29. Gefühlskram

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Jaron

"Ich möchte nach Hause!", nörgelte Jackson mit leidendem Gesichtsausdruck.
Ich warf ihm einen amüsierten Blick zu, während wir uns durch die Schülermenge durchkämpften,"Vor zwei Stunden warst du noch anderer Meinung."
Mein Zwilling seufzte,"Allein diese zwei Stunden Mathe haben mir gereicht."
Jackson hatte sich sein erster Schultag seit mehr als einem Monat sichtlich anders vorgestellt.
Aber wir wussten beide, dass er, trotz seines Hassfachs, sehr froh darüber war, wieder die Schulbank drücken zu dürfen. Und ich nicht weniger.
Denn wenn ich die letzten Wochen dann mal in der Schule war, dann war es ohne ihn nicht dasselbe.
Trotzdem aber war meine Sorge immer noch präsent. Auch wenn der Arzt die Erlaubnis gegeben hatte, sah Jackson noch lange nicht so aus, wie es ein gesunder Mensch in seinem Alter sollte. Seine Haut war immer noch unnatürlich weiss und seine Muskulatur war von dem ganzen Liegen stark zurück gegangen, so dass man Angst hatte, er würde jeden Moment zusammenklappen.
Einzig allein das freche Funkeln und die vorlaute Klappe liessen mich an den alten Jackson erinnern.
"Jetzt noch eine Stunde bei der Flemmings! Besser kann der Tag doch nicht mehr werden.", die Stimme meines Bruders triefte nur so vor Sarkasmus, als wir um die nächste Ecke bogen.
Zugegeben der Mittwoch war nicht gerade der beste Tag der Woche um wieder in die Schule zu kommen, doch da musste er durch.
Wie jeder andere auch.
Genauso auch ich. Ich war diese Woche auch noch nicht hier gewesen.
Jackson ging zielstrebig auf seinen Spind zu und kramte in diesem herum. Derweil lehnte ich mich an die Spinde daneben und meine Augen nahmen heute zum ersten Mal meine Umgebung richtig wahr.
Insgeheim hielt ich nach einer ganz bestimmten Person Ausschau. Seit der Gala hatte ich sie nicht mehr gesehen. Das mehr absichtlich.
Nach ein paar Sekunden sah ich sie schliesslich tatsächlich an einen der Spinde gelehnt. Jedoch war sie nicht allein. Meine bisher gute Stimmung verabschiedete sich schlagartig bei diesem Anblick.
Wer zum Teufel war dieser Typ?!
Den hatte ich hier noch nie gesehen.
So einer wäre mir bestimmt aufgefallen. Typischer Sunnyboy mit seinen langen blonden Haaren und den blauen Augen.
Jedoch störte mich sein schmieriges Grinsen am meisten.
Bereits jetzt ging es mir schon gewaltig auf die Nerven und erst recht dessen Wirkung.
Clea schien hin und weg zu sein.
Ein beklemmendes Gefühl machte sich bemerkbar und auch seine Hand, die wie selbstverständlich eine von Clea' verwirrten Strähnen zurückschob, zerrte an an meiner Selbstbeherrschung.
Wieso zur Hölle sahen sie so vertraut aus?!
Ich war drauf und dran mich zu ihnen zu gesellen, Clea besitzergreifend in den Arm zu nehmen und sie zu Küssen bis sie nicht mehr wusste wo oben und unten war.
Doch so einfach war das nicht.
Sie hatte letztens deutlich klar gemacht was sie davon hielt.
Mich überraschten meine Gedanken selbst.
Fühlte sich so etwa Eifersucht an?
Ich wusste ja davor schon, dass mir Clea nicht am Arsch vorbei ging. Doch genau diese Situation zeigte mir nochmal mit Nachdruck, dass ich doch mehr für sie übrig hatte, als ich mir eigentlich eingestehen wollte und was gut für mich sowie für sie war.
Mein Kiefer mahlte auf Hochtouren, ich konnte meinen Blick einfach nicht von den beiden abwenden.
Auch wenn ich es noch so gern getan hätte.
"Hey Mann, alles gut bei dir?
Du siehst aus als würdest du gleich jemanden windelweich prügeln.
Was i-Oh!", Jackson stoppte und schien seine Antwort auf seine Frage gerade selbst gefunden zu haben.
"Wer ist das denn?"
"Wenn ich das wüsste.", knurrte ich und beobachtete wie Clea lachend den Kopf in den Nacken legte und die Augen zusammenkniff.
Ihre Lache tönte bis zu mir herüber und zum ersten Mal hasste ich den Klang.
"Entspann dich. Die Schüler schauen schon.", meinte mein Bruder beruhigend und suchte meinen Blick. Meine Hände hatte ich unbewusst zur Fäusten geballt und meine Puls pochte schneller als normal.
"Also unauffällig Starren ist ja nicht gerade eure Stärke...", erklang eine Sarkasmus triefende Stimme neben uns.
"Hey Brianna. Schön dich zu sehen.", begrüsste Jackson sie leicht lächelnd, ehe er mir wieder einen ermahnenden Blick zuwarf.
Anna erwiderte den Gruss und folgte dann meinem starren Blick, bevor sie wissend nickte,"Es war klar, dass er wieder hier auftauchen würde."
"Wer ist er?", stellte mein Bruder die Frage, die mir ebenfalls durch den Kopf ging.
"Er ist Nick. Clea' verflossene oder vielleicht doch nicht ganz verflossene erste Liebe.", erklärte sie und grinste leicht als ihr Blick nochmal zu ihrer besten Freundin schweifte.
Erste Liebe also?
Das erklärt so einiges.
Das beklemmende Gefühl in mir nahm ums Doppelte zu.
Jackson schien Brianna' Begeisterung ebenfalls nicht zu teilen und blieb mir treu. Ich versuchte wieder mich selbst unter Kontrolle zu bringen und schloss für einen Moment die Augen.
Keine Ahung was ich nach der Gala erwartet hatte, das jedoch ganz bestimmt nicht.
"Huch! Ich korrigiere, definitiv nicht ganz verflossene erste Liebe!", dieser Kommentar liess meine Augen wieder aufschlagen. Brianna starrte mit offenem Mund und völlig überrascht in Richtung der beiden Turteltäubchen.
Dieser Nick steckte Clea doch tatsächlich die Zunge in den Hals als wäre sie Lebenswichtig.

***

Die Gänsehaut auf meinen Oberarmen ignorierend, starrte ich auf das heruntergekommene Viertel unter mir.
Die alten, zum Teil vollständig verwahrlosten, Häuser lagen nah aufeinander. Aus manchen hörte man Musik oder laute Stimmen.
An so gut wie jeder Ecke lungerten Gruppen auf den Strassen die sich die Birne zu dröhnten oder irgendwelche zwielichtige Geschäfte machten.
Ich verabscheute diese Gegend so dermaßen und doch kam ich einfach nicht von ihr los. Mein ganzes Leben lang bin ich schon in diesem Teufelskreis aus dem man einfach nicht ausbrechen konnte.
Zwei kleine Gestalten schlichen sich gerade an eine der Gruppen heran, während ein Dritter die Typen ablenkte. Dieser wusste genau was er tat, die Kerle hatten keine Ahnung dass seine Freunde gerade vorhatten sie zu bestehlen. Sehr wahrscheinlich wird ihnen das erst zu einem späteren Zeitpunkt auffallen, wenn die drei Halbstarken schon längst weg waren.
"Die erinnern mich an uns.", Jackson der neben mir aufgetaucht war, zuckte leicht zusammen was mir ein leichtes Schmunzeln entlockte. Obwohl er derjenige war der sich an mich herangeschlichen hatte, war er der, der sich erschrecken liess.
"Vermisst du die Zeit?", sein Blick folgte den drei Jungs ebenfalls, wobei ein bedrückter und zugleich sehnsüchtiger Ausdruck in sein Gesicht trat.
Ich seufzte bei dem Anblick und drehte mich wieder von ihm weg,
"Wenn du mich fragst ob ich irgendwas davon bereue- nein.
Ich würde es immer wieder tun."
Daraufhin kam von ihm nur ein Nicken. Einige Minuten schweigen wir nur und beobachteten vom Dach unseres Wohnhauses die Gegend.
"Du warst heute schnell verschwunden.", es war kein Vorwurf, sondern eine schlichte Tatsache seinerseits.
"Ich hätte nicht abhauen sollen, doch in dem Moment...", ich sprach nicht weiter, ich war nicht bereit auszusprechen, was in mir vorging. Doch das musste ich auch gar nicht, mein Bruder wusste auch so schon bescheid.
"Die kleine Davies hat es dir doch mehr angetan, als du uns allen glauben lassen hast."
"Das macht keinen Unterschied.", wehrte ich ausdruckslos ab und wich dem prüfenden Blick von Jackson aus. 
"Du meinst wegen diesem Nick?
Du gibst doch sonst nicht so schnell auf, wieso jetzt?"
"Du verstehst das nicht!", fuhr ich ihn an. Zügelte mich aber sogleich wieder,"Wie stellst du dir das vor Jackson? Mal abgesehen von diesem möchtegern Sunnyboy, ist da noch Jimmy der nur drauf wartet wieder etwas gegen mich in der Hand zu haben. Clea wäre automatisch mit in der Scheisse, nur weil sie in Verbindung zu mir steht.
Meine Welt und ihre Welt passen einfach nicht zusammen.
Ausserdem kann ich diesen ganzen Gefühlskram nicht gebrauchen.
Soll sie doch mit diesem Lackaffen glücklich werden!"
Es blieb kurz ruhig und ich hatte schon die Befürchtung, Jackson war gar nicht mehr neben mir, als er plötzlich anfing zu lachen und mir brüderlich auf die Schulter klopfte,"Oh Mann! Dich hat es ja noch stärker erwischt, als angenommen! Brüderchen, lass dir mal was von deinem 2 minütigen jüngeren Zwilling sagen; Dieser Gefühlskram, wie du es nennst, kommt nicht dann wenn es dir am besten passt, er kommt meist dann, wenn man ihn am wenigsten erwartet oder in deinem Fall gebrauchen kann. Hör auf zu jammern und hol sie dir. Irgendwas sagt mir sie ist es wert!"


Ganz ehrlich, ich weiss nicht wirklich was ich von diesem Kapitel halten soll. Obwohl es eher kurz ausfällt im Vergleich zu anderen, hatte ich mit Abstand am meisten struggle mit diesem Teil. Hauptsächlich mit mir selbst und meiner Vorstellung von Jarons Verhalten...

But anyway, ich hoffe es hat euch gefallen!

Eure Stracatella

Beyond all reason - Gegen jede VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt