nicht weinen, sie war jetzt stark, sie war jemand anderes, jemand besseres.

Max kritzelte, und rückte dann näher an sie heran. 

Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter während er schrieb und schloss die Augen.

Er stupste sie und und sie las.

Tut mir leid, dass du da wohnen musst. Wenn Alex 18 ist ziehen wir beide aus, du kannst mitkommen.

Selina lächelte, und sie spürte die Tränen erst, als sie von ihren Mundwinkeln aufgefangen wurden und sich ein salziger Geschmack in ihrem Mund ausbreitete.

"S-S-Schon Oka-ay," stotterte der Junge hilflos und tätschelte ihr unbeholfen den Rücken.

Es war so lächerlich, dass sie lachte, und er auch.

"Danke Max," murmelte sie und schloss ihre Augen. "Ich würde gerne mit euch wohnen."

Max gab nur ein ihr zustimmendes Geräusch von sich.

"Aber mal was anderes. Haben du und Alex etwas mit Zwillingen? Ich habe da so etwas gehört," sagte sie um das Thema zu wechseln.

Max lief rot an, wich ihrem Blick aus und zuckte mit den Schultern.

Selina lachte und er stimmte bald mit ein.

Dann zog er sein Notizbuch aus der Tasche und hielt ihr eine Seite hin.

Ich bin eigentlich nur hier oben, um dich zu fragen, ob du am Samstag auf die Party kommst?

Selina las ruhig, und zuckte dann mit den Schultern.

"Samstag? Also morgen? Warum nicht? Ich war noch nie auf einer Party. Wann und wo ist das?"

Max blätterte um.

20 Uhr bei Charlie, Alex würde dich mitnehmen.

Selina sah ihn an und lächelte.

"Ich freue mich drauf. Meine erste Party..."

Sie saßen noch länger auf dem Dach, selbst als die Schulglocke schon klingelte.

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Isaac wühlte genervt in seinen Klamotten nach irgendetwas, das er auf einer Party tragen könnte, erfolglos.

Er würde garantiert nicht in seinen üblichen Pullis da aufkreuzen, wo attraktive Menschen (Männer(Alex)) waren.

In der Schule lohnte es sich kaum, aber in der Öffentlichkeit...

Früher trug er nur lockere Tank-Tops oder T-Shirts, aber jetzt ging das nicht mehr, er konnte seine Arme nicht so zeigen, und auch nicht seine Brust.

Nach langer Suche fand er etwas, das gehen sollte.

Es war ein einfachen Shirt, nicht wirklich eng aber auch nicht locker, in einem ehemals tiefem schwarz, doch nun war es etwas ausgewaschen.

Am Rücken waren Löcher, die aussahen wie eine Wirbelsäule mit Schulterblättern.

Er zog sich schnell um.

Das schwarze Shirt mit den Löchern und eine enge, zerrissene Jeans.

Als er vor dem Spiegel saß, nahm er seine alten Sachen raus, als er noch jedes Wochenende feiern gegangen war, zusammen mit Lilli.

Er war zwar etwas aus der Übung, doch er bekam nach einigen Versuchen doch noch einen schönen Eyelinerstrich hin, sogar symmetrisch. 

Dann nahm er aus seiner Kulturtasche das kleine Tütchen, dass er gekauft hatte, als er Max nachts überrascht hatte.

Beim rausgehen warf er sich seine Lederjacke über und nahm die schwarze Beanie mit.

Es würde eine lange Nacht werden, und das Wetter wurde immer kälter.

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Lilli stand vor dem Spiegel und betrachtete ihr Spiegelbild.

Ihre Stirn war gerunzelt und sie strich mit beiden Händen das Kleid glatt.

Es war blutrot und reichte ihr etwa bis zur Mitte der Oberschenkel. Und es war sehr eng.

Man konnte eine leicht Wölbung an ihrem Bauch sehen.

Sie versuchte sie zu ignorieren. Ihr ging es jetzt schon viel besser als noch vor einem Jahr. 

Damals war sie so dünn gewesen, dass ihr Körper aufhörte, Haare, Haut und Nägel mit Energie zu versorgen und sie fast täglich umkippte.

Es ging ihr viel besser mit viel Therapie und einigen Klinikaufenthalten.

Doch ganz hatte sich noch nicht von ihren Angewohnheiten losgelassen.

Das einzige, das sie sich erlaubte, war Alkohol, und davon nur hochprozentiges, kaum Mischungen.

Lilli seufzte und strich mit ihren Fingerspitzen über ihre Hüftknochen, die man selbst unter dem Kleid erkennen konnte und über ihr Schlüsselbein.

Beide waren noch markant, und ihre Oberschenkel berührten sich kaum, auch wenn sie ging. Sie nahm immer zuerst am Bauch zu.

Sie erinnerte sich noch wie es war, bevor sie so besessen von ihrer Figur war, doch war diese Zeit vorbei und Lilli hatte die Vermutung, dass sie ihren Körper nie wieder sehen konnte wie er war ohne ihn zu kritisieren, und das war beängstigender als jedes Kilo.

Mit einem letzten Atemzug schloss sie ihre Augen.

Heute würde sie nicht daran denken, heute würde sie Spaß haben.

Sie hatte ein Date. Gewissermaßen, und das würde sie in vollen Zügen genießen.

Nichts würde diesen Abend für sie verderben.

some die looking for a hand to holdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt