Isaac

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Isaacs Kopf lehnte an der kühlen Fensterscheibe des Wagens seines Vaters. Er hatte Kopfhörer in den Ohren, doch er hörte keine Musik. Er wollte welche hören, aber er hatte kein Lied, dass in ansprach. Keines das machte, dass er sich besser fühlte. Keines, dass sich anhörte wie er sich fühlte. 

Er würde heute zu seiner Mutter fahren. Und zu Lilli. Isaac hatte Lilli vermisst. So verdammt sehr. Sie war seine Zwillingsschwester, ein Teil seiner Selbst. 

"Isaac? Hey, Ice," sein Vater schüttelte seinen Arm vorsichtig, als hätte er Angst, ihn zu zerbrechen, doch Isaac zuckte zurück vor der Berührung. Er sah den Schmerz auf dem Gesicht seines Vaters, und er fühlte sich schuldig. Sein Vater hatte es nicht verdient, dass sein eigener Sohn vor seiner Berührung zusammen zuckte. 

"Alles okay, ich bin's nur. Also... Wir sind in fünf Minuten da. Du bleibst nur solange, bis ich mich um alles gekümmert habe, okay? Ich muss unser altes Haus verkaufen, und hier etwas suchen. Das dauert nicht lange. " 

Er lächelte ihn entschuldigend und aufmunternd an, doch Isaac sah, dass er sich Sorgen um ihn machte. Große Sorgen, besonders nach dem ‚Vorfall' vor drei Wochen. 

Da hatte Isaac versucht, sich mit einer Überdosis Zopiclon umzubringen. Schlaftabletten. Sein Vater hatte ihn gerade noch rechtzeitig gefunden und ins Krankenhaus gebracht.

 Seit dem sah er anders aus, älter. Isaacs Vater war nicht alt, er hatte ihn und Lilli bekommen, als er noch ziemlich jung war, und er hatte nirgendwo dazu unterschrieben, einen schwulen, depressiven Sohn zu kriegen der eine Schwäche für Pillen und Alkohol hatte. Es war nicht fair, für keinen von ihnen. 

Sie stiegen zusammen aus, und als sie vor der Haustür standen, lächelte Isaac seinen Vater beruhigend an. Beide wussten, dass es fake war. 

Robert, sein Vater, drückte die Klingel, und Marie öffnete die Tür. Marie, nicht seine Mutter. Er hatte keine Mutter mehr seit sie vor einem Jahr eine Bibel nach ihm geworfen hatte. 

Doch sie sah noch genauso aus wie zuvor. Hellbraune Haare, hellblaue Augen. Er und Lilli hatten die Augen von ihr, nur waren seine Haare heller. 

"Robert," begrüßte sie seinen Vater. Dann richtete sich ihr Blick auf ihn, als wäre er das Kaugummi unter ihrem Schuh. "Isaac. Du wirst hier höchstens eine Woche bleiben. Wird es länger, kannst du von mir aus auf der Straße schlafen. Und du wirst keinen deiner..."Jetzt war es das Kaugummi, vermischt mit einer Spinne, in das sie unter den Tisch gefasst hatte. "... abnormalen Freunde mitbringen. Es ist mir egal, was dein Vater sagt, es ist nicht natürlich. Wir hätten dich damals in Therapie stecken sollen, vielleicht wärst du dann jetzt nicht so krank," fügte sie noch hinzu, und Isaac sah sie mit gerunzelter Stirn an. 

„Marie, schwul und krank sind keine Synonyme. Ich bin von Geburt an nur das eine, aber dein Gesicht macht mich gerade krank, glaubst du die Krankenkasse bezahlt die Therapie dafür?", fragte er sie mit einer hochgezogenen Augenbraue. 

Sie sah ihn so wütend an wie nie zuvor, und er hatte ernsthafte Angst, dass sie ihn schlagen würde, doch der Anstarrwettkampf wurde durch einen Schrei aus dem Inneren des Hauses unterbrochen. 

"Isaac! Ice! Oh Gott, du bist hier!", rief Lilli, sprang fünf Stufen auf einmal herunter und in seine Arme. Er versteifte sich, doch das hier war Lilli. Seine Lilli. Also schlang er seine Arme um ihren Körper und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. 

"Ich muss jetzt auch los."sagte Robert nach einer Weile. "Bis nachher. Ich liebe dich, Isaac, und dich auch Lilli,"fügte er hinzu, beugte sich vor und küsste beide auf die Stirn, dann ging er zum Auto und fuhr weg. 

"Ich bin müde. Da ich vermute, dass mein altes Zimmer durch den Exorzismus, den du damit gemacht hast nachdem ich weg bin, von meiner ‚Krankheit' geheilt wurde und ich ihn nicht wieder 'verpesten' möchte, wo schlafe ich?", fragte Isaac herausfordernd. 

"Ich zeig es dir, und wenn es dir wieder besser geht, reden wir, okay?", antwortete Lilli aufgeregt, nahm seine Hand und zog ihn hinter sich her in einen einfachen weißen Raum mit nur einem Bett.

 Schon als er hier noch gewohnt hatte, war das das Gästezimmer für die Gäste gewesen, die man schnell wieder weg haben wollte, doch daran hatte er sich in diesem Haus gewöhnt. 

Erschöpft legte er sich hin und schloss die Tür hinter sich. Endlich allein. Isaac lag nur ein paar Minuten wach, bis der Schlaf ihn übermannte.

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