57. Menschlicher Traumfänger

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Jaron

Ich strich Clea eine verwirrte Strähne aus dem Gesicht und konnte nicht verhindern, dass meine Finger ihren halbgeöffneten Lippen nachfuhren. Ich konnte einfach nicht die Finger von ihr lassen und sie gestern zurückzuweisen war wohl die härteste Probe gewesen, die mir je unter gekommen war.
Ich war ein paar mal nah dran gewesen, meinen letzten Funken Selbstbeherrschung einfach flöten gehen zu lassen. Im Nachhinein jedoch war ich froh, es nicht getan zu haben.
Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn wir miteinander geschlafen hätten. Ich hatte gestern jedes meiner Worte ernst gemeint.
Ich wollte, dass es etwas besonderes wurde.
Für sie, sowie auch für mich.
Wir hatten zusammen schon so viel durchgestanden, so etwas sollte nicht einfach so über die Bühne gebracht werden.
Vielleicht etwas altmodisch und wenn ich ehrlich war, hatte ich bis vor ein paar Stunden noch nie solche Gedanken gehabt aber was Clea anging, überraschte ich mich ja selbst immer zu wieder von Neuem.
Es war mir nun mal einfach wichtig, denn eins war klar, sie hatte nur das Beste verdient.
Ausserdem war da noch etwas, was mich skeptisch werden liess.
Ich hatte unseren Streit im Wagen nicht vergessen. Und erst recht nicht ihre Worte, wie auch ihr komisches Verhalten generell in letzter Zeit.
Es war klar, dass sie mir etwas verheimlichte und ich wollte mir erst ihrem Vertrauen sicher sein, wie sie es mittlerweile bei meinem war.

Ich hatte sie gestern kaum wieder erkannt und auch Ben war überrascht. Clea schien die Getränke geradezu runter zu stürzen.
Als wäre das der einzige Ausweg.
Das hatte ich leider nicht zum ersten Mal gesehen. In unserer Gegend war das nichts Neues.
Die Frage stellte sich nur, was Clea dazu veranlasste sich so unkontrolliert zu besaufen.
Ich wünschte sie würde mich einbeziehen.
Jeder Blinde sah, dass es ihr nicht gut ging und es musste schon einen Grund geben, dass sie bei jedem noch so kleinen Geräusch zusammenzuckte und immer wieder nervös umherblickte. Ich hoffte, dass Jimmy nichts damit zu tun hatte.
Wenn er auch nur gewagt hatte hier näher zu kommen, dann konnte er sich auf etwas gefasst machen.
Egal was mit mir passiert, ich würde zu den Bullen gehen und auspacken.

Mir war meine Drohung ernst gewesen.

Clea murmelte irgendwas unverständliches vor sich hin und kuschelte sich noch mehr in ihre Sammlung von Kissen, was mir ein kleines Schmunzeln entlockte, froh darüber, dass sie noch so tief schlief. Diese Nacht schien kein Albtraum ihren Schlaf zu stören, was ihren Augenringen, sowie ihren überstrapazierten Nerven nur zu Gute kommen konnte.

Um nicht die Gefahr einzugehen sie aufzuwecken, schlich ich mich aus dem Bett, zog mir mein Shirt über und trippelte aus dem Zimmer.
Das Shirt stank bis zum Himmel.
Ein Gemisch von Rauch, Alk und sonstigen Drogen die im gestrigen Schuppen Gang und Gebe waren.
In meinem Wagen hatte ich noch ein paar frische Ersatzkleider. In diesem Shirt blieb ich jedenfalls keine Minute mehr als nötig.

Das Haus lag still da und irgendwie fühlte es sich falsch an, sich hier so frei zu bewegen.
Clea' Vater würde wahrscheinlich im Dreieck springen, wenn er wüsste, dass ich hier bin und die Nacht im Bett seiner Tochter verbracht hatte. Der Gedanke daran brachte mich zum Grinsen, gleichzeitig aber kam auch etwas Bange in mir auf.
Wie er wohl reagieren würde, wenn er erfährt das wir zusammen sind? Bestimmt nicht gerade gut.
Ich hatte damals beim Abendessen schon gemerkt, dass er mich nicht sonderlich gut leiden konnte.
Mrs. Davies dagegen war eine tolle Frau. Wenn ich je eine Mutter gehabt hätte, wünschte ich mir sie wäre ihr ähnlich.
Im unteren Stock blieb ich an einem Familien Foto stehen.
An mehreren Familienfotos.
In verschiedenen Abschnitten von Clea' Kindheit.
Bei einem war sie noch ein Säugling, ihre Mum hielt sie strahlend im Arm und ihr Vater stand hinter ihnen und umarmte beide während er mindestens genauso glückselig auf das Bündel herunterblickte, wie seine Frau.
Ein anderes zeigte die Familie an Clea' Einschulung, was die übergrosse Schultüte verriet.

Beyond all reason - Gegen jede VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt