35. Vorschriften

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Heute waren alle etwas aufgedreht. Das schienen auch die Lehrer zu spüren, und waren dementsprechend gelaunt. Zum Pech für mich.
Ausgerechnet heute hatte ich zum ersten Mal verschlafen und war deswegen 2 Stunden zu spät gekommen.
Normalerweise belassen es die Lehrer bei einem mahnendem Blick und je nach Gemüt noch einem kurzen Kommentar, doch heute lief das etwas anders.
Ich wurde gleich wieder raus geschickt und das mit einem Auftrag, der mir noch jeden letzten Nerv raubte. Ich musste wohl nicht erwähnen, dass Mrs. Flemmings die Lehrperson gewesen war, der ich das überhaupt erst zu verdanken hatte.
Im ersten Moment hatte ich sogar tatsächlich ein kleines bisschen Mitleid mit ihr, da sie wirklich etwas hilflos und verzweifelt inmitten meiner Mitschüler aussah, als ich ins Klassenzimmer trat. Und wir sprachen hier von Mrs. Flemmings.
Der Lehrerin, die sonst immer die ruhigste Klasse hatte.
Doch das Mitleid verabschiedete sich schnell wieder.
Mrs. Flemmings fand es wohl für angebracht an mir ein Exempel zu statuieren, in der Hoffnung meine Klasse wieder unter Kontrolle zu kriegen.
Und jetzt saß ich hier, in der kleinen Schulbibliothek versteckt hinter einem Bücherregal am Boden und kaute angestrengt an meinem Bleistift herum.
Wer Bitteschön interessierte es schon was irgendein alter General alles angestellt hatte.
Ich meine gab es nicht etwas sinnvolleres ?
"Hab ich mir doch gedacht, dich hier zu finden."
Überrascht blickte ich auf, ehe ich missmutig den dicken Schinken von Buch zuklappte, um daraufhin das nächste vom Stapel neben mir nach Nützlichem zu durchsuchen.
"Wegen dir sitz ich doch überhaupt hier...", grummelte ich in mich hinein. Obwohl ich hätte schwören können, dass es wirklich sehr leise war, zu leise das er es hätte verstehen können, tat er es natürlich doch.
Ehrlich verwirrt, aber auch etwas spöttisch, kniete sich Jaron zu mir herunter und hob mein Kinn an,"Erstens müssen wir das mit der Begrüssung unbedingt noch üben. Und zweitens, ich wüsste nicht wieso ich schuld daran sein sollte, dass du verschlafen hast.."
Ich musste fast lachen über seinen Kommentar von meinen nichtvorhandenen Begrüssungkünsten. Er hatte recht. War nicht gerade meine Meisterleistung.
"Wann bist du gestern gegangen?", fragte ich, während ich meine Schultasche etwas weglegte, damit er neben mir Platz nehmen konnte.
Gestern Abend haben wir noch in meinem Bett gelegen gekuschelt und geredet, so gut es mit unseren Defiziten halt ging.
Bis ich irgendwann wohl eingeschlafen sein musste.
Das nächste Mal als ich aufgewacht bin, war es bereist halb neun Morgens und die Wärme neben mir war verschwunden.
Ich hatte am Vorabend durch seinen Besuch schlichtweg vergessen den Wecker zustellen.
Aber das war jetzt auch egal.
Ich konnte länger schlafen und das war es was zählte.
Diese blöde Strafarbeit werde ich schon meistern.
Jaron  zuckte mit den Schultern,"So gegen ein Uhr Morgens, schätze ich."
Ich betrachtete sein Profil und stellte überrascht fest, dass seine Augenringe noch dunkler zu sein schienen als sonst.
Instinktiv legte ich meine Hand an seine Wange und drehte sein Gesicht zu mir,"Hast du überhaupt geschlafen?"
Ein gequältes Lächeln erschien in seinem Gesicht,"Schlaf wird überbewertet."
Die Antwort gefiel mir nicht und ich wollte wissen was er genau damit meinte, doch Jaron liess es erst gar nicht soweit kommen.
Seine Lippen lagen schneller als ich reagieren konnte wieder einmal auf meinen.
Und wieder einmal war ich nicht im Stande ihm zu widerstehen.

