45. Einen Gefallen

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Das Wetter spiegelte genau meine momentane Stimmung wieder.
Es regnete und stürmte wie schon lange nicht mehr und laut Wetterbericht wird es auch nicht mehr so schnell damit aufhören.
Kein Wunder, nach so einer langen Hitzewelle war das vorauszusehen.
In Gedanken schweifte mein Blick zu der kleinen Küchenuhr.
Noch eine Stunde, dann würde ich zu Jaron fahren.
Die letzten Tage waren hart.
Schule, die Krankenhausbesuche, Jaron, Freunde und Familie unter ein Dach zu bringen war Kräfte raubend. Zumal ich immer mehr das Gefühl hatte, beobachtet zu werden.
Was aber auch an der Müdigkeit liegen könnte.
Mein Gehirn spann bereits seinen eigenen Scheiss zusammen.

"Schatz was ist denn los?
Du siehst schon den ganzen Tag so betrübt aus.", Mum trat in die Küche, beide Hände voll mit Einkaufstüten.

"Alles gut. Das Wetter macht nur müde.", log ich. Ja lügen tat ich in letzter Zeit leider nicht selten. Noch etwas was mein Gewissen befleckte.
Mum schaute grimmig durchs Küchenfenster wie ich zuvor und nickte zustimmend,"Ja ich vermisse den Sommer jetzt schon wieder."

"Wo ist Dad?", fragte ich, während ich den letzten Bissen von meinem Nudelauflauf runterschluckte.

"Der müht sich in der Garage mit meinem Wagen ab. Er ist wiedermal nicht angesprungen. Irgendwas stimmt mit der Batterie nicht."

"Okey, ich gehe gleich noch weg.
Ich komme gegen den Abend wieder zurück. Wartet nicht mit dem Essen auf mich.", ich gab ihr einen Schmatzer auf die Wange, legte das Geschirr in die Spüle und hechtete die Treppen hoch in mein Zimmer. Dieses hätte ganz klar wieder mal eine Aufräumaktion nötig.
Doch in letzter Zeit fehlte mir dazu schlichtweg die Zeit. Was man auch ganz klar erkennen konnte.
Mum hatte ihr Missfallen darüber schon beim Frühstück angesprochen.
Eigentlich hatte ich sogar vorgehabt das heute früh zu erledigen, doch irgendwie bin ich dann doch nicht dazu gekommen.
Naja, morgen war ja auch noch ein Tag, schließlich hatten wir Wochenende.
Als ich mich durch die Berge von Klamotten gekämpft hatte, trat ich vor meinen Kleiderschrank, der erstaunlicherweise noch recht voll war, trotz das vielerlei Dinge auf dem Fussboden verstreut lagen.
Selbst ich musste zugeben, dass ich zu viel Kleidung besass.
Ich zappelte nicht lange und entschied mich einfach für eine helle Jeans und einen Hoodie, der ohnehin noch Jaron gehörte.
Meine frisch gewaschenen Haare liess ich einfach im Dutt, nur mein Gesicht musste noch etwas bedeckte werden. Auf jeden Fall die Augenringe aber auch ein paar Unreinheiten, die sich leider wieder blicken gelassen haben.

Mit einer hastigen Verabschiedung Richtung Garage, aus der die Stimmen meiner Eltern drangen, rannte ich die Veranda runter durch den Regen zu meinem frisch gewaschenen Mini.
Wenigstens das war an dem Scheisswetter positiv.
Die Strassen waren wie ausgestorben. Wahrscheinlich sind alle von der beachtlichen Wassermasse, die sich auf ihr befand, abgeschreckt.
Ich sah die Nachrichten schon vor mir. Überall gravierende Überschwemmungen und Feuerwehrleute, die versuchten den Schaden in Schach zu halten.
Die Gegend in der Jaron wohnte schien durch die dunkle Wolken, die Tief im Land lagen, nur noch bedrohlicher.
Ich war diesen Weg in den letzten Wochen weiss Gott nicht wie oft gefahren und doch schwand dieses komische, bedrückende Gefühl in meinem Bauch einfach nicht.
Endlich vor dem Wohnkomplex angekommen, rannte ich, die Arme schützend über meinen Kopf gehoben, zum Eingang.
In meiner Jackentasche tastete ich suchend nach dem Schlüssel, den mir Jaron letztens zugesteckt hatte.
Was mir, nur mal so nebenbei bemerkt, vor Rührung fast die Tränen in die Augen getrieben hatte.
Es war ein unglaubliches Zeichen von Vertrauen und dass das ausgerechnet von Jaron kam, war unbeschreiblich.
In der Wohnung lehnte ich mich erst mal schnaufend an die Tür.
Diese Stockwerke sind irgendwann noch mein Tod.
Die völlig in Dunkelheit getauchte Wohnung verriet, dass Jaron noch nicht zu Hause war, wie immer.
Seufzend betätigte ich den Lichtschalter und legte Jacke sowie Schuhe ab.
Im Wohnzimmer traf mich dann der Schlag und in der Küche musste ich mich tatsächlich kurz an der Theke festhalten.
Hier herrschte der absolute Saustall. Wäre ich Mum, hätte ich jetzt einen filmreifen Ohnmachtsanfall.
Unglaublich, dass hier nur ein Mann lebte. Der Anblick übermittelte eher den Eindruck, als würde hier eine fünfköpfige Familie hausen.
Doch ich wusste es besser.
Hier lebt nur ein junger Mann, der sich immer mehr diesem verdammten Jimmy verschreibt und daran kaputt ging.
Diese Tatsache hatte mich die letzten Tage kaum vom Laptop weggekriegt. Überall wo es eine geringe Chance auf eine Spende gab, hatte ich angerufen oder mich über sämtliche Möglichkeiten informiert, doch erfolglos.
So optimistisch wie ich zu beginn war, bin ich schon lange nicht mehr. Doch ich versuchte mir Nichts anmerken zulassen.
Jaron brauchte jemanden, der das positiv sah, nicht negativ.
Für Letzteres war er schon da.
Seit vier Tagen war dann zu allem Überfluss auch  Ben ausser Landes und das natürlich im Auftrag von Jimmy.
Obwohl ich diesem Mann noch nie persönlich begegnet war, hasste ich ihn bereits jetzt wie die Pest.
Doch was mich im Augenblick mehr störte war tatsächlich diese Wohnung oder genauer gesagt ihren Zustand.
Mein Zimmer dagegen war ja noch ordentlich.
Die Tatsache ignorierend, dass ich immer mehr meiner Mum nachschlug, drehte ich kurzer Hand ohne Rücksicht auf die Nachbarn die Stereo-Anlage auf und machte mich an die Arbeit.
Allen voran kam die Küche dran, die es mit Abstand am schlimmsten erwischt hatte.
Allein dort verbrachte ich die nächsten 45 Minuten, bis sie wieder halbwegs anschaubar war.
Doch die Euphorie hielt nicht lange an, denn der Anblick des Wohnzimmers zeigte klar, dass ich noch lange nicht fertig war.
Und als ich auch einen Blick ins Bad und Jaron' Zimmer warf, wurde mir klar, dass das alles noch viel länger dauern wird, als erst angenommen.

Beyond all reason - Gegen jede VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt