Folgen von zu lauter Musik

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Alex sah sich kritisch im Spiegel an. Über seinen Rücken zog sich ein langer, roter Striemen, der an einem Punkt blutete. Er hatte vorgehabt, diesen einen Punkt zu verbinden, aber es war genau auf seiner Wirbelsäule. 

"Was soll diese Scheiße...", fluchte er leise murmelnd und versuchte sich selbst auf den Rücken zu schauen, was darin endete das er sich im Kreis drehte. 

Letztendlich gab er auf und nähte sich stattdessen die Platzwunde auf seiner Stirn. Er hatte so oft welche oder ähnliche Wunden, dass er es irgendwann gelernt hatte und ziemlich gut darin war. 

Ich sollte Arzt werden. Aber ich bin zu schlecht in der Schule, mit meinen Noten werde ich höchstens Zahnreinigungsassistent... 

Alex seufzte und rieb sich die Augen. Dieses Jahr würde er sich wirklich anstrengen, er würde nicht schwänzen und mitarbeiten. Müde und leicht demoliert ging er zu seiner Musikanlage und dankte Gott das sein Vater nicht da war. 

Der würde ihn sonst umbringen bei der Lautstärke. Alex fing mit seinen Physikhausaufgaben an. Da er seinen Rücken nicht verbinden konnte, ließ er ihn an der Luft heilen. Er streckte sich und zuckte dann zusammen. 

Er wünschte, er könnte aus seinem Körper hinaus gehen und sich selbst von hinten behandeln. 

Dann könnte ich einen Dreier mit zweimal mir selbst haben, dachte er, und schüttelte dann den Kopf. Alex dachte manchmal verdammt merkwürdige Dinge, aber zum Glück hatte er das nicht laut ausgesprochen, auch wenn das im leeren Haus keinen Unterschied gemacht hätte, jedenfalls nicht wirklich. 

"Berechne die Reflexion und Brechung einer Welle aus Licht an einer Pyramide, deren Katheten 3 Zentimeter lang sind. Fick dich, was?" 

Er hasste Physik wirklich. 

"Scheiß drauf, ich werde Zahnreinigungsassistent.," fluchte er, ging zu seinem Nachtschrank und nahm einen Schluck aus der darin verstauten Flasche Wodka. 

Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse bei dem stechendem Geschmack, doch die anschließende Wärme in seinem Magen machte es wieder wett und er nahm noch einen Schluck.

Alex sang leise zu der Musik, doch mit seinem Alkoholpegel steigerte sich auch seine Lautstärke bis sein Vater durch seine Zimmertür stürmte und ihn anschrie: "Ich schwöre Alexander mach diese scheiß Musik aus oder ich schlage dir den Schädel ein!", brüllte er und mit den Reflexen, die nur jemand entwickeln konnte, dessen Leben aus Sport und Prügeleien bestand, drückte er den Ausschaltknopf an der Anlage. 

"Sorry Dad, ich wusste nicht, dass du da bist," entschuldigte er sich schnell. Sein Vater stellte sich vor ihm, sein Kopf etwas höher als Alex. 

"Ich dachte, ich habe dir gesagt, nicht immer so laute Musik zu hören," knurrte der erwachsene Mann. Alex sah in die Augen seines Vaters. Sie waren braun wie seine, nur viel wütender. Die Faust seines Vaters traf ihn in den Magen und er fiel auf seine Knie. 

Dann ein Tritt ins Gesicht. Sein Mund füllte sich mit heißem, dickflüssigem Blut und er lag würgend auf dem Boden. 

"Ich habe wirklich gedacht, dass du langsam deine Lektion gelernt hast," sagte der Mann und öffnete seinen Gürtel. Alex hörte, wie der alte Ledergürtel mit der harten Eisenschnalle aus den Schlaufen gezogen wurde und wie er auf den Boden knallte. 

Aus einem weiterem Reflex, doch dieser älter, beinahe schon angeboren, rollte er sich zusammen und schütze seinen Kopf mit den Händen. 

Die Schnalle traf seine Seite und er wimmerte. Das nächste Mal war es sein Arm und dann der Rücken, genau auf die jetzt schlimmer blutende Wunde. 

Diesmal schrie er auf. Es folgten noch ein paar Schläge, dann hörte es auf. 

"Steh auf," befahl sein Vater kalt. Alex ganzer Körper brannte und protestierte, er wollte nur eine kalte Dusche, oder ein Bad und danach mit viel Schmerztabletten einschlafen. 

Aber sein Vater hatte andere Pläne. Er wurde an seinen Haaren hochgerissen bis er wackelnd auf den Beinen stand. Vor seinen Augen tanzten Sterne und ihm wurde kurz schwarz vor Augen. 

"Sieh mich an." Alex gehorchte. Was sollte er denn auch sonst tun? Der Mann, mit dem er sein Blut teilte, spuckte ihm ins Gesicht und stieß ihn dann zurück. 

Alex fiel hin und keuchte als er auf dem Rücken landete.

"Gott wie erbärmlich du bist," sagte sein Vater angewidert und ging aus dem Raum. Irgendwie, mit schwarzen Flecken die wie alte Freunde vor seinen Augen tanzten, schaffte er sich ins Badezimmer zu hieven und dann in die Badewanne. 

Er lag dort länger, vielleicht eine Stunde, vielleicht zwei. Jegliches Zeitgefühl schien aus seinem Kopf zu verschwinden.

Bis jemand die Tür öffnete und dann schnelle Schritte, die auf ihn zukamen. 

"A-Al," hörte er die Stimme seines Bruders. "O-Oh s-s-s-shit. W-Wa-a-arte, i-ich h-h-el-f-fe d-i-ir." Sein Stottern wurde immer schlimmer, wenn er aufgebracht war. 

"Max? Max," murmelte er verwirrt und halb ohnmächtig. Der Rest der Nacht war schwarz, mit nur wenigen Momenten, wie das heiße Wasser auf seinem Körper und dass jemand ihn abtrocknete, das Blut wegwischte und dann sein Bett. 

Alex wollte nur schlafen.

some die looking for a hand to holdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt