Max hatte nichts gegen Friedhöfe.
Er verstand sie nur nicht.
Warum beschlossen Menschen, alle Toten, die an Krankheiten, Mord und Unfällen gestorben waren, an einem Ort zu verscharren?
Das hörte sich an wie das perfekte Rezept für eine Epidemie.
Oder Horrorfilm.
Ob er an weiße Geister glaubte die Stühle umschmissen und bei Nacht stöhnten?
Natürlich nicht.
Glaubte er an die Überbleibsel einer menschlichen Seele die voller Hass auf ihr nutzloses und kurzes Leben Rache an den Lebenden nehmen könnte?
Er wollte es nicht riskieren.
Und so war er sehr dankbar schnell wieder von den kargen Rasen runter zu sein und mit einer warmen Tasse Kakao in einem Cafè zu sitzen.
Alex war gegangen, er redete etwas davon, sich mit einem Freund zu treffen.
Das machte Max überaus misstrauisch.
Sein Bruder traf sich selten mit Freunden, was daran lag, dass er sie nicht wirklich mochte.
Doch jetzt beeilte er sich, um diesen Freund zu treffen, und dass mit einem hochrotem Kopf und während er Blickkontakt vermied?
Ja, Max war misstrauisch.
Aber das ließ schnell nach, während er neben Lilli saß.
"Worüber denkst du nach?", fragte sie ihn und trank ihren schwarzen Kaffee.
Er zuckte mit den Schultern und deutete dann mit der Hand die Größe seines Bruders an.
Lilli sah kurz verwirrt aus, dann lächelte sie.
Sie hatte ein Grübchen am Kinn.
Max sah es kurz an, er fing selbst an zu lächeln.
Als er das bemerkte wandte er schnell den Blick ab und errötete.
Um sich abzulenken kaute er auf dem Trinkhalm seines Getränks herum.
"Alex passiert schon nichts. Er trifft sich vermutlich mit meinem Bruder, Isaac," murmelte sie und pustete in ihre Tasse.
Max kannte Isaac gut genug, um zu wissen, dass er äußerst gutaussehend war, und das machte ihm noch mehr Sorgen.
Ein Teil von ihm war froh darüber, dass sein Bruder etwas anderes tat als zu lernen, trinken, sich zu prügeln und verprügelt zu werden.
Jemanden zu haben, der ihn glücklich macht, wäre schön für ihn.
Und wenn es nur ein Freund sei.
Doch er hatte Angst, was passieren würde, wenn ihr Vater etwas davon mitbekommen würde.
Er wollte nicht seinen Bruder verlieren, nur, weil ihr Vater einen schlechten Tag hatte und eine, für ihn, gute Berechtigung hatte, Alex wegen irgendetwas zu bestrafen.
Bei dem Gedanken drehte sich sein Magen um.
Voller Nervosität hatte er fast den Trinkhalm durchgebissen.
Er seufzte und schloss seine Augen für einen Moment.
"Hey, Max. Es ist alles okay, ja?", murmelte Lilli und beugte sich zu ihm hin. Sie legte ihre Hand über seine und drückte leicht. "Alex ist ein großer Junge, er schafft das, und Isaac wird die Scheiße von eurem Vater nicht so erdulden wie dein Bruder."
Max beschloss nicht weiter an ihre warme Hand zu denken, teils aus Angst, dass sie die dann wegnehmen könnte, und teils, weil er gerade Wichtigeres hatte, um das er sich Sorgen machen sollte.
Aber Alex war breiter als Isaac, mehr Muskeln, größer.
Isaac war, ehrlich gesagt, ein Lauch.
Außer er versteckte unter seinen Pullovern ein unglaubliches Sixpack.
Was sollte er gegen seinen Vater tun?
Er sah Lilli verwirrt an, eine Augenbraue hochgezogen.
Sie verdrehte die Augen.
"Du bemerkst es vermutlich nicht, aber dein Vater ist alt, und er ist genauso groß wie dein Bruder. Der einzige Grund, warum Alex es ist, der die Schläge einsteckt, ist der, dass er es nicht anders kennt. Euer Vater schlägt ihn seit Jahren, und Alex hat Angst vor ihm. Er würde sich nie wehren. Isaac schon. Und dein Vater mag es, Alex zu schlagen, weil er sich dadurch stark fühlt. Bei Isaac? Euer Vater ist ein Feigling, ein Schlag in seine Fresse genügt und er wird heulend weglaufen," erklärte sie sanft.
Max dachte nach, und ihm wurde klar, dass sie recht hatte.
Ihr Vater war nicht so groß wie sein Bruder.
Er war schmaler, weniger Muskeln.
Schwach.
Er hatte nur Macht, weil er sie sich von seiner Familie nahm.
Theoretisch könnten er und Alex ihn locker besiegen.
Doch dann dachte er an seinen Vater, an diesen Blick den er hatte wenn er wütend war, und er erstarrte.
Allein der Gedanke, ihn zu konfrontieren... Nein. Er hatte schlicht und einfach Angst.
Max sah auf sein Getränk herab und schüttelte langsam den Kopf.
Lilli sah ihn an und lächelte traurig.
"Ihr müsst euch nicht alleine wehren. Ich und Isaac können helfen. Ich hätte auch Angst vor ihm, wenn er alles wäre, was ich kenne," seufzte sie und ihr Blick würde trüb, als würde sie an etwas weit, weit entfernt denken.
Ihre Augen waren so blau wie ein klarer Himmel im Sommer.
Pures blau.
Er räusperte sich nach einer Weile, in der Lilli sich kaum regte.
"Hm? Oh, ja. Tut mir leid, bin ein bisschen abgeschweift," murmelte sie und errötete.
Max zuckte mit den Schultern.
"Ach ja, ich wollte dich fragen, ob du am Samstag auf der Party bist. Um 20 Uhr bei Charlie? Habe ich dich das schon gefragt? Naja, ist auch egal."
Sie lachte und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
Max nickte einfach und zeigte seinen Daumen.
"Echt? Cool! Hast du Lust, zusammen dahin zu gehen?", fragte sie mit einem breiten Lächeln.
Er versuchte nicht allzu enthusiastisch zu nicken, aber er hatte die Befürchtung, darin unglaublich zu versagen.
Lilli lächelte ihn an, das Grübchen an ihrem Kinn trat hervor und ihre blauen Augen strahlten.
"Gut. Das ist gut. Ich muss jetzt los, aber wir schreiben wegen Freitag, ja?"
Max nickte wieder und sah zu, wie sie ihre Tasse austrank und Tasche packte. Dann stand sie auf.
"Wir sehen uns vermutlich erst Samstag, also... Bis dann," sagte sie.
Max nickte und lächelte sie an.
Lilli sah ihn für einen Moment an, und überlegte.
Dann beugte sie sich vor und küsste seine Wange.
"Bis dann," und sie war weg.
Max saß im Cafè und berührte seine Wange mit den Fingerspitzen.
Sein Gesicht brannte, und er hörte nicht auf zu lächeln.
Es war peinlich.
Er vergrub sein Gesicht in seiner Armgrube und freute sich auf Samstag.
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some die looking for a hand to hold
RandomLilli, Isaac, Alex, Max und Selina sind fünf Jugendliche durch Fehler und Schicksal miteinander verbunden. Als sie eine Straftat begehen, müssen sie sich mit den blutigen Konsequenzen auseinander setzten und darauf achten, das niemand erfährt, was h...