***

So schnell wie es mir möglich war, ohne gehetzt zu wirken, verliess ich den Raum, den prüfenden Blick der Flemmings auf meinem Rücken sehr wohl bewusst.
Tja, da hatte die Strafarbeit wohl doch nicht die gewünschte Reaktion heraufbeschwört. Wobei ich doch zugeben musste, nah dran an einem kleinen Nervenzusammenbruch gewesen zu sein.
Doch zum Glück hatte mein Freund nicht nur ein Talent fürs Küssen und sah gut aus, sondern hatte auch noch was im Kopf.
Mit einem kleinen triumphierenden Lächeln lief ich durch die fast leeren Gänge der Schule.
Die meisten Schüler waren bereits verschwunden, was um diese Zeit nicht weiter verwunderlich war.
Auch Jaron war sogleich aus dem Klassenzimmer gestürmt, kaum hatte es geklingelt. Keine Ahnung was plötzlich los gewesen war.
Jedenfalls hatte Jackson seinem Bruder nicht minder verblüfft hinterher geschaut.
Ich hoffte es war alles gut...
Bei meinem Spind angekommen, musste ich erstmal ein paar Mal mit Kraft dagegen drücken, bis das alte Teil endlich nachgab.
Wieder einmal ein Zeichen dafür, dass die Schule eine Renovation dringend nötig hätte.
Doch bei dem Betonklotz wird das wohl in den nächsten Jahren eher nicht der Fall sein.
Aber in spätestens 6 Monaten konnte mir das egal sein. Denn dann werde ich nämlich auf irgendeine moderne Uni gehen und mich hoffentlich nie wieder mit solchen kleinen, nervigen Sachen auseinandersetzen müssen!
Überraschender Weise kam mir ein erfrischender Geruch aus meinem Spind entgegen, was auf die rote Blume, die da drin lag, zurückzuführen war.
Mit einem breiten Grinsen nahm ich die Rose und betrachtete sie mit plötzlicher Wärme in meiner Brust.
Das war ja mal eine Überraschung!
Ich hatte Jaron ja viel zugetraut, dass er jedoch so romantisch war, eher nicht. Dafür schien er nicht wirklich der Typ zu sein.
Doch anscheinend trübte der Schein. Die Rose war wirklich wunderschön. Ob er wohl wusste, dass das meine Lieblingsblumen sind ?
Wohl eher nicht, ich hatte es nie erwähnt und er hatte auch nie gefragt, war wohl einfach ein Glückstreffer.
"Da legt sich einer aber ganz schön ins Zeug!", kommentierte die Stimme meiner besten Freundin und ich konnte bereits ihr Pedo-Grinsen heraushören.
Ich drehte mich zu ihr um und schloss den Spind wieder.
"Er überrascht mich immer wieder.", meinte ich leise und betrachtete die Blume, während wir zusammen aus dem Gebäude liefen.
"Willst du mit zu Shane? Tamian und er haben endlich seinen Wagen
fertig gekriegt."
Innerlich schlug ich mir gegen die Stirn. Das hatte ich völlig vergessen!
Shane hatte endlich eingesehen, dass seine Schrottkarre wirklich nicht mehr auf die Strasse gehörte.
Vor ein paar Wochen hatte er dann einen Ford Focus gefunden, der jedoch auch noch ein wenig pflegebedürftig war.
War anscheinend so ein Laster bei ihm, er musste immer zuerst sein ganzes Herzblut reinstecken.
Zum Glück arbeitete Tamian in einer kleinen Garage in ihrem Viertel.
Die beiden waren in letzter Zeit jede freie Minute mit dem Wagen beschäftigt gewesen und jetzt schien er endlich zu ihrer Zufriedenheit zu sein.
"Klar komme ich mit! Das muss ich mir mit eigenen Augen ansehen!"
"Na dann steig ein!", auffordernd grinste Brianna in meine Richtung und deutete einladend auf ihren Wagen. Meiner hatte Mum für heute beschlagnahmt, ihrer ist im Service.

Beyond all reason - Gegen jede VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt