"Zimmer 320", teilte uns die Frau hinter dem Empfangsschalter mit einem bedauernden Blick mit, was Mum und mich nur noch mehr in Panik versetzte. Als wäre dieser sterile Geruch und das stressige Hin und Hergehen der Ärzte und Pfleger nicht schon genug.
Ich spürte eine Hand an meinem Kreuz und ich blickte hoch zu deren Besitzer. Jaron suchte meinen Blick. Seine braunen Augen waren im Moment der einzige Halt den ich hatte. Sie hatten etwas beruhigendes. Und das war genau das, was ich jetzt brauchte. Mum neben mir hatte grosse Mühe nicht die Fassung zu verlieren und nicht einfach los zu weinen. Ich denke ich sprach für uns beide wenn ich sage, dass wir froh um Jaron' Anwesenheit waren.
Er hatte uns ohne gross nachzufragen ins örtliche Krankenhaus gefahren und war uns seit dem nicht von der Seite gewichen.
Wie auch jetzt, während wir durch die weissen Gänge liefen, war er stets hinter uns. Ich versuchte derweil Mum etwas zu beruhigen, was mir jedoch nicht besonders gelang.
Mum war nur noch ein Häufchen Elend und kurz davor zusammenzubrechen.
Und ehrlich gesagt machte ich mir sorgen, gleich nochmal ein Familienmitglied einliefern lassen zu müssen.
Als wir im richtigen Gang angekommen waren, kam uns auch schon mein Vater entgegen, der meine Mutter sofort umarmte und beruhigend auf sie einsprach.
Wobei er selbst nicht wirklich besser aussah. Sein Blick schweifte suchend umher, bis er an mir hängen blieb und ehe ich mich versah, lag auch ich in seinen Armen.
"Es geht ihr soweit gut. Es wird nur dauern, bis sie wieder zu sich kommt.", erklärte er uns leise wobei er mir einen Kuss auf die Stirn gab und Mum an seine Brust drückte.
Die Schwere in mir löste sich bei seinen Worten etwas und mir gelang es seit geschlagenen 30 Minuten wiedermal richtig durchzuatmen.
Sie lebte noch.
"Können wir zu ihr?", wollte ich wissen.
Doch Dad schüttelte verneinend den Kopf,"Die Ärzte sind gerade drin."
Ich nickte, wenn auch nicht gerade begeistert. Am liebsten wäre ich in ihr Zimmer gestürzt um mich selber davon zu überzeugen, dass es ihr gut ging.
"Was macht der hier?", Dad nickte in Jaron' Richtung und klang dabei nur halb so missfallend wie es unter anderen Umständen ausgefallen wäre.
"Er hat uns hergefahren.", erklärte Mum und schaute ihren Mann mit einem strengen Blick an, so dass dieser jeden weiteren Kommentar herunterschluckte. Es war ihm anzusehen, dass er nicht begeistert war. Ich blickte ebenfalls zu Jaron und musste leicht lächelnd feststellen, dass er sich etwas entfernt an die Wand gelehnt hatte und extra in die andere Richtung schaute, um uns etwas Privatsphäre zu gewährleisten. Doch als hätte er meinen Blick auf sich gespürt, schaute er in meine Richtung und schenkte mir ein kleines Lächeln, von dem ich wusste, dass es eins seiner seltenen war.
"Wie konnte das passieren?", Mum' Stimme zitterte, während sie sich auf einen der Stühle im Gang fallen liess. Dad und ich nahmen links und rechts von ihr platz. "In ihrem Alter ist ein Schlaganfall nicht unüblich Schatz. Mutter ist nun mal nicht mehr die Jüngste.", versuchte Dad objektiv zu antworten. Doch ich wusste wie schwer es ihm fiel, das auszusprechen.
Schließlich ging es hier um seine Mutter. Und Grandma sah zwar wie eine ältere Dame aus, doch im Geist war sie noch spritzjung wie sie immer gern zu pflegen sagte.
Ein Schlaganfall hat niemand auch nur annähernd in Betracht gezogen. Und so sah man mal wieder, wie mies das Leben doch mit einem spielen konnte. Nichts, kein Tag, keine einzige Minute war selbstverständlich.
Und solche Situationen führten einem das wieder vor Augen.
"Ich werde uns mal einen Kaffee holen. Scheint eine lange Nacht zu werden.", seufzte ich, da ich merkte dass Mum und Dad gern etwas alleine sein wollten.
Die beide nickten mir dankbar zu und ich erhob mich seufzend von dem unbequemen Plastikstuhl.
"Mäuschen?", mein verhasster Spitzname liess mich wieder umdrehen und ich schaute fragend zu meinem Vater, welcher wirklich froh sein konnten, dass wir jetzt gerade andere Sorgen hatten, sonst könnte er sich jetzt auf etwas gefasst machen.
Er wusste wie ich zu diesem Kosenamen stand.
"Deine Grandma wird wieder. Schliesslich-"
"-ist sie eine Davies. Ich weiss.", murmelte ich leicht lächelnd, bevor ich mich wieder umdrehte und den Gang hinunter lief.
Beim Vorbeigehen schnappte ich mir noch Jaron, der immer noch an der selben Stelle lehnte und zusammen machten wir uns auf den Weg zur Kantine des Krankenhauses.
Wir schwiegen den ganzen Weg über. Meine Gedanken waren die ganze Zeit nur bei meiner Grossmutter.
Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen wie es hätte ausgehen können. Der Schmerz des Todes meines Grossvaters vor 4 Jahren war in unsere Familie immer noch gegenwärtig. Auch wenn wir wussten, dass Maria Davies nicht unsterblich war, hofften wir alle, dass sie noch lange unter den Lebendigen verweilen wird.
Der Tod ist unser ständiger Begleiter und das macht uns allen mehr Angst als uns lieb war.
"Wie geht es deiner Grossmutter?", fragte Jaron, während er mich dabei beobachtete, wie ich die beiden bestellten Cafés entgegen nahm. Verwundert hielt ich in meiner Bewegung inne und schaute zu ihm,"Woher-?"
"Ich hab ein gutes Gehör, Mäuschen.", klärte er mich einem kleinen frechen Grinsen auf.
Ich zuckte leicht zusammen und könnte meinem Vater gerade wirklich den Kopf umdrehen!
Dieser Name hatte mich vorallem in meinen ersten Lebensjahren begleitet. Bis ich irgendwann mal in der 4. Klasse ein paar Freunde nach Hause genommen hatte und Dad mich so genannt hatte.
Damals habe ich mich in Grund und Boden geschämt. Meine Freunde haben mich damit aufgezogen und mein Vater musste mir schwören, diesen bescheuerten Namen nie wieder in den Mund zu nehmen.
Aber das gelang ihm irgendwie nur lückenhaft. Und das Jaron nun davon Wind gekriegt hatte, war das Letzte was ich wollte.
Ich warf ihm einen drohenden Blick zu, ehe ich ihm die beiden dampfenden Becher in die Hand drückte,"Nenn mich NIE wieder so."
Ich betonte das nie besonders stark, konnte mir jedoch ein kleines grinsen ebenfalls nicht verkneifen.
Es war einfach zu ansteckend. Ausserdem war ich froh um etwas Ablenkung.
"Der ist süß.", meinte Jaron immer noch mit Belustigung in der Stimme, was mich dazu veranlasste herausfordernd zu ihm hochzuschauen, während er mir die Tür der Kantine aufhielt,"Süß ist der kleine Bruder von Scheiße."
Das verräterische Zucken um seine Mundwinkel blieb mir nicht verborgen, doch ich ging nicht mehr weiter darauf ein, sondern wurde wieder ernst,"Es geht ihr soweit gut. Genaueres erfahren wir aber erst später. Die Ärzte untersuchen sie gerade."
"Verstehe."
"Weisst du was das Schlimmste ist? Für einen kleinen Moment war ich erleichtert.", ich lachte kurz verachtend auf und schüttelte den Kopf,"Ich hatte damit gerechnet, dass es der Anruf war, den Mum und ich schon seit so vielen Jahren fürchten. Als dem nichts so war und anstelle der Namen meines Vater der meiner Grossmutter fiel, war ich erleichtert! Ich meine, wie kann man so-"
"Hey psht.", Jaron legte die beiden Becher auf die nächstbeste Ablage, was in diesem Fall ein Fenstersims war, bevor er anschliessend mein Gesicht mit seinen gewärmten Händen umfasste und mir mit dem Daumen die vereinzelten Tränen wegwischte,"Daran ist nichts verwerfliches. Du warst nicht erleichtert dass deine Grossmutter im Krankenhaus liegt. Du warst nur zu sehr davon ausgegangen das dein Vater betroffen ist. Was anhand seines Jobs auch nicht abwegig ist. Hör auf dir deswegen Schuldgefühle zu machen wo keine angebracht sind und reiß dich zusammen.
Deine Familie braucht dich jetzt!"
Ich nickte schnell und biss mir auf die Lippe, versucht wieder die Kontrolle über mich zu gewinnen.
Jaron suchte nochmal meinen Blick und musterte mein Gesicht prüfend. Die Intensität seiner Augen haute mich fast um.
Es ist jedes Mal eine Herausforderung seinen Augen stand halten zu können. "Ich-Wieso tust du das?", fragte ich ehrlich verwirrt. Etwas in seinen Augen veränderte sich,"Ich weiss wie es ist um ein Leben zu bangen was einem viel bedeutet."
Ohne nach fragen zu müssen, wusste ich wen er meinte.
"Ich kann dich zwar nicht wirklich leiden aber ich bin froh dass du hier bist.", meinte ich aufrichtig.
Heute war ich eindeutig zu gefühlsduselig.
Eine meiner verwirrte Strähne wurde hinter mein Ohr geschoben und Jaron schmunzelte leicht,"Wir wissen beide, dass du mich mehr als leiden kannst."
Bevor ich überhaupt kapiert hatte was er da von sich gegeben hat, entfernte er sich auch schon wieder von mir, schnappte sich die zwei Becher und lief den Gang in Richtung Zimmer 320 hinunter.
Dieser eingebildete Arsch!
Und doch hatte er recht.
Aber ich werde den Teufel tun und ihm das unter die Nase zu reiben!
Als ich wenig später wieder zu ihm und meinen Eltern stiess, verhielt sich Jaron als wäre nichts gewesen.
Okey, auf diese Tour also.
Das konnte ich schon lange!
Ich setzte mich neben ihn auf einen Stuhl und beobachtete die Ärzte und Pfleger, die an uns vorbei hasteten. Meine Eltern saßen gegenüber von uns. Mum lag schlummernd halb auf dem Schoss meines Dad', welcher mit geschlossenen Augen mit ihrem Haar spielte. Die Ärzte waren zwar schon mit ihrer Untersuchung fertig, hatten jedoch noch jeglichen Besuch untersagt.
Doch wir würden keinen Fuss aus dem Gebäude setzten, bevor wir Grandma nicht erst gesehen haben.
Ich konnte mich also auf eine lange, unbequeme Nacht gefasst machen. Die Anspannung fiel von Minute zu Minute von mir ab und ich spürte zunehmend die Müdigkeit in mir aufsteigen.
Das Letzte an was ich mich erinnern konnte war, wie sich ein warmer Arm um mich legte und mein Kopf an eine Brust gedrückt wurde, ehe ich endlich Ruhe fand.
DU LIEST GERADE
Beyond all reason - Gegen jede Vernunft
Romance-Reason is powerless in the expression of love- Wenn Jaron und Clea aufeinander treffen, prahlen zwei Welten zusammen für die es tausend Gründe gibt es nicht zu tun. Kein schwarz oder weiss, kein Gut oder Böse nur zwei Menschen die versuchen, ihr G...