Epilog

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Es war immer schön nach Hause zu kommen. Es war ein Aufatmen. Etwas, was man immer gerne tat.
New Jersey war mein zu Hause, mein Aufatmen.
Sie ist die Stadt, die mir gezeigt hat, was lieben und hassen heisst, die mir gezeigt hat, wie man verliert, wie man gewinnt, wie man kämpft und das Schwierigste von allen, wie man weiterlebt.
Die letzten beiden Jahre waren nicht einfach gewesen, wahrscheinlich die schwersten überhaupt.
Wir haben verloren und gewonnen, geweint und gelacht, gefeiert und getrauert.
Ich studierte jetzt an der Columbia in New York.
Psychologie um zu genau zu sein. 
Es gab Momente, da konnte ich es selbst noch nicht richtig glauben.
Aber es gefiel mir. Es war genau das, was ich tun will.
Ich will Menschen helfen, die dasselbe durchmachen mussten wie ich. Will sie unterstützen und ihnen beistehen. Genau wie es meine Psychologin seit zwei Jahren auch für mich tat.
Jaron ist nicht mit mir nach New York gekommen.
Zumindest das erste Jahr nicht.
Es gab hier zuerst ein paar Dinge, die er erledigen musste.
Er wurde gebraucht und war nicht bereit, schon Abschied zu nehmen.
Zu behaupten es wäre leicht gewesen wäre eine Lüge.
Die Entfernung hat unsere ohnehin schon angeschlagene Beziehung nochmal auf eine harte Probe gestellt.
Es gab Momente da wussten wir nicht, wie es mit uns und unserer Beziehung weitergehen sollte.
Wir pendelten beide hin und her, wobei Jaron wohl am meisten Opfer bringen musste, da es mir mein Stundenplan nicht oft erlaubte, flexibel zu sein.
Unsere gemeinsame Zeit ist dadurch ganz schön geschrumpft, doch umso mehr genossen wir die vereinzelten Wochenenden oder meine Semesterferien, die wir dann immer zusammen verbracht haben.
Bis vor etwas weniger als einem Jahr dann, da kam Jaron endlich zu mir nach New York.
Wir sind in eine kleine zweienhalb Zimmerwohnung gezogen mit einer hübschen Aussicht auf den Central Park, keine 10 Minuten
Bahnfahrt vom Campus entfernt. Trotz der kleinen Grösse war sie perfekt für uns. 
Ich war ohnehin den ganzen Tag auf dem Campus und Jaron arbeitete in der Autowerkstatt.
Der Job hatte er erstaunlich schnell für sich gewonnen. Er konnte schon immer gut mit Autos.
Allein sein Dodge den er immer noch pflegte wie meine Grossmutter ihre Blumen, war Beweis genug.
Doch ich wusste, sein Ziel war ein anderes.
Nach seiner Entlassung gestand er mir, dass er schon immer eine eigene Bar führen wollte.
Das Einzige was ihm fehlte, war etwas Startkapital, was er jetzt mit seiner Arbeit ändern wollte. Mittlerweile sah es sogar ganz gut aus. Das auch Dank Trevor und Dylan. Letzter hatte grosszügig entschieden zu investieren und seine Kontakte spielen zu lassen, um die passenden Räumlichkeiten zu finden.
Jaron hatte mittlerweile ein enges Verhältnis zu ihnen.
Beide waren in den letzten 24 Monaten zu einer Vaterfigur für ihn geworden und Trevor' Kinder waren ganz vernarrt in ihn, vor allem Sophie. Auch Trevor' und Dylan' Freundschaft ist wieder stärker geworden.
Tatsächlich waren alle drei in den letzen Wochen voll auf damit beschäftigt gewesen, mögliche Mobilien in New York zu besichtigen, während ich mir den Kopf mit Fachbegriffen voll gebüffelt hatte.
Es waren stressige Tage gewesen für uns alle. Umso mehr genossen wir jetzt die kleine Auszeit unter dem Dach meiner Eltern.
Ich hatte die beiden unglaublich vermisst. Sogar ihre verliebten Blicke, die sie auch jetzt noch nicht müde waren auszutauschen, amüsierten mich mehr, als dass sie mir unangenehm waren.
Es war schön zu sehen, dass sich zwischen ihnen nichts verändert hatte, trotz all den Geschehnissen.
Dad war nicht nach New York gegangen. Er blieb Chief beim New Jersey Police Department, hatte aber, zusammen mit dem FBI, eine Task Force zusammengestellt, die auf Stalkingverbrechen spezialisiert war.
Sein ganzer Stolz.
Mit einem leisen Seufzen liess ich mich auf mein altes frischgemachtes Bett fallen und atmete das Waschmittel von Mum ein.
Zu Hause. Ich war zu Hause.
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich kuschelte mich noch mehr in meine Kissensammlung.
Dieselbe Kissensammlung, die nun auch in unserem Apartment in New York unser Bett einladender wirken liess. Jaron hatte keine Chance sein Veto einzulegen, nicht bei dieser Angelegenheit.
Von unten hörte ich die Stimmen meiner Freunde und Familie, doch ich war nicht bereit, mich schon zu ihnen zu gesellen.
Wir waren gerade erst angekommen und ich wollte mich noch nicht gleich ins Getümmel stürzen.
Sollte Jaron ruhig der Anfang machen.Schliesslich war es sein Geburtstag.
Ich musste grinsen, als ich das Lachen meiner Grandma durchs Haus hallen hörte.
Ja, ich hatte Recht behalten, sie liebte Jaron. Vergötterte ihn geradezu. Ganz zu Dad' Leidwesen.
Nun waren all seine Frauen Jaron verfallen. Mum hatte ja noch nie einen Hehl daraus gemacht.
Das schlimmste jedoch war, dass Dad sich selbst eingestehen musste, dass Jaron doch ganz in Ordnung war. Mehr als das.
Ich behauptete sogar soweit gehen zu können, dass sich eine zarte Verbindung zwischen ihnen aufgebaut hatte, eine gewisse Akzeptanz.
Auch wenn sie es beide nicht lassen konnten, sich gegenseitig anzustacheln und zu messen.
Manchmal wusste ich wirklich nicht, ob ich amüsiert oder beschämt sein sollte. Ich meine, Dad war doppelt so alt wie Jaron und doch verhielt er sich zu manchen Augenblicken kindischer als dieser. Trotzdem denke ich, dass Jaron sich gut in die Familie Davies eingegliedert hat.
Als ich das Knallen eines Korkens vernahm, rappelte ich mich notgedrungen aus dem Bett auf und lief nach unten.
Ich musste mich beeilen, wenn ich noch ein Glas Champagner haben wollte.
Trotz meiner Eile konnte ich nicht daran vorbei gehen, ohne stehen zu bleiben.
Keine Ahnung wie ich es geschafft hatte, als ich die Treppe hochging, jetzt jedenfalls konnte ich es jetzt nicht mehr.
Mein Blick blieb an dem gerahmten Bild im Flur stehen.
Ich hiess den altbekannten Schmerz in meiner Brust willkommen wie ein alter Freund. Ich hatte mich an ihn gewöhnt.
Mum hatte darauf bestanden es aufzuhängen. Sein dunkles Haar, wie immer perfekt frisiert, seine blauen Augen, klar und durchdringend.
Vor ihnen war nichts sicher, kein Geheimnis, kein Gefühl, kein Gedanke.
Er stand an unsere Küchenablage gelehnt mit einer Flasche Abwaschmittel in der Hand und einem schiefen Grinsen im Gesicht.
Ich stand am Waschtrog und spülte Geschirr. Mein Gesicht war bleich, überschattet von dunklen Schatten unter den Augen, während mein Mund einen finsteren Zug angenommen hatte.
Doch ich wusste, dass ich innerlich froh um ihn und seine Versuche mich aufzuheitern war.
Auch wenn seine Methode grösstenteils darin bestand, mir auf die Nerven zu gehen.
Ich konnte mich noch gut an diesen Moment erinnern, als dieses Foto geschossen wurde.
Ich machte den Abwasch, wobei er immer wieder Waschmittel auf das Geschirr gab, auch auf das von mir bereits schon geputzte.
Oh, war ich wütend gewesen.
Ich hatte noch nie so lange gebraucht um Geschirr zu spülen.
Jetzt hingegen hoben sich meine Mundwinkel etwas und ich wünschte mir, es wäre alles nicht so gekommen, wie es gekommen war.
Meine Finger wanderten automatisch an meinen Hinterkopf, dort fanden sie eine kleine wulstige Narbe.
Eine Erinnerung an das was mir geschenkt worden war; eine zweite Chance, ein Leben.
Eine warme Hand legte sich auf meine Schulter und drückte sie leicht.
Ich drehte mich um und begegnete Dad' wissenden Blick.
Er wusste von meinen Dämonen, von den Schuldgefühlen.
Ich legte meine Hand auf die seine und erwiderte die Geste.
Obwohl ich nun zwanzig war und bei weitem kein Kind mehr, blieb mein Vater mein Fels in der Brandung und dafür war ich ihm unendlich dankbar.
Ich wusste egal was geschah, er würde immer die Person sein, der ich zu jeder Uhrzeit anrufen und auf ein offenes Ohr vertrauen konnte.

Beyond all reason - Gegen jede VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt